Von Anica Edinger, Denis Schnur und Philipp Neumayr
Heidelberg. Gründen mitten in der Corona-Krise – das erfordert vor allem eines: Mut. Die Geschichten von vier Geschäftsleuten, die es trotz der Pandemie gewagt haben, einen Betrieb zu eröffnen oder weiterzuführen – obwohl fast alles dagegen sprach.
Für die schönen Momente im Leben
Irgendwie dreht sich im Leben doch alles um die Liebe. Davon sind Vanessa Böcher und Daphne Wirsema überzeugt. "Sie ist immer eine Konstante", sagt Vanessa Böcher – und ihre Schwester nickt. Die Liebe: Sie ist auch, was die beiden Schwestern zusammenhält, von Geburt an. Denn die Heidelbergerinnen sind eineiige Zwillinge. Geboren und aufgewachsen in Heidelberg, waren die 30-Jährigen schon immer ein Herz und eine Seele. Und das trifft auch auf das Geschäftliche zu. Vor drei Jahren gründeten sie ihren Online-Shop "Marry & You" mit Artikeln rund ums Heiraten, Kinderkriegen und Festefeiern. Jetzt haben sie den nächsten Schritt gewagt, mitten in der Corona-Krise – und vor gut zwei Wochen ihren eigenen Laden in Neuenheim eröffnet. Corona hin oder her: "Als sich die Chance eröffnete, haben wir einfach entschieden: Wir machen das jetzt", sagt Vanessa Böcher. Sie hätten schon länger nach einer Verkaufsfläche, einer Art Showroom, Ausschau gehalten, wo sie ihre Waren präsentieren und verkaufen können. Das Aus des Käsegeschäfts in der Ladenburger Straße 6 war dann ihre große Chance – und sie griffen zu. In nur drei Wochen haben sie aus dem ehemaligen Delikatessen-Laden ein rosa Paradies für Bräute, Mütter und sonst alle gemacht, die Tipps und Anregungen "rund um die schönsten Momente im Leben" suchen, wie es die Zwillinge ausdrücken.
Vom Boden bis zum neuen Wandanstrich, Kleiderständern und der Empfangstheke: Alles haben die beiden mit Freunden und Familie selbst gemacht – im Rekordtempo. "Wir waren quasi Tag und Nacht im Laden", berichtet Böcher. Ebenso Rebecca Schuster, eine alte Schulfreundin der Zwillinge – und heute glücklicherweise Architektin. Jetzt sagen Böcher und Wirsema, auch vor dem Hintergrund steigender Corona-Infektionszahlen: "Wir hoffen einfach das Beste." Und sie blicken zuversichtlich in die Zukunft: "Wenn alles einmal vorbei ist, sind wir mit ,Marry & You’ schon da und können richtig durchstarten." Denn die Zwillinge haben noch große Pläne: Im Laden soll es Workshops geben, bei denen es etwa um Dekoration für das Fest gehen soll, aber auch um Gemeinschaftsaktionen, etwa für Junggesellinnenabschiede. "Wir wollen hier einfach für gute Stimmung sorgen", sagt Wirsema. Der Sekt jedenfalls steht schon kalt – und die Zwillinge freuen sich darauf. Die beiden verbinde "dieses Zwillingsein schon sehr", sagen sie. Warum? "Weil wir durch Höhen und Tiefen schon immer gemeinsam gegangen sind, weil wir in allen Lebenslagen zusammengehalten haben – und weil, wenn alles andere wegfiel, wir immer uns hatten." Deshalb haben die beiden es auch jetzt riskiert, ein Geschäft für Feiern zu eröffnen, wo das Feiern doch eigentlich gerade verboten ist. Doch sie sind sicher: "Hätten wir es nicht gewagt, würden wir auch nie gewinnen."
Der nächste Urlaub kommt bestimmt
Fabio Hildenbrand gründete gerade ein Reiseunternehmen. Foto: privatDie Restaurants sind zu, die Tage werden kürzer, das Wetter schlechter. Klar, dass sich da viele Menschen zumindest in ihren Gedanken schon in den nächsten Urlaub flüchten. Diese Menschen sind der Grund dafür, dass Fabio Hildenbrand und sein Team im August das Start-up "Backpacker Trail" gegründet haben. Das Unternehmen, das seinen Sitz im Gründerinstitut der SRH-Hochschule hat, hatte zuvor in kleinem Stil Reiseberatung gemacht. Nun entwickelt es eine Software, die anhand von Vorlieben, Budget und Zeit Reiserouten für Rucksacktouristen vorschlägt und Mitreisende vermittelt. Dann leitet es die Kunden an Partner weiter, bei denen die Reise gebucht werden kann. Durch deren Provision finanziert sich das Start-up mit seinem 40-köpfigen Team.
Aber wie sinnvoll ist es, ein Reiseunternehmen inmitten einer Pandemie zu gründen? Für den 24-jährigen Hildenbrand ist das kein Widerspruch. "2021 wird es sicher wieder Gebiete geben, in die man reisen kann", ist er überzeugt. Und seine App könne auf Reisebeschränkungen flexibler reagieren als große Anbieter, die auf bestimmte Regionen spezialisiert sind.
Außerdem strukturiere sich die Branche in der Krise gerade neu. Für kleine Start-ups sei das durchaus eine Chance. So sei "Backpacker Trail" laut Google mittlerweile die wichtigste Backpacker-Seite im Netz. Und das habe man sich erarbeitet: "In der Pandemie haben viele Konkurrenten – darunter vor allem Reiseblogs – weniger Inhalte produziert. Wir sind dagegen bewusst aktiver geworden." Das scheint anzukommen. Rund 10.000 Menschen besuchen laut Hildenbrand die Webseite im Monat – und träumen von der nächsten Reise. "Je länger die Pandemie dauert, desto mehr hat man ja das Gefühl, dass man wieder raus muss", erklärt Hildenbrand, der in Heiligkreuzsteinach aufgewachsen ist und in Heidelberg lebt. Wenn dann tatsächlich mal irgendwann wieder ein normaler Urlaub möglich sei, komme es deshalb zu einem riesigen Nachholeffekt: "Und dann sind wir schon positioniert."
Besser kleine als keine Brötchen backen
Mohamed Alhahbare betreibt die „Emmertsgrunder Backstub’“ im Forum 5. Foto: HentschelEin echter Treffpunkt – das ist es, was dem Emmertsgrund fehlt. Das hatte sich Mohamed Alhahbare schon lange gedacht. Nachdem die Mantei-Filiale im Forum 5 dicht gemacht hatte, nutzte er die Gelegenheit und eröffnete seine eigene Bäckerei: die "Emmertsgrunder Backstub’". Das ist nun fast zwei Jahre her. Doch erst seit kurzem ist es auch offiziell. Der 36-Jährige lebt seit zehn Jahren in dem Bergstadtteil. Er arbeitete als pädagogischer Betreuer an einer Grundschule, ab Ende 2018 betrieb er parallel die Bäckerei. Anfang des Jahres verlor Alhahbare seinen Job als Betreuer. Ob er die Bäckerei würde weiter betreiben könne, war unklar. Die Mietverträge waren bis dahin nur befristet gewesen. "Zwischenzeitlich habe ich nicht gewusst, wie es jetzt weitergehen soll", sagt Alhahbare.
Dann die gute Nachricht: Die Bäckerei kann bleiben. Seit 1. September hat Alhahbare einen langfristigen Mietvertrag. "Ein Glücksfall", wie er heute sagt. Die vergangenen Wochen und Monate nutzte er, um das Jahre alte Equipment auf Vordermann zu bringen, baute einen neuen Ofen ein und verputzte die Wände. Am liebsten hätte er auch das Mobiliar erneuert. Doch alles auf einmal, das sei finanziell nicht gegangen, schon gar nicht jetzt, in der Krise. Denn die Pandemie trifft natürlich auch ihn. Aber Alhahbare will sich nicht beschweren. Klar, die Umsätze seien zurückgegangen und seine geplante Frühstückskarte könne er vorerst auch nicht anbieten. "Deswegen den Kopf in den Sand zu stecken, wäre jedoch ein Fehler."
Eigentlich wollte der 36-Jährige die Bäckerei erst Anfang 2021 wieder aufmachen. Doch seine Kunden hätten ihn dazu bewegt, schon Ende Oktober neu zu eröffnen. Jetzt hofft Alhahbare, dass die Menschen in seiner Bäckerei bald wieder verweilen und plaudern können – und seine Bäckerei zu einem echten Treffpunkt wird.