Was heute das Bürgermeister-Vorzimmer ist, war einst Inge Kirchgessners Mädchenzimmer. Fotos: Ursula Brinkmann
Von Ursula Brinkmann
Mosbach. "Sie sitzen ja in meinem Mädchenzimmer!" Im Vorzimmer von Bürgermeister Michael Keilbach ist Nicole Senftleben so perplex wie die Besucherin. Inge Kirchgessner, das "Mädchen", ist heute 82 Jahre alt ist. Der Satz entfuhr ihr bei einem Behördengang, der sie kürzlich in den heutigen Verwaltungsbau der Stadt Mosbach führte. Früher war dies das Hotel "Krone", von dem bis heute ein großes Keramik-Wappen an der linken Hauptstraßenecke kündet. Hinter dem Fenster an der gerundeten rechten Ecke befand sich einst Inge Kirchgessners Kinderzimmer.
Einst, das war ab 1940. Inge war mit ihren Eltern Martha und Karl Wetzel aus Schwenningen in den Odenwald gekommen, wo die Hoteliersfamilie die Krone von der Brauerei Hübner pachtete. "Mein Vater war in den Kriegsküchen, und so war meine Mutter diejenige, die zunächst mit dem Umbauen, Renovieren und Einrichten und dann mit dem Gästebetrieb vollauf beschäftigt war."
Die Jahreszahl 1942, auf der zwei Keramik-Löwen eine Krone tragen, markiert das Jahr der Eröffnung des Hotels. Der erste Eintrag ins Gästebuch lässt den Zustand ahnen, in dem sich die Krone befand, als Familie Wetzel das Haus übernahm: "Es liegt eine Krona in einer kleinen Stadt. Ihr Glanz war längst verblichen, da lag sie stumpf und matt."
Auch Landrat Wilhelm Compter reimte den neuen Betreibern 1942 einen Gruß ins Gästebuch, das im Folgenden etliche Einträge in fremden Sprachen und Schriftzeichen mit Zeichnungen und Fotos bekam. Dass die "kleine Inge", wie sie ein Besucherpaar aus Hannover beschrieb und malte, im Betrieb der Eltern überall mit anpackte, war für das einzige Kind eine Selbstverständlichkeit. Schon früh wusste sie: "Hotelfach, das war mein Ding" – und erlernte es als 18-Jährige nach der Höheren Handelsschule in Bad Reichenhall.
Gemusst hätte sie nicht. Ihre Eltern seien immer großzügig mit ihr gewesen, erinnert sie sich. Die Gasträume und die Gasse waren ihr Zuhause. "Meine Eltern hatten ja wenig Zeit für mich, und so war ich viel mit den Kindern in der Kronengasse zusammen; es war mehr als ein Dutzend."
Am einstigen Ende der Kronengasse befanden sich auch Ställe samt Misthaufen, die schon in früheren Zeiten Teil des Gasthauses waren. Hier wurden Kaninchen, Hühner, Schweine gehalten – zum Schlachten. Lamm Hansi aber wurde von Inge mit der Flasche aufgezogen. "Es durfte auch ins Lokal." Zum Stall des Kronewirtles, wie Inge von ihrem Deutschlehrer gerufen wurde, zählten auch weiße Mäuse und ein Hund. Später im Leben hat sich an der Tierliebe nicht viel geändert. Der vom Gastbetrieb geprägte Alltag hatte andererseits zur Folge, dass Klein-Inge von Gouvernanten unterrichtet und betreut wurde, was ihrem freiheitsliebenden und eigensinnigen Naturell eher nicht entgegenkam. "Bis auf eine habe ich sie alle vergrault."
18 Jahre lang, bis 1958, bewirtschafteten Martha und Karl Wetzel die Krone; je älter Inge wurde, desto mehr packte sie mit an. Gruppen, Gesellschaften und Vereine sowie Geschäftsreisende bildeten das Gros der Gäste. Auch in den Kriegsjahren herrschte Betrieb. "Wenn die trinkfreudigen Soldaten kamen, wurden wir, die Zimmermädchen und ich, sicherheitshalber weggesperrt", erinnert sich Inge Kirchgessner. "Wir sind sehr verwöhnt worden", notierte in Sütterlinschrift ein Generalleutnant im März 1942, "es war alles vortrefflich." Karl Wetzels Koch- und die Backkünste seiner Frau finden im Gästebuch immer wieder Erwähnung. Und Martha Wetzel wusste auch im Service ihren Mann zu stehen. "Der Frühschoppen war eine reine Männerrunde", berichtet Inge Kirchgessner über ihre Mutter, "also hat sie einen Smoking angezogen, die Haare nach hinten gekämmt und war dabei."
Dass das "zweite Haus am Platze" mit 40 Betten in 20 Zimmern über lediglich ein Badezimmer verfügte, war zu jener Zeit nichts Ungewöhnliches. Doch die Ansprüche wandelten sich. 1958 starb Martha Wetzel mit nur 58 Jahren. Die Tochter stieg voll ins Geschäft ein. "Wir hätten sehr viel umbauen müssen, zudem waren keine Parkplätze am Haus. Da haben mein Vater und ich die Krone gemeinsam verlassen." Auf das Angebot der Brauerei, die Krone zu kaufen, wollten sie da nicht mehr eingehen. Aus Inge Wetzel wurde Inge Kirchgessner, das Hotel-Restaurant pachtete "Prinz Carl"-Wirt Hellmut Westenhoff. Noch einige Pächter sah man kommen und gehen in dem charakteristischen Walmdachhaus, das 1840 anstelle des einstigen Fachwerkbaus errichtet worden war.
Die bis 1611 zurückreichende Gasthaustradition endete 1976 mit dem Kauf und der Umnutzung zum Verwaltungsbau durch die Stadt Mosbach.
Hatte Oberbürgermeister Michael Jann noch in seiner Neujahrsrede 2020 von einer Sanierung dieses wie weiterer zum Rathauskomplex gehörender Häuser "in den kommenden Jahren" gesprochen, so rückte er in seiner Rede zur Haushaltseinbringung im Dezember von dieser Absichtserklärung ab und nannte als Beginn der Maßnahme Rathaussanierung das Jahr 2024. "Aufgrund der finanziellen Unsicherheiten ist es nicht darstellbar, mit einer Investitionsmaßnahme in einer Größenordnung von rund 15 Millionen Euro zu beginnen." In der langen und bewegten Geschichte der Krone ist auch das kein ungewöhnliches Vorkommnis.