Von Micha Hörnle
Heidelberg. Seit 55 Jahren gibt es das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ), und seit 23 Jahren ist Josef Puchta sein Kaufmännischer Vorstand – bis gestern, denn da hatte der gebürtige Oberbayer seinen letzten Arbeitstag. Zum 1. Januar 2020 folgt ihm Ursula Weyrich nach. In seinen 65 Jahren ist Puchta viel herumgekommen ("Ich bin 17 mal umgezogen"), Ende der 80er Jahre zog es ihn nach Berlin, er arbeitete damals unter anderem in der Senatsverwaltung für Wirtschaft und Technologie. Nach der Wende und der Wiedervereinigung wurde er 1992 Administrativer Vorstand des Deutschen Instituts für Ernährungsforschung in Potsdam – durchaus wilde, aber auch erfolgreiche Zeiten "für Leute, die etwas bewegen wollten". Mit der RNZ sprach er über seine Heidelberger Zeit im Herzen des Neuenheimer Feldes.
Ärgert es Sie, dass das DKFZ oft im Schatten des Uniklinikums steht?
Nein, das habe ich nie so wahrgenommen, denn beide Einrichtungen agieren auf ganz anderen Feldern. Das DKFZ ist eine reine Forschungseinrichtung und hat praktisch keine eigenen Patienten. Das DKFZ gehört zur weltweiten Spitzengruppe der Krebsforschungszentren. Das ist nicht meine Meinung, sondern wird uns von unabhängigen Experten bestätigt. Das Uniklinikum hat einen anderen Auftrag, insbesondere als sehr großer Patientenversorger, zum anderen in der Ausbildung und Lehre, und es betreibt auch sehr gute Forschung. Trotz des jüngsten Skandals gehört es zu den führenden Unikliniken in Deutschland.
Ich meinte auch eher, dass das Neuenheimer Feld für viele Heidelberger nur aus dem Uniklinikum besteht …
Das kann schon sein, denn keiner in der Bevölkerung sagt: "Ich gehe jetzt ins DKFZ." Das gilt im Grunde auch für das gemeinsame Kind von DKFZ und Uniklinikum, das Nationale Centrum für Tumorerkrankungen (NCT): Dort kommt die Forschung des DKFZ und die hochwertige Patientenversorgung des Uniklinikums zusammen.
Wie spannungsreich ist das Verhältnis zwischen DKFZ und Uniklinikum?
Es ist kein Geheimnis, dass unser Verhältnis in den letzten Jahren schwierig war. Der Bluttest-Skandal am Klinikum hat auch das DKFZ in Mitleidenschaft gezogen.
So nach dem Motto: "Heidelberg + Krebs = DKFZ"?
So in etwa. Da wurde beispielsweise mein wissenschaftlicher Vorstandskollege Michael Baumann bei einem Kongress in Italien angesprochen, ob er wegen des Bluttestskandals nicht zurücktreten wolle. Und das ist kein Einzelfall, denn von außen differenziert man nicht so sehr, wer für die Vorgänge verantwortlich ist. Wir haben in dieser Sache keinen Kommentar abgegeben, denn es verbietet sich, da auch noch draufzuhauen. Vor allem die quälend lange Zeit bis zu den personellen Konsequenzen war für uns alle schwierig, und ich hatte auch nicht den Eindruck, dass die Aufklärung mit aller Begeisterung betrieben wurde. Das Klinikum wird eine gewisse Zeit brauchen, um sich neu aufzustellen. Das kann auch eine Chance sein: Denn wenn der neue Vorstand begreift, welches Potenzial der Krebsforschungsstandort Heidelberg hätte, dann wären wir unschlagbar.
Wie meinen Sie das?
Das Potenzial in der Zusammenarbeit im onkologischen Bereich ist noch nicht ausgeschöpft, dabei geht es eben darum, den jungen Forschern möglichst wenig Hindernisse in den Weg zu legen – zumal sich in der Onkologie-Szene gerade München und Berlin völlig neu aufstellen.
Woran haperte es denn bei der Zusammenarbeit? Waren das die unterschiedlichen Strukturen von Klinikum und DKFZ, oder lag es an Personen?
Es war wohl eher ein Konflikt unter den Vorständen und weniger der Strukturen. Das Uniklinikum ist schon sehr stark von Hierarchien geprägt, aber es ist nicht meine Aufgabe, Ratschläge zu erteilen.
Sie wollen doch nicht etwa behaupten, das DKFZ sei hierarchiefrei …
Wir haben keine Institute, sondern unter der Vorstandsebene eigenständige Forschungsabteilungen, also alles in allem flache Hierarchien und viel Freiheit für die Forscher. Ich kann mich nicht erinnern, dass ich jemals zu einem Mitarbeiter gesagt habe: "Das darfst Du nicht machen!" 40 Prozent unserer Wissenschaftler kommen aus dem Ausland, bisher habe ich noch keine Klagen über mangelnde Freiheit gehört.
Aber bei der Stadtentwicklung und der Verkehrserschließung des Neuenheimer Feldes hätten DKFZ und Uniklinikum doch zusammenarbeiten können.
Da hatten wir unterschiedliche Interessenslagen: Das Hauptproblem waren die unkalkulierbaren elektromagnetischen Auswirkungen und Erschütterungen einer Straßenbahn direkt vor unserem Hauptgebäude. Schon heute schlägt das Massenspektrometer aus, wenn eine Straßenbahn durch die Berliner Straße fährt, und man muss auch an zukünftige Gerätegenerationen denken. Aber die generelle Diskussion über den Verkehr im Neuenheimer Feld kommt mir doch etwas verzerrt vor.
Inwiefern?
Es gibt nur morgens von 7 bis 8.30 und nachmittags von 15.30 bis 16.30 Uhr einen Stau – das Problem ist der Abfluss in der Berliner Straße, bei der man vielleicht einige Ampelschaltungen verbessern könnte. Einen Verkehrsinfarkt gibt es nur zu bestimmten Zeiten. Zugleich ist es völlig illusorisch zu denken, dass alle unsere Mitarbeiter nun mit der Straßenbahn kommen würden. Die Hälfte lebt mehr als 20 Kilometer von Heidelberg entfernt – und die werden auf das Auto angewiesen bleiben.
Sie wohnen in Schriesheim. Wie kommen Sie denn zur Arbeit?
Mit dem Auto. Ich fahre um 7 Uhr los, die zehn Kilometer dauern 18 Minuten. Und wenn ich um 20 Uhr wieder heimfahre, ist niemand mehr unterwegs.
Nun gut, aber wenn der Campus "Neuenheimer Feld" ausgeweitet werden muss, dann wird es zumindest nicht besser mit dem Verkehr.
Allein in meiner Zeit hat sich die Fläche des DKFZ um 88 Prozent vergrößert, das wird wohl auch so weitergehen. Insofern bin ich ein klarer Befürworter, dass der Campus ausgeweitet werden muss – auch wenn ein Teil der Heidelberger diesen Campus nicht besonders liebt. Dabei wären andere Städte froh, wenn sie so etwas hätten.
Aber wäre nicht auch ein zweiter Campus woanders denkbar?
Eher nicht, denn auch alle Möglichkeiten der elektronischen Kommunikation ersetzen nicht das persönliche Gespräch, das oft zufällig zustande kommt und besonders produktiv ist. In ganz Europa hat eigentlich nur Cambridge einen solchen Campus. In München gibt es auch jede Menge Forschungsinstitute, aber die sind über die ganze Stadt verteilt, so auch in Berlin. Ich verstehe nicht, warum wir in Heidelberg mit diesem Pfund nicht stärker wuchern.
Man könnte mehr in die Höhe bauen, anstatt die Felder in Anspruch zu nehmen …
Das wird eher bei zukünftigen Gebäuden so sein, eine Aufstockung ist bei bestehenden oft sehr schwierig – wegen der Statik. Aber ganz generell fände ich es schon gut, wenn man mehr in die Höhe gehen könnte, also etwas höher als das Mathematikon.
Zurück zu Ihrer Zeit am DKFZ. Gibt es etwas, worauf Sie stolz sind?
Es ist befriedigend, dass das DKFZ heute weltweit in der Spitzengruppe mitspielt – auch wenn das natürlich nicht das Verdienst einer einzigen Person ist. Wir haben viel gebaut und saniert, es gibt keinen Instandhaltungsstau. Zudem war das DKFZ für mich immer ein intellektueller Jungbrunnen, ich habe auch meine Arbeit eher als strategische Aufgabe verstanden. Und mit meinen drei Vorstandskollegen habe ich immer sehr gut zusammengearbeitet.
Über ein Jahr gab es keinen Wissenschaftlichen Vorstand, bis im Herbst 2016 Michael Baumann aus Dresden kam. War das eine schwierige Zeit?
Nein, es gab auch keinerlei Absturz bei den wissenschaftlichen Leistungen, insofern sehe ich da keine Nachwirkungen.
Gibt es nicht einen natürlichen Konflikt im Vorstand zwischen einem "Zahlenschieber" wie Ihnen und einem Wissenschaftler?
Ich habe mich weniger als Zahlenschieber verstanden, sondern als ein Mann der Strategie. Da wir im Vorstand gemeinsam entscheiden, müssen beide auch etwas vom Feld des anderen verstehen. Mittlerweile kenne ich mich schon etwas in der Krebsforschung aus, sodass sogar einmal Harald zur Hausen scherzhaft meinte, mich zum Ehrenvirologen zu ernennen. Und tatsächlich hat ja auch die Forschung etwas Faszinierendes, die ganz viele mit großem Enthusiasmus betreiben.
Mit welchen Gefühlen gehen Sie nun nach 23 Jahren?
Mit dem Gefühl, sehr gute Jahre hier verbracht zu haben. Ich habe meine Entscheidung zu gehen bereits vor einem Jahr getroffen. Ich hätte meinen Vertrag noch einmal verlängern können, aber es gibt auch ein Leben nach dem DKFZ.
Das hört sich nicht nach Ruhestand an …
Sagen wir es so: Ich scheide aus dem DKFZ aus. Bisher war mein Terminkalender sehr fremdbestimmt, nun hoffe ich, etwas mehr Einfluss auf ihn zu haben. Jetzt mache ich erstmal vier Wochen Urlaub an einem Stück – das erste Mal seit vielen Jahren. Im Januar entscheide ich, welche der Angebote ich annehme, die mir vorliegen.
Was werden Sie vermissen?
Schon das soziale Umfeld, die Arbeit im Vorstand – auch wenn ich kein Mensch bin, der etwas vermisst. Ich habe meine Nachfolgerin Ursula Weyrich von der Gesellschaft für Schwerionenforschung in Darmstadt eingearbeitet, die ich schon sehr lange kenne, und über diese Regelung meiner Nachfolge bin ich außerordentlich froh.