ine Assistenzärztin untersucht in einem Behandlungszimmer der Gewaltambulanz Heidelberg eine Frau. Die Gewaltambulanz
Heidelberg und rund 30 weitere Kliniken im Land bieten die
verfahrensunabhängige bzw. vertrauliche Beweissicherung nach Gewalttaten
an Frauen in Baden-Württemberg an. Foto: dpa
Von Birgit Sommer
Heidelberg. Die Gewaltambulanz der Heidelberger Rechtsmedizin kann weiterarbeiten. Sie steht nun finanziell auf ziemlich stabilen Beinen, wie die Chefin des Instituts für Rechtsmedizin, Prof. Kathrin Yen, berichtete. 150.000 Euro pro Jahr aus dem Etat des Landessozialministeriums sind künftig sicher. Das Universitätsklinikum Heidelberg hat seine Viertelmillion zumindest für das Jahr 2021 zugesagt.
Noch besser: Das Konzept für diese Einrichtung überzeugt weithin. Kommunen wie Heidelberg oder Karlsruhe und auch der Rhein-Neckar-Kreis wollen sich finanziell engagieren, damit die Kosten auf mehrere Schultern verteilt werden können. "Wir sind in Gesprächen", freut sich Kathrin Yen, "es sieht gut aus."
Seit 2011 hat die Rechtsmedizinerin die Gewaltambulanz als landesweit einmaliges Projekt aufgebaut; rund 500 Opfer von Gewalt aus ganz Nordbaden werden jährlich kostenlos untersucht. Ihre Verletzungen sind dann gerichtsfest dokumentiert, egal, ob sie ihre Peiniger sofort anzeigen oder sich den Gang zum Gericht für die Zukunft offen halten wollen. Blaue Flecken, Würgemale, Messerstiche, Sperma-Spuren, Knochenbrüche oder Giftstoffe in Blut und Urin – die Rechtsmediziner finden alles, wenn das Opfer rechtzeitig da ist. Deshalb ist die Ambulanz rund um die Uhr erreichbar. Yen ist zutiefst überzeugt davon, dass Gewaltopfer eine adäquate medizinische Versorgung brauchen. Und dass es bei der Betreuung letztlich um Prävention geht, zumindest bei Kindern.
Dazu zählt sie das auch neue Projekt "Armed" der Heidelberger Rechtsmedizin. "Wir bauen eine telemedizinische Versorgung für Kinder nach Misshandlung und Missbrauch auf", erläutert Yen. Kinderkliniken aus dem ganzen Land können sich beteiligen. Die Rechtsmediziner begleiten dann von Heidelberg aus unter Nutzung der Augmented-Reality-Technologie die Untersuchungen der Kinderärzte, die ihre Befunde per Datenbrille übermitteln. Auf diese Weise ist sichergestellt, dass jede kleinste Blutung und Verletzung bei den Opfern entdeckt wird. So, meint Yen, könne man das Fachwissen der Heidelberger in die Fläche bringen, denn eine Rechtsmedizin existiere im Land nur noch in Freiburg und in kleinerem Maße in Ulm. Das Pilotprojekt soll 2022 starten. Über 1,8 Millionen Euro wird das Land dafür aufbringen, das Universitätsklinikum Heidelberg schießt 380.000 Euro zu.
Auch ein neues Gesetz stärkt die Rechte von Gewaltopfern und trägt künftig zur Finanzierung der Ambulanzen bei. Mit der jüngsten Änderung des Sozialgesetzbuches V des Bundes werden die Krankenkassen verpflichtet, vertrauliche Spurensicherung am Körper einschließlich Dokumentation, Laboruntersuchungen und ordnungsgemäßer Aufbewahrung der sichergestellten Befunde zu bezahlen. Über die Höhe der Vergütung wird derzeit noch mit den Kassen verhandelt.
Im Corona-Jahr 2020 geht man allgemein von steigenden Zahlen bei häuslicher Gewalt aus. Während des ersten Lockdowns im Frühjahr, als viele Familien der Enge ihrer Wohnung nicht entfliehen konnten, zählte auch die Heidelberger Rechtsmedizin mehr Gewaltopfer, vor allem unter Frauen und Kindern. Doch weil die Gewalttaten außerhalb der eigenen vier Wände – etwa Messerstechereien – weniger wurden, erwartet Prof. Yen insgesamt keinen dramatischen Anstieg der Fallzahlen. Bilanz will sie im Januar ziehen.
Info: Die Gewaltambulanz Heidelberg ist rund um die Uhr unter Telefon 0152 / 5464.8393 zu erreichen.