Christopher (l.) und Augustina Odemwingie haben die Quarantäne mittlerweile beendet und konnten so den ersten Geburtstag der Zwillinge Divine und Dominic zumindest ein wenig feiern. Foto: Rothe
Von Denis Schnur
Heidelberg. Es ist ruhig an diesem sonnigen Nachmittag im südlichen Teil des Ankunftszentrums. Gespenstisch ruhig. Und das, obwohl in den angrenzenden Zeilenhäusern, in denen früher US-Soldaten mit ihren Familien lebten, rund 200 Menschen untergebracht sind. Doch sie befinden sich in Quarantäne, dürfen maximal vor die Haustür treten, wo sie ein Bauzaun und der Sicherheitsdienst am Weitergehen hindern. Vereinzelt stehen zwei bis drei Asylsuchende vor den Häusern, um wenigstens etwas von der Herbstsonne abzubekommen. Der Rest bleibt drinnen.
Es ist eine der vielen Maßnahmen, mit denen das Regierungspräsidium Karlsruhe (RP) und das Gesundheitsamt Rhein-Neckar einen Corona-Ausbruch im Ankunftszentrum verhindern wollen – und die das Ankommen in Deutschland gerade noch schwieriger machen. Wer Kontakt zu einem Infizierten hatte, aber auch wer neu in die Sammelunterkunft kommt, wird zunächst für zwei Wochen isoliert.
Familie Odemwingie hat die Zeit gerade hinter sich. "Es war stressig. Man fühlt sich eingesperrt und weiß nicht, was man mit der Zeit anfangen soll", erinnert sich Vater Christopher. 2016 floh er mit seiner Frau Augustina aus Nigeria, weil sie dort keine Perspektive sahen. Bis vor Kurzem lebten sie in Italien, dort kamen die Zwillinge Devine und Dominic zur Welt. Doch das Mittelmeerland war schon vor der Corona-Pandemie mit den vielen Geflüchteten überfordert. "Jetzt wurde es noch schlimmer", berichtet Mutter Augustina. In Deutschland fühlt sich die junge Familie deutlich sicherer. "Wir hoffen, dass die Dinge hier besser funktionieren", sagt die Mutter. Die strengen Maßnahmen findet sie deshalb richtig: "Das ist in Ordnung. Natürlich ist es schwierig, aber es ist ja auch für unsere Gesundheit."
So sehen es die meisten Asylsuchenden, die im Ankunftszentrum ankommen. "Nur ganz wenige sehen nicht ein, dass die Maßnahmen sinnvoll sind", erklärt Svenja Hillert, die beim RP für den Betrieb der Flüchtlingsunterkünfte zuständig ist. Und auch Pfarrerin Sigrid Zweygart-Pérez, die als Seelsorgerin im Ankunftszentrum arbeitet, sieht das ähnlich: "Die Menschen sind grundsätzlich sehr dankbar, dass das Problem Corona ernst genommen wird und sie bestmöglich geschützt werden sollen." Das hätten sie in ihren Heimatländern zum Teil anders erlebt. "Maskenverweigerer oder Ähnliches gibt es darum so gut wie nicht."
Auch für Familie Odemwingie war klar, dass sie sich an alle Auflagen halten. Also schlugen sie die Zeit in Quarantäne irgendwie tot. "Man denkt viel nach. Und ich habe gebetet, dass unsere Corona-Tests negativ sind, damit wir nicht noch länger isoliert bleiben müssen", erzählt Christopher Odemwingie. Dieses "Nichtstun" sei für viele Geflüchtete eine riesige Belastung, betonen auch Seelsorgerin Zweygart-Pérez und ihr Kollege Jochen Winter. Denn während auch vielen Einheimischen wegen der Corona-Maßnahmen die Decke auf den Kopf falle, sei es für die Asylsuchenden noch härter. Sie kommen in eine ungewohnte Atmosphäre, kennen kaum jemanden und können die Zeit nicht mal eben mit Netflix, Brettspielen und Fernsehen totschlagen. Kurse und Ehrenamtsangebote – sonst ein wichtiger Zeitvertreib im Zentrum – sind ebenfalls seit März ausgesetzt.
Im ehemaligen Casino der US-Armee warten die Neuankömmlinge auf ihre Anmeldung. Die aufgestellten Plastikstühle und Bauzäune sollen für ausreichend Abstand sorgen. Foto: RotheBeim RP weiß man, wie belastend diese Situation ist. "Aber wir müssen die Regeln strikt umsetzen, um das Risiko eines Ausbruchs zu minimieren", betont Svenja Hillert. Um den Menschen die Zeit in der Isolation zu vereinfachen, habe man in den Quarantäne-Häusern zumindest Fernseher installiert und das W-Lan ausgebaut. Laut Zweygart-Pérez reicht das jedoch nicht und vor allem die Internetversorgung müsse besser werden: "Besonders in der Zeit der Quarantäne ist es sehr schwierig, Kontakt nach außen zu halten." Und auch angebotene Online-Sprachkurse seien wenig hilfreich, wenn man nicht über das entsprechende Datenvolumen verfüge.
Wer die zwei Wochen in Isolation hinter sich gebracht hat, darf in den Norden des Zentrums umziehen. Auch dort schaut ein Sicherheitsdienst, ob die Hygieneregeln eingehalten werden. Hier gelten aber dann "nur" dieselben Regeln wie außerhalb. Heißt: Die Menschen müssen Abstand halten, in der Ambulanz und in der Kantine Maske tragen, Freizeitangebote gibt es kaum. Immerhin dürfen sich die Menschen frei bewegen, können selbst am Kiosk einkaufen, das Zentrum verlassen.
Dennoch ist es dort an diesem Nachmittag deutlich ruhiger als in normalen Zeiten. Trotz der Herbstsonne sind nur wenige Menschen draußen. Das liegt nicht nur an den Corona-Maßnahmen, sondern auch daran, dass derzeit insgesamt weniger Menschen im Ankunftszentrum untergebracht sind. Rund 1100 sind es aktuell. "Wir versuchen, keine Einrichtung im Land mit mehr als 50 Prozent der Kapazität zu belegen", erläutert Hillert. Für die Betreiberin der Einrichtung ist es ein Glücksfall, dass das Ankunftszentrum derzeit noch ein riesiges Areal in PHV belegt. "Hier sind die Möglichkeiten zur Entzerrung natürlich super."
Und für Familie Odemwingie ist es angenehmer, seit sie im Nordteil des Zentrums wohnt. Viel Abwechslung gibt es zwar immer noch nicht, und weil sich derzeit wegen der Pandemie auch die Anhörungen verzögern, haben sie keine Ahnung, wie lange sie noch hier bleiben müssen. "Aber es ist deutlich einfacher", sagt Mutter Augustina. "Jetzt gewöhnen wir uns langsam an die Menschen hier", fügt Vater Christopher hinzu. Einmal habe die Familie sogar schon die Stadt erkundet. Und immerhin wurde sie gerade noch rechtzeitig vor dem ersten Geburtstag der Zwillinge aus der Quarantäne entlassen. "Den können wir jetzt wenigstens ein bisschen feiern", freuen sich die Eltern.