Von Denis Schnur
Heidelberg. Oft wurde sie angekündigt, aber die Chancen stehen gut, dass sie in einem Monat wirklich getroffen wird: die Entscheidung über den neuen Standort des Ankunftszentrums für Geflüchtete. Den Ausschlag dürften die Grünen geben, schließlich stellen sie mit 16 von 48 Stadträten die größte Fraktion im Gemeinderat. Und sie werden mehrheitlich für das Gewann Wolfsgärten am Rand von Wieblingen stimmen – ein umstrittener Standort, gegen den aktuell Unterschriften gesammelt werden. Auch die Grünen seien damit zwar nicht glücklich, die Alternativen Gäulschlag und Patrick-Henry-Village seien jedoch noch schlechter, betont die Vize-Fraktionsvorsitzende Luitgard Nipp-Stolzenburg (70) im RNZ-Interview.
Frau Nipp-Stolzenburg, im Wahlkampf 2019 hatte Ihre Partei für alle Stadtteile Flyer mit Zielen erstellt. Wissen Sie, was bei Wieblingen stand?
Das habe ich im Moment nicht im Kopf, nein.
Unter "Was wir erreichen wollen" hieß es: "Gewann Wolfsgärten als ungeeigneten Standort des Ankunftszentrums verhindern."
Wir waren uns in der Fraktion nicht ganz einig. Es gab immer beide Meinungen: Die, die es auf PHV ungeeignet finden, und die, die Wolfsgärten ablehnen. Wir hatten deshalb auch gehofft, dass das Land mit der Stadt gemeinsam einen anderen Standort findet. Zum Schluss blieb aber nur die Entscheidung zwischen Wolfsgärten und Gäulschlag. Und da sind die Wolfsgärten nicht ideal, aber unter Berücksichtigung aller Umstände die vernünftigste Lösung.
Denken Sie nicht, dass einige Heidelberger Sie gewählt haben, weil sie etwas anderes erwartet hatten?
Ich glaube nicht, dass das wahlentscheidend war.
Sie finden den Vorschlag Wolfsgärten nicht ideal. Unter welchen Bedingungen können Sie mit ihm leben?
Wir haben immer gesagt, dass es einen Ausgleich für den Landwirt geben muss, der das Areal bewirtschaftet. Uns ist aber vor allem wichtig, dass da eine qualitätsvolle Architektur entsteht, dass die Menschen sich sicher und gut aufgehoben fühlen.
Aber auch dann würde eine Einrichtung weit weg vom Zentrum an der Autobahn errichtet. Klingt nicht wie typisch grüne Integrationspolitik.
Es geht bei einem Ankunftszentrum nicht um Integration. Das ist nur eine erste Anlaufstelle. Die Geflüchteten werden dort registriert, stellen einen Asylantrag und bekommen eventuell medizinische Behandlung. Die meisten bleiben nur wenige Wochen. Wir wollen übrigens sehr, dass in PHV in Zukunft Flüchtlinge leben. Wir haben auch den Antrag gestellt, dass die Stadt freiwillig anerkannte Flüchtlinge aufnimmt. Für diese Menschen ist Integration ein Thema.
Aber die würden auch erstmal in den Wolfsgärten ankommen.
Das stimmt. Aber derzeit ist das Ankunftszentrum in maroden Hinterlassenschaften einer Armee untergebracht – das ist nicht mal optisch schön. Es ist auch jetzt weit entfernt von der Stadt und liegt an der Autobahn. Und trotz all dieser Bedingungen gilt es als mustergültig. Mir erschließt sich nicht, warum ein Umzug in qualitätsvolle Neubauten plötzlich menschenunwürdig sein soll.
So bezeichnen etwa der baden-württembergische Flüchtlingsrat und einige Stadträte das Areal Wolfsgärten.
Ja und mir ist relativ unwohl bei dieser Art der Diskussion. Es gibt viele Menschen in Heidelberg, die in der Nähe der Autobahn oder an Bahngleisen wohnen. Deren Wohnungen sind doch nicht menschenunwürdig. Ich habe immer wieder – leider bisher vergeblich – gebeten, dass man sich in der Wortwahl mäßigt. Wir brauchen eine seriöse Entscheidungsfindung, keine emotionalen Zuspitzungen.
Menschenunwürdig ist ein harter Begriff. Aber es hat schon eine gewissen Symbolik, wenn man das Ankunftszentrum an die Autobahn legt.
Wie gesagt: Wenn Sie sich das jetzige Ankunftszentrum anschauen, müssten Sie auch sagen: Geht gar nicht! Von dort kommen die Flüchtlinge zu Fuß nirgends hin. Es wird aber – egal wo das Ankunftszentrum ist – immer die Shuttle-Anbindung in die Stadt geben.
Die Befürworter eines Verbleibs stellen sich die Zukunft ja anders vor: Da läge das Zentrum am Rand von PHV. Ein Großteil der Freiflächen des Zentrums läge außerhalb des Zauns und würde von Asylsuchenden und PHV’lern gemeinsam genutzt. Ist das nicht reizvoll – oder nicht realistisch?
Eher nicht realistisch. Das Ankunftszentrum wird auch in Zukunft aus Sicherheitsgründen ein baulich geschützter Bereich bleiben. Da werden hohe Zäune gebraucht. Deswegen kann man eine Integration in die Umgebung weitgehend vergessen. Aber die Frage ist ja nicht nur, ob das für die Flüchtlinge gut ist.
Sondern?
Wenn das Ankunftszentrum im Süden von PHV gebaut würde, würde das die Entwicklung des neuen Stadtteils sehr verzögern. Über die gesamte Planungs- und Bauzeit würde das derzeitige Ankunftszentrum bleiben – auf etwa 30 Hektar. Auch im Süden wäre die zukünftige Fläche belegt – und beide Flächen würden jeweils Zugänge zu PHV blockieren. Über Jahre hinweg könnte praktisch nichts entwickelt werden. Da gibt es Bestandsgebäude, die mit kleinen Umbaumaßnahmen bezogen werden könnten. In Heidelberg und Umgebung warten tausende Menschen auf eine Wohnung. Die haben kein Verständnis dafür, dass der Bestand allmählich verfällt.
Als möglicher Standort wurde die ehemalige Middle School gehandelt – ganz im Südwesten von PHV. Wenn das Areal belegt wäre, wäre der Süden doch noch erreichbar – über den gleichen Zugang wie beim Bürgerfest. Oder nicht?
Da bin ich nicht sicher. Da muss ich mich auf die Fachleute verlassen. Die sagen, dass das nicht realisierbar wäre.
Sie stellen nicht nur in Heidelberg die größte Fraktion, sondern auch im Land. Und das Land bevorzugt einen Verbleib in PHV. Gibt es keinen Streit mit Ihren Parteigenossen auf Landesebene?
Nein. Die Stadtverwaltung und die Mehrheit des Gemeinderates haben ja immer gesagt, dass das Zentrum nur vorläufig auf PHV bleiben kann und wir eine andere Lösung suchen. Ich glaube, das ist weitgehend Konsens mit dem Land. Wir hoffen, dass sich für die Verlegung – und vor allem für die Finanzierung – nichts ändert durch die neue Haushaltssituation.
Sie befürchten also, dass das Land sagt, man könne sich einen Neubau auf absehbare Zeit nicht leisten?
Wir hoffen, dass es nicht so ist.
Sie sprachen davon, dass die Mehrheit Ihrer Fraktion für die Wolfsgärten stimmt. Wie groß ist diese Mehrheit?
Das weiß ich noch nicht, aber sie wird überwiegend sein.
Und für eine Mehrheit im Gemeinderat reichen?
Das hoffe ich, ja.
Luitgart Nipp-Stolzenburg. Foto: GrüneEinige Mitglieder Ihrer Fraktion stört, dass in den Wolfsgärten Ackerfläche versiegelt würde. Auch beim Gäulschlag hatten Sie das erwogen – zum Ärger von Naturschützern und Landwirten. Können Sie deren Kritik verstehen?
Zum Gäulschlag: Als wir uns die Details angeschaut haben, sahen wir schnell, dass die Bewirtschaftung dort hochwertiger ist als in den Wolfsgärten. Das liegt an der Bodenqualität, an der Beregnungsmöglichkeit. Da gibt es Gemüseanbau, also lokale Lebensmittelversorgung. Das ist auf den Wolfsgärten nicht der Fall. Und die Wolfsgärten sind bereits als Gewerbegebiet ausgewiesen. Nach dieser Abwägung haben wir gesagt: Wolfsgärten ist das kleinere Problem. Natürlich ist die Versiegelung landwirtschaftlicher Fläche immer ein Problem und darf nie leichtfertig hingenommen werden. Aber: Die Schaffung von Wohnungen für circa 10.000 Menschen und von circa 5000 Arbeitsplätzen ist nicht leichtfertig. Politik besteht häufig aus der Abwägung von Zielkonflikten. Da geht es um das Finden und auch um das Akzeptieren von Kompromissen.
Eine Bedingung, die Sie immer wieder formuliert haben, ist die Ausgleichsfläche für den Landwirt. Wissen Sie schon, wo die herkommen kann?
OB Würzner hat uns versichert, er habe bereits Flächen innerhalb und außerhalb Heidelbergs im Auge. Wir warten noch darauf, dass er uns diese Flächen nennt.