Von Holger Buchwald
Heidelberg. Massive Einbrüche bei den Übernachtungszahlen, die Gaststätten seit November geschlossen: Seit 2008 ist Melanie von Görtz Geschäftsführerin des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes (Dehoga) in Heidelberg, und noch nie hatten sie und ihr Team so viel zu tun wie in der Corona-Krise. Ein Gespräch über Existenzängste, finanzielle Hilfen und die eigene Covid 19-Erkrankung.
Der Lockdown wurde noch einmal verlängert. Wie lange halten die Heidelberger Gastronomie und Hotellerie das noch aus?
Ich weiß es nicht. Bei einer bundesweiten Befragung haben 75 Prozent der Dehoga-Mitglieder gesagt, dass sie sich in ihrer Existenz bedroht fühlen. Das gilt sicher auch für Heidelberg. Die Zahl hat sich seit November – da waren es 60 Prozent – noch einmal dramatisch erhöht. Über das Jahr hinweg gab es in der Hotellerie und Gastronomie Umsatzeinbrüche von über 40 Prozent. Jeder Tag, den wir länger geschlossen haben, ist ein schwieriger Tag. Das Einzige, was uns helfen würde, sind Gäste.
Ist die Stimmung jetzt auf ihrem Tiefpunkt?
In der letzten Woche war sie sogar noch schlechter. Weil die versprochenen Hilfen nicht ankamen und dann auch noch die Verlängerung des Lockdowns angekündigt wurde. Viele Gastronomen und Hoteliers mussten in den letzten Monaten Kredite aufnehmen. Wenn sie wieder aufmachen, müssen sie für die Banken zehn Prozent ihres Jahresumsatzes an Verbindlichkeiten aufbringen. Andere Unternehmer haben all ihre Reserven aufgebraucht. Trotzdem geht die Stimmung wieder leicht bergauf, weil jetzt die November- und Dezemberhilfen ausgezahlt werden. Es kommt aber noch eine weitere Sorge hinzu: Viele unserer Mitglieder fürchten, dass ihnen die Belegschaft wegbricht.
Haben so viele Mitarbeiter gekündigt?
30 Prozent unserer Mitglieder berichten davon, dass es Kündigungen gab. Hinzu kommt, dass man die Minijobber in der Gastronomie nicht in die Kurzarbeit schicken kann. Viele haben sich deshalb eine andere Beschäftigung gesucht.
Gab es in Heidelberg schon Betriebsschließungen?
Ich kenne Fälle, in denen die Unternehmer mit diesem Gedanken spielen. Sie sind aber noch am Markt. Wir haben aber am Beispiel Crowne Plaza gesehen, was passieren kann, wenn noch weitere Probleme hinzukommen. Die ganz großen Hotels fallen bei den Finanzhilfen durchs Raster, weil die EU-Beihilferahmen nicht ausreichen.
Das müssen Sie erklären.
Die Hilfe ist auf einmal 800.000 Euro und einmal 200.000 Euro gedeckelt. Das reicht für die großen Betriebe und ihre riesigen Verbindlichkeiten einfach nicht aus.
Wer ist schwerer von der Krise betroffen: die Hotellerie oder die Gastronomie?
Die Hotellerie. Ihre laufenden Kosten sind höher. Der Wegbruch der Geschäftsreisen und des Tagungsgeschäfts hat aber auch die Restaurants und Kneipen hart getroffen. Das gesamte Gastgewerbe hat insgesamt deutlich über 40 Prozent an Umsatz verloren. Selbst im besten Sommermonat gab es in der Gastronomie 18 Prozent weniger Umsatz. Discos, Clubs und Caterer haben seit März 2020 überhaupt kein Geschäft mehr.
Was erwarten Sie von der Stadt?
Es war toll, dass die Außenbewirtschaftungsflächen ausgeweitet wurden, und es ist toll, dass das in diesem Jahr beibehalten wird. Aber auch die Möglichkeiten der Stadt sind begrenzt. Selbst wenn alle geimpft sind, werden wir unsere Ausfälle nicht aufholen können. Es wird sehr lange brauchen, bis sich die Branche erholt hat.
Apropos Impfen: Was halten Sie von Sonderrechten für Geimpfte? Dass Sie zum Beispiel vor allen anderen wieder reisen oder Restaurants besuchen dürfen?
Die Debatte ist verfrüht, da noch nicht alle, die sich impfen lassen wollen, dies können. Bis dahin sind zahlreiche Rechtsfragen zu klären, zum Beispiel ob der Gastwirt einen Anspruch auf Vorlage des Impfpasses hat. Es ist Aufgabe der Politik, für Klarheit zu sorgen. Wir erwarten rechtskonforme und praxistaugliche Lösungen. Ich persönlich würde mich auf jeden Fall impfen lassen, denn ich selbst hatte schon Corona.
Hatten Sie schwere Symptome oder einen milden Verlauf?
Mir ging es richtig schlecht, ich war vier Wochen sehr krank und lag komplett flach.
Leiden Sie noch unter den Folgen?
Nein. Es hat eine Weile gedauert, bis ich wieder etwas gerochen oder geschmeckt habe. Das hat sich inzwischen wieder normalisiert. Aber in meiner Familie waren einige betroffen, wir hatten sogar einen Todesfall zu beklagen, während eine 81-jährige Verwandte fast keine Symptome hatte. Vielleicht hätte es mich auch nicht so stark getroffen, wenn ich zum Zeitpunkt der Erkrankung Anfang November nicht sowieso schon fix und fertig gewesen wäre. Wir hatten in der Geschäftsstelle in der Krise bis zu 8000 Anrufe pro Woche und waren alle am Anschlag.
Wenn man persönlich betroffen war, sieht man dann die Kontaktbeschränkungen mit anderen Augen?
Man sieht zumindest, dass es sich bei Corona um eine reale Gefahr handelt. Man muss den medizinischen Betrieb unbedingt aufrecht erhalten. Trotzdem erachte ich nicht jede Bestimmung in der Coronaverordnung für sinnvoll.
Haben Sie ein Beispiel?
Die Beherbergungsverbote waren mit einem großen bürokratischen Aufwand verbunden. Die Hoteliers mussten herausfinden, aus welchem Gebiet die Gäste anreisen, ob es sich um ein Risikogebiet handelt. Da wurde viel Verantwortung auf den Einzelunternehmer abgeladen.
Wie kann die Heidelberger Bevölkerung jetzt den Gastronomen helfen?
Sie können den "Take away" nutzen, den viele anbieten. Das rettet uns nicht, bringt aber ein bisschen Umsatz. Und jeder Gast, der ein gutes Wort an die Mitarbeiter richtet, hilft uns, durchzuhalten. Wir sind Gastgeber aus Leidenschaft. Für uns ist es schlimm, wenn wir dieser Arbeit beraubt werden.