Live-Aufzeichnung im Frauenbad des Alten Hallenbades: Bei der Quartettwerkstatt studierte Jörg Widmann mit drei jungen Ensembles seine Streichquartette Nr. 1, 3 und 4 ein – hier mit Quatuor Mona aus Frankreich. Die Proben sind am Samstag im Internet zu sehen. Foto: studio visuell
Von Anica Edinger
Linkes oder rechtes Nasenloch? Dutzende Male musste Henriette Schnakenburg in der vergangenen Woche diese eine Frage stellen. Ihre "Kunden": Musikerinnen und Musiker, Komponisten, Dirigenten, Kameraleute, Klangmeister – alle, die mitwirken beim Digitalprogramm des "Heidelberger Frühling". Denn die Hygieneauflagen sind streng: Wer ins "Studio" im Frauenbad des Alten Hallenbades möchte, der muss an Henriette Schnakenburg – eigentlich Mitarbeiterin im Künstlerischen Betriebsbüro, dieser Tage ausgebildete "Schnelltesterin" – vorbei.
In Bergheim wurden vergangene Woche die letzten Produktionen für die Digital-Ausgabe des Festivals unter dem Motto "Lasst uns spielen!" aufgezeichnet. Darunter auch der "Kosmos Jörg Widmann" mit Live-Aufnahmen aus der Widmann’schen Quartett-Werkstatt, unterschiedlichen Konzert- und auch Gesprächsformaten. Ab Freitag, 9. April, ist der "Kosmos" online zu sehen und zu hören.
Nils Andresen, Gesamt-Produktionsleiter und Regisseur, verkabelt Maria König, die verschiedene Formate moderiert hat.Schon am 20. März wurde "Lasst uns spielen!" mit einer "Gala" eröffnet. Und nicht nur Henriette Schnakenburg musste für dieses besondere Festival in besonderen Zeiten umschulen. Jonas Springer ist eigentlich Konzertmanager beim "Frühling". Jetzt managt er keine Besucherströme an der Stadthalle, sondern sorgt sich etwa darum, dass alle Künstlerinnen und Künstler vor der Live-Aufzeichnung in der Maske waren. Denn neuerdings gibt es auch das beim "Frühling": Maskenbildner. Damit die Musiker im besten Kameralicht erstrahlen, muss eben auch das Make-up sitzen.
"Es ist schon eine veränderte Arbeit", sagt Springer. Dennoch kommen bei den Aufzeichnungen im Frauenbad auch echte "Frühlingsgefühle" auf. Denn alle Konzerte und Gespräche werden live aufgezeichnet. Das heißt: "Es gibt nur einen einzigen Versuch", so Springer. Spielt ein Musiker einen falschen Ton, verpasst er seinen Einsatz oder passieren sonst irgendwelche Fehler: Die Kamera filmt alles mit. Die Anspannung also, sagt Springer, die sei durchaus vergleichbar mit der eines echten Konzerts. So entstünden wirklich "schöne, auch überraschende Momente". Fast wie beim analogen "Frühling". Aber eben nur fast.
Höchste Konzentration in der „Technikzentrale“, eigentlich die Küche des Frauenbades: Von hier aus werden Bild, Ton und Licht gesteuert. Foto: studio visuell"Auch wenn es das Festivalgefühl nicht ersetzt: Es ist wunderbar, zu sehen, wie hier eigene künstlerische Produkte im digitalen Raum entstehen", sagt Intendant Thorsten Schmidt. "Der Enthusiasmus und die Spiel- und Experimentierfreude unserer Künstlerinnen und Künstler berühren einen ganz unmittelbar." Als das Festival vor gut vier Wochen aufgrund der Corona-Pandemie im zweiten Jahr in Folge abgesagt werden musste, brach für Schmidt eine kleine Welt zusammen. Eigentlich sei das alles doch "unvorstellbar", erkläre Schmidt damals. Jetzt, gut zwei Wochen nach dem digitalen Auftakt, ist der Intendant wieder positiver gestimmt. Das liegt auch am Publikum: "Seit 20. März konnten wir über 60.000 Menschen online erreichen", freut sich Schmidt. Das zeige doch, "wie unverzichtbar Kunsterlebnisse für unsere Gesellschaft sind".
Diese Erlebnisse entstehen dieses Jahr auch in der Küche des Frauenbades. Dort, zwischen Kühlschränken und Mülleimern, sitzt Nils Andresen – wohl der einzige Mitarbeiter beim "Frühling", für den sich quasi nichts verändert hat. Andresen arbeitet seit fast zehn Jahren für das Festival, anfangs als Projektleiter für den Bereich "Web und Medien". 2017 übertrug er erstmals mit einem kleinen Team den gesamten Wettbewerb "Das Lied" live ins Internet. Heute hat er seine eigene Produktionsfirma in München, arbeitet aber weiter für den "Frühling". Keine Frage also, dass er die Gesamtverantwortung für "Lasst uns spielen!" bekam.
Sein Anspruch: Perfektion. Das Licht muss stimmen, der Ton muss sitzen, die Kamera muss die emotionalsten Momente einfangen. Für all das sorgt er von seiner Technikzentrale aus. Das Konzert, das sagt auch Andresen, sei dennoch nicht ersetzbar. "Und es wird auch niemals ersetzt werden." Vielmehr schaffe man im digitalen Raum eine neue, Pandemie-kompatible Kunstform.
Nur: Einnahmen generiert der "Frühling" darüber nicht – bei zugleich immensen personellen und finanziellen Aufwendungen. Deshalb hofft Intendant Schmidt nun sehr auf die Spendenbereitschaft der Zuschauerschaft – auch für den kürzlich gegründeten "Fonds Zukunftsmusik", mit dem junge Künstlerinnen und Künstler und deren kreative Kraft unterstützt werden. Diese, ist Schmidt überzeugt, "brauchen wir in diesen Zeiten mehr denn je".
Info: Alle Angebote und das komplette Programm von "Lasst uns spielen!" unter: www.fruehling25.de.