Von Katharina Kausche
Heidelberg. Raus aus dem stickigen Klassenraum und rein in die Natur - einen Vormittag in der Woche verbringen die Fünftklässler des Englischen Instituts (EI) außerhalb des Klassenraums. Meistens sind sie in den Wäldern um Handschuhsheim unterwegs. In den Stunden im Freien unterrichten die Lehrer sowohl Biologie als auch Geografie. Uta Gade, Biologie- und Chemielehrerin, und Jakob von Au, Biologie-, Geografie- und Sportlehrer, haben das Konzept vor sechs Jahren entworfen und immer wieder weiterentwickelt. Dafür haben sie nun den Lehrerpreis "Projekte zur Förderung von Bildung für nachhaltige Entwicklung" von der Stiftung Kinderland erhalten.
Frau Gade, Herr von Au, herzlichen Glückwunsch zum Lehrerpreis. Solche Verleihungen wie die der Stiftung Kinderland bringen nicht nur eine Prämie, sondern auch Aufmerksamkeit für das Thema. Was bedeutet der Preis für Sie persönlich?
Von Au: Ich finde es schön, dass man unkonventionelle Konzepte würdigt. Es gibt im Schulalltag so viele Hindernisse und Gründe, etwas nicht zu tun. Lehrer werden durch solche Preise ermutigt, auch mal innovative Ideen zu verfolgen.
Das Projekt ist nun im sechsten Jahr. Was war die ursprüngliche Idee dafür?
Von Au: Ich habe während meines Auslandaufenthalts in Neuseeland Outdoor-Education studiert. Bei meinem Bewerbungsgespräch am EI hat Schulleiter Andree Körber nachgehakt und war von der Idee begeistert. Unsere Kollegen waren zum Teil erst mal skeptisch, aber auch die sind mittlerweile davon überzeugt. Im vergangenen Schuljahr wurde die Outdoor Education von sieben Kolleginnen und Kollegen getragen und bereichert.
Gade: Mir kam das absolut entgegen. Die Kinder sitzen den kompletten Vormittag in Räumen und müssen sehr viel stillsitzen. Das kann doch nicht kindgerecht sein. Als Lehrer fängt man zum Beispiel im Biologieunterricht an, die Natur für die Kinder hereinzuholen. Warum geht man nicht mit den Kindern raus?
Was sind die Vorteile von Outdoor-Education?
Von Au: Natürlich zunächst, dass die Kinder Natur erleben und die Lerninhalte dadurch langfristig gefestigt werden. Außerdem erlebt man die Kinder draußen ganz anders. Wir machen viel Gruppenarbeit, und da bilden sich immer neue Grüppchen. Die Struktur, die sich durch die Sitzordnung im Klassenraum ergibt, bricht auf.
Gade: Die Kinder lernen ganzheitlich und handlungsorientiert. Geht es zum Beispiel um das Thema Boden, untersuchen wir sowohl Pflanzen und Tiere als auch Bodenschichten und -eigenschaften. Wir versuchen, Schubkasten-Denken zu vermeiden.
Bei schönem Wetter einfach mal die Schulstunde nach draußen zu verlegen - den Wunsch kennt man ja noch aus der Schulzeit. Sind da nicht viele Schüler sehr aufgeregt und hibbelig, wenn es dann wirklich nach draußen geht?
Von Au: Es ist interessant, das über den ganzen Jahresverlauf zu sehen. Am Anfang merkt man, dass Kinder es nicht gewohnt sind, draußen Unterricht zu haben, draußen zu lernen. Zu Beginn meckern manche, am Ende des Schuljahres sind meist fast alle traurig, dass es vorbei ist.
Muss nun die Schule Kinder an die frische Luft bringen, weil sie in ihrer Freizeit eher mit Handy oder Playstation beschäftigt sind, statt den Nachmittag auch mal auf dem Spielplatz zu verbringen?
Gade: Kinder bekommen immer früher Smartphones, aber ob das nun zusammenhängt, kann ich nicht sagen. Was aber auffällt, ist, dass es extreme Unterschiede zwischen den Kindern gibt. Manche scheinen mit ihren Eltern viel draußen zu sein, andere haben Probleme, Gänseblümchen als solche zu erkennen.
Mehr Stunden als andere Fünftklässler haben die Schüler nicht. Trotzdem müssen Sie sich an die Bildungspläne halten und in Biologie und Geografie Klassenarbeiten schreiben. Wie bekommt man da den Lernstoff unter?
Von Au: Es ist für die Kinder, aber auch für uns Lehrer eine Herausforderung. Draußen müssen die Kinder mit vielen Umweltreizen zugleich klarkommen. Da kommt ein Spaziergänger oder ein Jogger mit Hund. Manchen Kindern fällt es schwer, dies auszublenden und sich auf eine Sache zu fokussieren.
Gade: Wir Lehrer müssen flexibler sein. Im Klassenraum ist alles durchgetaktet und vorbereitet. Wenn wir im Wald unterwegs sind, ergeben sich manchmal unerwartete Situationen, auf die man reagieren muss. Es hat zum Beispiel stark geregnet und der Lernort, an den wir wollten, ist überschwemmt. Dann müssen wir uns eben etwas anderes überlegen.
Bei den Europa- und Kommunalwahlen haben die Grünen sehr gut abgeschnitten. In Baden-Württemberg sind sie seit 2011 an der Regierung. Macht sich das auch beim Thema Bildung für nachhaltige Entwicklung bemerkbar?
Gade: Ich hatte schon den Eindruck, dass sich mit der Regierung hier in Baden-Württemberg die Bildungspläne geändert haben. Schon in Klasse fünf und sechs legt der Plan viel Wert auf das Thema erneuerbare Energien, Nachhaltigkeit, Müllproblematik und Recycling. Die Schule ist ein Ort, an dem Kinder geprägt werden. Die Regierung sollte die Umsetzung unterstützen. Das fängt bei einem energiesparenden Gebäude und der Mülltrennung an. Ich bin gespannt, ob mehr Grün in den verschiedenen Parlamenten das auch mal angeht.
Was haben Sie mit 25.000 Euro Preisgeld vor?
Von Au: Wir wollen das Forsthaus in Handschuhsheim, das wir für den Unterricht anmieten, besser ausstatten und eine Fortbildung für Lehrer organisieren. Am besten an einer Schule in Schottland oder Dänemark. Dort ist Outdoor-Education schon länger Teil der Lernpläne.
Gade: Außerdem suchen wir zurzeit nach einem Konzept, um Outdoor-Education auch in den höheren Klassenstufen zumindest teilweise fortzusetzen.