„Wenn etwas passiert, kriegen wir es als Letzte mit“: Trotzdem leben Heike Meßmer-Villain und ihr Ehemann Hans-Joachim Villain mit ihrem Eurasier Inouk gern auf dem Kohlhof. Das Haus war bis in die Achtzigerjahre hinein noch Teil eines Wasserwerks. Foto: Philipp Rothe
Von Katharina Kausche
Heidelberg. Der Bus fährt einmal die Stunde, Mobilfunk ist Glückssache und bei Schnee geht erst mal nichts mehr – das Leben in Heidelbergs höchster Siedlung ist abgeschieden. Und das, obwohl die Altstadt nur eine Viertelstunde entfernt liegt. Für Hans-Joachim Villain und Heike Meßmer-Villain liegt genau darin der Charme der Siedlung auf dem Kohlhof.
Selten komme hier jemand einfach vorbei, so das Ehepaar. Als hätte die Stadt die kleine Siedlung vergessen. Dreizehn Häuser gibt es auf dem Kohlhof – so durcheinandergewürfelt, dass sich selbst die Post auf der Suche nach dem richtigen Haus durch die Nachbarschaft klingelt.
30 Jahre lebt Hans-Joachim Villain nun schon in der Siedlung, seine Frau seit mehr als 20 Jahren. Das Haus, bis in die Achtzigerjahre noch Teil eines Wasserwerks, hat Villain selbst ausgebaut. "Ich kann mich hier richtig ausleben", sagt der 72-Jährige. "Das ist wirklich die pure Entspannung für mich." Stadtmenschen seien sie nicht, sagt das Ehepaar. "Wir kommen auch ohne den Trubel aus", so Meßmer-Villain. Vielleicht sind sie auch deshalb selten in Heidelberg. Zum Einkaufen geht es eher ins dörfliche Gaiberg oder Gauangelloch. "Das ist schneller, entspannter und wir müssen keine Parkgebühren zahlen", sagt die 58-Jährige.
Bei all der Erholung: Stressig wird die Berglage spätestens beim Thema Mobilität. Den Bus-Fahrplan kennt man hier zwar auswendig, oft nutzt das Ehepaar die Verbindung aber nicht. "Wir kommen dann entweder viel zu früh oder viel zu spät", sagt Heike Meßmer-Villain. "Mit Schule und Arbeit ist das nicht kompatibel." Bis in die Neunzigerjahre habe es für die Schulkinder einen Shuttlebus gegeben, erinnert sich ihr Mann. Heute organisieren die Eltern eher Fahrgemeinschaften.
Die Bergbahn vom Königstuhl sei zwar auch eine Option, aber auf Dauer zu teuer. "Ich wollte schon länger mal vorschlagen, dass die Stadt doch ein Anwohnerticket einführen könnte", so Meßmer-Villain. Bis dahin ist ein Auto also fast ein Muss. Ein paar Tricks braucht es aber auch hier, um sich das Leben einfacher zu machen – vor allem im Winter. Die enge Straße, die durch die Siedlung führt, sei dann oft dicht. "Wir müssen meistens warten, bis gegen Mittag das Räumfahrzeug zu uns kommt", sagt die 58-Jährige. Das Auto stellen sie dann ab und zu auf den Parkplatz der Reha-Klinik, dort wird früher geräumt.
So "beschwerlich" der Winter manchmal auch sei, "Spaß macht er trotzdem", so Meßmer-Villain. Zwar kommen selten Besucher gezielt in die Kohlhof-Siedlung, der Rodelberg direkt nebenan ist aber durchaus gut besucht in der Vorweihnachtszeit. Nach dem Aus des "Alten Kohlhofs" vor fünf Jahren hat das Ehepaar eine kleine Glühwein-Bude direkt neben ihrem Haus aufgemacht. Der Bedarf war da – und das auf beiden Seiten: "So durchgefroren wie die Leute nach dem Rodeln sind, freuen sie sich auf einen Glühwein", sagt Villain. "Und uns macht es Spaß, mit den Leuten ins Gespräch zu kommen."
Voll war es in diesem Jahr auch im Frühling, so das Ehepaar. "Die Leute haben Picknicks auf der Wiese gemacht, waren wandern und einfach viel draußen unterwegs", so Villain. "Das war schön zu sehen." Gerade für die Kinder sei der Berg eine Art Ersatz für die geschlossenen Spielplätze gewesen. "Der Kohlhof ist eigentlich das Erholungsgebiet von Heidelberg", so Villain. "Nur scheinen das manche zu vergessen oder gar nicht zu wissen."
Das mit dem Vergessen kommt also öfter vor. Als in Heidelberg Anfang 2019 Panik wegen bläulich verfärbten Trinkwassers ausbrach, war man auf dem Kohlhof zunächst ahnungslos. Die alte Warnsirene war längst abgebaut und die Feuerwehr fuhr den Berg nicht hoch. "Viel bekommt man hier oben nicht mit", sagt Hans-Joachim Villain. "Und niemand hat uns Bescheid gesagt." Dann sind auch noch Mobilfunk und Internet schlecht – zumindest das Internet soll demnächst aber besser werden. Trotzdem ist sich Villain sicher: "Wenn etwas passiert, kriegen wir es als Letzte mit." Ein bisschen sei die Kohlhof Siedlung "die Insel der Ahnungslosigkeit". So schlecht findet das das Ehepaar aber gar nicht.