Evein Obulor ist die Antidiskriminierungsbeauftragte
Der Schwerpunkt ihrer Arbeit liegt auf Rassismus. Ein Thema, das die 26-Jährige seit ihrer Kindheit begleitet.

Von Denis Schnur
Heidelberg. Evein Obulor hat früh gelernt, anzupacken. Die 26-Jährige wuchs in einem kleinen bayrischen Ort am Bodensee auf, unweit der österreichischen Grenze. Viel Weinbau habe es dort gegeben, im Frühjahr haufenweise Erdbeeren, im Herbst Äpfel. "Meine Familie hatte einen Landwirtschaftsbetrieb, da war klar, dass man mithilft", erinnert sie sich. In dem kleinen Dorf kannte sich jeder, Gemeinschaft wurde groß geschrieben. "Ich hatte eine Bullerbü-Kindheit", sagt sie heute in einem Besprechungszimmer im Heidelberger Rathaus.
Doch obwohl Obulor behütet aufwuchs und ihre Familie im Dorf angesehen war, gehörte zu ihrer Kindheit auch immer wieder das Gefühl, dass sie anders sei, nicht ganz dazugehöre. Denn Obulor war nicht nur das Kind der Landwirtsfamilie – sie war auch das einzige Kind im Dorf mit dunklerer Hautfarbe. Und das machte sich bemerkbar – mal mehr und mal weniger deutlich: "Das klassische Beispiel ist die ewige Frage, wo ich herkomme." Nonnenhorn am Bodensee wurde nur selten als Antwort akzeptiert. "Nein, wo kommst du wirklich her?", folgte oft – und tut es noch immer. "Je nachdem, wie ich gelaunt bin, sage ich dann Nigeria – dort wurde mein Vater geboren – oder China, weil ich keine Lust auf das Gespräch habe."
Denn selbst wenn diese Fragen oft nicht böse gemeint sind, geben sie Menschen mit Migrationshintergrund das Gefühl, dass sie nicht dazugehören. "Diese Dinge passieren ständig. Und das macht etwas mit einem." Mikroaggressionen nennt die Sozialpsychologie das Phänomen: Äußerungen, die banal wirken und doch übergriffig sind. Neben der Frage nach der Herkunft etwa die Vermutung, Menschen mit dunklerer Haut könnten gut tanzen. Oder der Wunsch, ihnen in die Haare zu fassen. "Das ist wie ein Mückenstich. Einer juckt nur, aber ganz viele sind schmerzhaft und rauben dir die Energie", berichtet Obulor. "Als Kind versteht man nicht, dass das Rassismus ist. Man fragt sich, ob man etwas falsch macht, ob man wirklich anders ist." Heute weiß sie: "Das ist ein strukturelles Problem, für das ich nichts kann." Doch der Weg dorthin sei nicht einfach gewesen: "Es macht müde, traurig und manchmal auch sehr wütend."
Doch schon in ihrer Jugend hat Obulor versucht, diese Wut zu nutzen, um gegen Vorurteile anzukämpfen. Dieses Engagement hat sie auch ins Heidelberger Rathaus gebracht, wo sie seit Juni als Antidiskriminierungsbeauftragte mit Schwerpunkt Rassismus arbeitet. Eine Stelle, die wirkt, als wäre sie der jungen Frau auf den Leib geschnitten. Nicht nur, weil sie selbst Rassismuserfahrungen machen muss und sich deshalb in Betroffene einfühlen kann – sondern vor allem, weil sie eben am liebsten überall gleichzeitig anpacken möchte. "Ich bin schon immer total wuselig und muss die Sachen um mich herum mitgestalten."
Das zeigte sich etwa, als die junge Evein die Initiative ergriff, um ihr Gymnasium zur "Schule ohne Rassismus" zu machen. Oder als sie 2014 für ihr Lehramtsstudium in Politik, Spanisch und Wirtschaft nach Heidelberg kam und sich in zahlreichen Initiativen engagierte: Sie arbeitete in der Fachschaft, betreute geflüchtete Kinder im Ankunftszentrum, war Referentin beim Studierendenrat. Mit der "Seebrücke" setzte sie sich für die Rechte von Geflüchteten ein, sie war zweimal Jugenddelegierte bei der Frauenrechtskommission der Vereinten Nationen in New York, hat den "Youth Think Tank", der sich in Heidelberg für eine bessere Beteiligung junger Menschen einsetzt, seit seiner Gründung begleitet. Für ihr Herzensprojekt, den "Migration Hub Heidelberg", erhielt sie 2020 sogar die Heidelberger Bürgerplakette. Den Verein gründete Obulor 2016 – "während der sogenannten Flüchtlingskrise" – gemeinsam mit Kommilitoninnen und Kommilitonen: "Zu der Zeit gab es so viel Engagement. Alle wollten etwas machen", erinnert sie sich. Doch es sei klar gewesen, dass man all die Initiativen vernetzen muss, um wirklich etwas zu bewegen. Und das macht der "Hub" noch immer – auch wenn Obulor sich aus dem Vorstand zurückzog, als sie bei der Stadt anfing.
Diese ersten Jahre in Heidelberg, ihr Studium und ihr Aktivismus seien für sie extrem prägend gewesen, sagt die junge Frau heute. Vor allem die politische Philosophie habe ihr geholfen, zu begreifen, was um sie herum passiert. "Ich wusste natürlich, dass ich als Schwarze Person in Deutschland Teil einer Minderheit bin. Aber wie sich das auswirkt, wie Menschen warum darauf reagieren – dabei hat mir das Studium enorm geholfen." Und in den Initiativen habe sie gemerkt, dass man Dinge anpacken und gelegentlich verändern kann. "Das war total befreiend."
In dieser Zeit wurde Obulor auch bewusst, dass sie den Kampf gegen Rassismus zu ihrem Beruf machen will. Sie entschied sich gegen die Laufbahn als Lehrerin, absolvierte stattdessen einen Master in Friedens- und Konflikt-Studien in Innsbruck. Dort wurde die Aktivistin zur Expertin. Eigene Erfahrungen seien zwar wichtig, "aber um das komplexe Thema Diskriminierung wirklich zu verstehen und Handlungsoptionen kennenzulernen, habe ich mich auch zur Antidiskriminierungsberaterin ausbilden lassen." Denn der Umgang mit und der Kampf gegen diese Ungerechtigkeiten seien Dinge, die man lernen, bei denen man sich von wissenschaftlichen Erkenntnissen leiten lassen könne.
Bereits während ihres Studiums begann die junge Frau dann, das Thema auch beruflich zu beackern. Seit November 2019 ist sie bei der Stadt beschäftigt und koordiniert die Europäische Städtekoalition gegen Rassismus. Dabei hätte sie sich vor wenigen Jahren eine Anstellung bei einer Behörde kaum vorstellen können. "Ich komme aus einem sehr aktivistischen Setting und war da immer sehr kritisch", sagt sie selbst. Aber wenn sie bei ihrem Engagement nach Wegen gesucht habe, Dinge zu verbessern, sei sie eben oft bei der Stadtverwaltung gelandet. "Außerdem gibt es hier ein großes Verständnis für die Problematik", betont Obulor. "Es gibt bisher sehr wenige kommunale Antidiskriminierungsstellen in Deutschland. Das sagt ja auch etwas über Heidelberg."
Mit dem neuen Amt der Antidiskriminierungsbeauftragten wurde in diesem Jahr aus der Teilzeit- eine Vollzeitstelle. Während Obulor als Aktivistin in vielen Initiativen unterwegs war, ist sie nun als städtische Mitarbeiterin ebenfalls an vielen Fronten aktiv. Sie bündelt alle Aktivitäten der Verwaltung, die mit dem Kampf gegen Rassismus zu tun haben – etwa die Aufarbeitung der kolonialen Geschichte der Stadt, die Umsetzung der Ziele der Europäischen Städtekoalition oder erst kürzlich die Einrichtung der Bildungsstelle "Plurales Heidelberg". Außerdem soll sie die zahlreichen Akteure, die in der Zivilgesellschaft ohnehin aktiv sind, vernetzen und unterstützen. "Da ist gerade so viel in Bewegung", berichtet sie stolz. Spätestens seit den "Black Lives Matter"-Protesten sei das Thema auch in Deutschland auf der Agenda: "Die Gesellschaft ruft da lautstark nach Änderungen."
Bei der Arbeit der Antidiskriminierungsbeauftragten geht es jedoch nicht nur darum, Rassismus vorzubeugen, sondern auch darum, denen zu helfen, die akut betroffen sind. Entsprechend ist Obulor innerhalb der Verwaltung erste Ansprechpartnerin für Menschen, die aufgrund äußerer Merkmale benachteiligt werden. Sie hört zu und berät in einem Erstgespräch. "Wir leben zwar in einer sehr weltoffenen Stadt, aber auch hier ist Rassismus leider an der Tagesordnung", betont sie.
Wenn sie über ihren Job spricht, will sie aber nicht nur über Rassismus und Ausgrenzung sprechen, sondern betont immer wieder die Chancen, die die Vielfalt in Heidelberg mit sich bringe. "Ich habe selbst eine große Leidenschaft für Kunst und Kultur – und gerade da profitiert die Stadt enorm von den unterschiedlichen Perspektiven." Deshalb sieht sie es auch als ihre Aufgabe, die kulturelle Vielfalt in der Stadt zu fördern, ein Umfeld zu schaffen, wo Menschen sich kreativ entfalten können – wie etwa beim Afro Festival, das die Stadt seit 2020 unterstützt. "Da geht es auch um Selbstbestimmung, darum zu zeigen, dass wir mehr sind als unsere Rassismuserfahrungen." Ihr habe die Arbeit mit der Schwarzen Community persönlich viel Kraft gegeben. "Diese stärkende Erfahrung möchte ich mit anderen teilen."
Denn Obulor selbst ist zufrieden in Heidelberg, fühlt sich hier schon lange sehr wohl: "Dieses sichere Gefühl gibt mir die Möglichkeit zu schauen, was ich leisten kann für die Teilhabe anderer." Denn sie ist sich auch bewusst, dass sie trotz aller Ausgrenzungserfahrungen in einer anderen Welt aufgewachsen ist als viele andere, die in Deutschland von Rassismus betroffen sind: "Ja, ich bin eine Schwarze Frau. Aber durch meine Familie und meine Ausbildung bin ich auch privilegiert, das weiß ich." Sie wisse auch, dass das für nichtweiße Menschen nicht die Norm ist. "Gerade weil ich nicht für alle, die von Rassismus betroffen sind, sprechen kann und möchte, will ich aktiv das Gespräch mit möglichst vielen Menschen suchen."
Denn die Schicksale derer, die in Heidelberg unter Rassismus leiden, seien ganz verschieden: "Sie sind zum Teil hier geboren, zum Teil geflüchtet. Andere sind wegen des Studiums oder der Arbeit gekommen." Sie alle sollen in Obulor nun eine Ansprechpartnerin in der Stadtverwaltung haben. Eine Ansprechpartnerin, die ihr Leiden nachvollziehen kann und anpacken möchte, um die Dinge zu ändern. Denn: "Ich habe gemerkt, wie sehr dieses Thema mich in meiner Entwicklung gehemmt hat. Das soll für andere besser werden."