Im Neckar-Odenwald-Kreis trafen vor fünf Jahren so viele geflüchtete Menschen ein, dass Interimsunterkünfte im Landkreis errichtet werden mussten – wie hier damals im Großen Elzpark in Mosbach. Archivfoto: Christian Beck
Von Alexander Rechner
Neckar-Odenwald-Kreis. Vor fünf Jahren prägte Bundeskanzlerin Angela Merkel den historischen Satz "Wir schaffen das". Die Regierungschefin setzte 2015 ein Zeichen in der Flüchtlingspolitik. Was haben wir im Neckar-Odenwald geschafft? Darüber sprachen wir mit Manfred Schärpf, der von 2010 bis 2017 Leiter des Fachdienstes Ordnung und Verkehr des Landratsamtes und deshalb in den Jahren 2015 und 2016 unmittelbar für die Unterbringung der Flüchtlinge im Landkreis verantwortlich war. Seit 2019 ist Manfred Schärpf Leiter des Geschäftsbereichs Ordnung, Veterinärwesen und Landwirtschaft des Landratsamtes.
Herr Schärpf, als Bundeskanzlerin Angela Merkel vor fünf Jahren den Satz "Wir schaffen das" geprägt hat, was ist Ihnen da durch den Kopf gegangen?
Der Satz wurde wohl erst im Nachhinein etwas überhöht. Zum Zeitpunkt als der Satz fiel, war es wohl eher ein "Mutmacher" an alle, die vor Ort mit neuen Aufgaben und großen Herausforderungen konfrontiert waren. Dementsprechend habe ich ihn auch bewertet.
Wie war damals die Lage im Neckar-Odenwald-Kreis? Können Sie sich noch daran erinnern, wie das Arbeiten im Landratsamt war?
Wir mussten innerhalb kürzester Zeit neue Unterkünfte aufbauen. Das hieß unter anderem Betten, Matratzen, Schränke, Kühlschränke und alle Utensilien des täglichen Bedarfs beschaffen und das auf einem Markt, auf dem zu diesem Zeitpunkt genau diese Produkte naturgemäß sehr begehrt waren. Die Aufnahme von mehr als 2000 Flüchtlingen in einem Zeitraum von 15 Monaten und die Einrichtung von 30 neuen Gemeinschaftsunterkünften im ganzen Kreis war natürlich auch eine große logistische Herausforderung. Alle Mitarbeiter, die an der Bewältigung dieser Aufgaben beteiligt waren, sind über sich hinausgewachsen und können im Rückblick sicher stolz auf das damals Erreichte sein.
Das Landratsamt hat die Kreisbewohner damals in zahlreichen Veranstaltungen über die Situation und das weitere Vorgehen informiert. Wie empfanden Sie die Stimmung? Wie hat sich diese im Lauf der Zeit geändert?
Es war uns von vorneherein wichtig, die Bevölkerung ausführlich und transparent über geplante Unterkünfte und deren Ausgestaltung zu informieren. Das Thema hatte für viele eine hohe Brisanz und dementsprechend waren auch die Veranstaltungen in den Gemeinden, in denen Flüchtlingsunterkünfte entstehen sollten, regelmäßig gut besucht. Die Stimmung war in vielen Orten eine Mischung aus natürlich nachvollziehbaren Vorbehalten gegenüber den Neuankömmlingen und der Art der Unterbringung auf der einen Seite, aber auch einem durch Willkommenskultur geprägten Pragmatismus. Dieser überwog nach meinem Empfinden vielerorts deutlich.
Inwiefern?
Viele wollten mit anpacken und boten ihre Unterstützung bei der Integration der Geflüchteten an. Es fanden sich überall ehrenamtliche Helfer, die sich sowohl örtlich als auch auf Kreisebene organisierten. Unser Leitsatz "Der Neckar-Odenwald-Kreis zeigt Herz" wurde durch diese Menschen mit Leben erfüllt. Mit den dann stetig abnehmenden Zahlen der Flüchtlinge im Kreis hat sich natürlich vieles normalisiert. Die Vorbehalte haben sich in der Regel nicht bestätigt, die Ehrenamtlichen müssen sich nicht mehr in dem Maß engagieren, wie es in den Jahren 2015 und 2016 notwendig war. Aber auch heute ist ihre Unterstützung noch in vielen Bereichen gefragt. Wir können uns im Neckar-Odenwald-Kreis glücklich schätzen, dass auch heute noch zwölf Ehrenamtskreise aktiv sind.
Sehen Sie rückblickend Fehler bei der Bewältigung dieser Herausforderung im Neckar-Odenwald-Kreis? Was hätte besser laufen können?
Nicht alle Entscheidungen, die unter einem unglaublich hohen Druck gefällt werden, stellen sich im Nachhinein als absolut richtig dar. Wir können aber im Nachgang festhalten, dass wir durch das gute Zusammenspiel der Landkreisverwaltung mit den Kommunen und den Ehrenamtlichen die an uns gestellten Anforderungen an die Erstellung von Aufnahmekapazitäten übererfüllt haben. Aufgrund des dadurch entstandenen "Quotenplus" wurden dem Neckar-Odenwald-Kreis im Zeitraum Mai 2016 bis zum September 2019 nur sehr wenig Flüchtlinge zugewiesen. Sicher gab es an vielen Stellen auch Optimierungsbedarf. Mit etwas mehr Ruhe hätten bestimmte Ressourcen besser und schonender eingesetzt werden können. Aber das ist die berühmte Betrachtung im Nachhinein mit Wissen und Perspektiven, die man in der Situation einfach nicht hat.
Wie viele Flüchtlinge leben zurzeit im Landkreis?
In vorläufiger Unterbringung befinden sich derzeit 23 Personen in Wohnungsunterbringung auf der Fläche und 145 Personen in der aktuell einzig sich in Betrieb befindlichen Gemeinschaftsunterkunft in Hardheim. Die dortige Kapazität liegt bei 195 Personen. Um der weiteren Aufnahmeverpflichtung gerecht zu werden, hat der Landkreis bereits ein Wohnhaus in Auerbach für die Unterbringung von Familien ausgestattet. Denn auch das darf man nicht vergessen: Die Welt ist in den letzten Jahren nicht besser geworden. Kriege, Naturkatastrophen, der Klimawandel und oft auch pure wirtschaftliche Not sind weiterhin für viele ein Grund zu flüchten.
Seit dem Frühjahr steckt Deutschland in der Corona-Krise. Hat die Pandemie Auswirkungen auf die Integration von geflüchteten Menschen in den Arbeitsmarkt?
Die Pandemie hat auf den gesamten Arbeitsmarkt Auswirkungen. Besonders betroffen sind Erwerbstätige mit befristeten Verträgen und im Niedriglohnsektor. Da geflüchtete Personen relativ spät in den Arbeitsmarkt integriert wurden, gehören diese häufig zu dieser Gruppe. Bei einem Stellenabbau sind die Mitarbeiter, die kürzer im Betrieb sind, in der Regel auch die, die zuerst gehen müssen. Leider erfolgt auch eine Verzögerung beim Zugang zum Arbeitsmarkt. Integrationskurse mussten ausgesetzt oder verschoben werden. Somit fehlte den Betroffenen die Möglichkeit, sich die für den Arbeitsmarkt erforderlichen Sprachkenntnisse anzueignen.
Stimmt Ihrer Meinung nach der Satz, "Wir schaffen das"? Haben wir es geschafft? Schaffen wir es noch?
Es gibt im Rahmen der Integration sicher noch viel zu tun und es ist bei weitem noch nicht alles geschafft. Im Neckar-Odenwald-Kreis haben wir dem Satz "Wir schaffen das" ein "Wir zeigen Herz" hinzugefügt. Ich denke, mit dieser Prämisse sind wir auf dem richtigen Weg.
Manfred Schärpf,. Foto: zg