Die Angeklagten betrieben schwunghaften Handel mit Kurzzeit-Kennzeichen. Foto: RNZ-Archiv
Von Alexander Albrecht
Heidelberg/Rhein-Neckar. Wären sie nicht Handlanger in einem Korruptionsskandal gewesen, man müsste ihnen eine Verdienstmedaille um den Hals hängen. Bis zu 30 Mitarbeiter umfasste die frühere "Briefgruppe" in der Zulassungsstelle des Rhein-Neckar-Kreises in Wiesloch. In Schichten arbeitend machten sie sich schon morgens um vier und auch samstags ans Werk, um die Flut von Anträgen für Kurzzeit-Kennzeichen abzuarbeiten und die Schilder zu siegeln.
Was sie dabei aber verdrängten oder nicht wussten: Unmengen der Kennzeichen wurden für im Ausland lebende Menschen ausgestellt - die von ihrem "Glück" gar nichts wussten. Stattdessen gerieten die Osteuropäer ins Visier der deutschen Justiz, weil die tatsächlichen Fahrer Unfälle begingen, von der Tankstelle ohne zu zahlen davonbrausten oder geblitzt wurden.
Ein Sachbearbeiter des Polizeireviers Wiesloch schildert am Mittwoch im Heidelberger Landgericht, er wisse von Ausländern, für die mehrere Hundert Kurzzeit-Kennzeichen beantragt worden waren. Viele davon hatten sich irgendwann vor Jahren in der Bundesrepublik aufgehalten und beim Autokauf kurz ihren Personalausweis für eine Kopie abgegeben.
Eine solche Kopie reichte in der Wieslocher Zulassungsstelle nebst einer E-Mail für die fünf Tage gültigen Kennzeichen aus - ohne weitere Prüfung. Möglich machte das ein elektronisches System, das von einem Dienstleister mit Sitz in Walldorf verwaltet wurde. Dieser verteilte die Kennziffern an Schilderhändler aus ganz Deutschland, die an dem lukrativen Geschäft mitwirken durften.
Das Ganze lief laut den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Mannheim wie folgt ab: Der Walldorfer hatte mit zwei Führungskräften der Zulassungsstelle einen Deal vereinbart, dass er pro Schild statt der gesetzlichen Gebühr von 10,40 Euro nur die Hälfte zahlt. Ein klarer Fall von Korruption.
Die Schilder ließ er von einem Unternehmen prägen, das zudem als "Bevollmächtigter" für die angeblichen Antragssteller aus dem Ausland auftrat. Die Kennzeichen verkaufte der Walldorfer für rund 50 Euro an Kfz-Dienstleister, die im "Kunden-Information-Management-System" (KIM) gelistet waren.
Einer der Geschäftsleute, Andreas H. aus Eberswalde, verkaufte einen Teil der Kurzzeit-Kennzeichen weiter an Yakup K. Für rund 63 Euro pro Stück. Beide horteten die Schilder in kleinen Bürocontainern in der Jüterborger Straße in Berlin und veräußerten sie für 100 bis 130 Euro pro Schild an Autokäufer und Gebrauchtwagenhändler. Deren Bequemlichkeit machten sich Andreas H. und Yakup K. zunutze. Denn ganz in der Nähe der Container liegt die Berliner Zulassungsstelle, wo sich täglich lange Besucherschlangen mit stundenlangen Wartezeiten bildeten. Bei H. und K. war dagegen in 20 Minuten alles erledigt.
Das Duo, der Sohn von H. und ein weiterer Angeklagter, Cemal A., müssen sich seit Mittwoch vor dem Landgericht Heidelberg verantworten. Die Staatsanwaltschaft wirft den Schilderhändlern aus Eberswalde und Berlin Urkundenfälschung in großem Stil im Tatzeitraum zwischen 2011 und 2014 vor. Die Vier haben inzwischen die Vorwürfe vollständig eingeräumt.
Allein Andreas H. soll in den drei Jahren mit nur einer der vielen KIM-Nummern 8576 Kurzkennzeichen beantragt haben. 40 Prozent davon hat der Wieslocher Ermittler "abgearbeitet". Seinen Erkenntnissen nach sind die Kennzeichen nicht nur von gutgläubigen Autokäufern aus dem Ausland für die Fahrt in ihre Heimat erworben worden, sondern auch von Kriminellen. Der Beamte spricht von "mannigfaltigen Vergehen" und nennt erschreckende Beispiele.
So seien die gelben Schilder mit Heidelberger Kürzel unter anderem bei einem illegalen Autorennen mit tödlichem Ausgang in Frankreich aufgetaucht. Oder auf "Schrottböcken", die es "gerade noch so über die Grenze geschafft" hätten, berichtet der Polizist. Weil für die Kennzeichen-Anträge falsche Personalien verwendet wurde, habe man nicht nachvollziehen können, wer mit einem Auto unterwegs war.