Sie möchte den Ärmsten der Armen helfen

Christine Weitmann gründete vor 25 Jahren den Verein "Agape" - An Ostern besuchte sie ein Flüchtlingscamp in Griechenland

03.04.2016 UPDATE: 04.04.2016 06:00 Uhr 2 Minuten, 34 Sekunden

Christine Weitmann gründete den Verein Agape. Heute zählt er rund 600 Mitglieder. Foto: Hentschel

Von Marion Gottlob

Sie ist mutig, auch wenn ihr das selbst kaum bewusst ist: Seit 25 Jahren setzt sich Christine Weitmann mit dem Verein "Agape" für die Ärmsten der Armen ein. Nun hat die Trägerin des Bundesverdienstkreuzes und Autorin des Buches "Tropfen höhlen Steine" die Osterfeiertage mit Agape-Mitgliedern - darunter auch ein Arzt - in Griechenland verbracht und ein Camp mit Flüchtlingen besucht. "Ich kenne die Zustände im Slum von Kalkutta, dennoch hat mich die bittere Not der Flüchtlinge erschüttert", sagt sie, "wir halfen mit Medikamenten, Nahrung, Kleidung, Decken und Zelten, wo wir nur konnten."

Das altgriechische Wort "Agape" steht für "Nächstenliebe": Die Heidelbergerin wurde zu ihrem Engagement durch Mutter Teresa inspiriert. Bei einer Studienreise durch Indien fragte sie in Kalkutta nach der Ordensschwester. Der einheimische Gästeführer fuhr sie mit dem Motorrad zu Mutter Teresa. Der deutsche Gast wurde ohne Voranmeldung willkommen geheißen. "Ihr schlichtes Wesen und die Kraft ihrer Ausstrahlung bestärkten meinen Entschluss, wiederzukommen." Viele Jahre verbrachte die frühere Lehrerin Weitmann die Sommerferien bei Mutter Teresa und arbeitete in Sozialprojekten wie in einem Heim für Behinderte, einer Schule für Kinder von Prostituierten und einem Leprakrankenhaus mit.

Sie fasste den Entschluss: "Als Pädagogin wollte ich in den ärmsten Dörfern und in den Slums Schulen gründen - Lernen gegen Armut!" Mithilfe des Vereins Agape gründete sie rund 20 Schulen bei den Ureinwohnern und in den Slums von Indien und Bangladesch, in Nepal und in Tibet. Ihre erste Schule entstand am Hauptbahnhof von Kalkutta für die Straßenkinder. "Ich erwartete, dass die Kinder sofort in die Schule kommen würden - ein typisch deutsches Denken", lacht sie, "die Kinder müssen betteln und arbeiten. Sie durften erst kommen, als ich ihnen jeden Tag in der Schule ein warmes Essen anbot." Alle Schulen haben einheimische Träger und sind inzwischen selbstständig.

Ein weiteres Großprojekt liegt Weitmann am Herzen: Bangladesch ist einer der am dichtesten besiedelten Staaten der Welt und gehört gleichzeitig zu den ärmsten Ländern. Der größte Teil der Bevölkerung ist unterernährt. Nun ist es so, dass für circa 35 Millionen Einwohner das Grundwasser mit Arsen kontaminiert ist - laut der Weltgesundheitsorganisation WHO "die größte Massenvergiftung in der Geschichte der Menschheit". Es ist keine Katastrophe durch Menschenhand, sondern durch die Natur bedingt. Die Folgen sind Leber-, Lungen- und Hautkrebs. Weitmann: "Ich wurde darauf aufmerksam, als mir Kinder unserer Schulen ihre Wunden an Armen und Beinen zeigten." Ein Betroffener klagte: "Die Fußsohlen schmerzen bei jedem Schritt, ebenso die Handflächen, wann immer ich etwas greifen will." Zuerst ließ "Agape" Filteranlagen in die Haushalte installieren. Später hat der Verein in Kooperation mit Geologen der Universität Heidelberg und der einheimischen Universität von Dhaka durch Brunnenbohrungen etwa 20 Dörfer mit arsenfreiem Trinkwasser versorgt.

Die Hilfe geht weiter: Kurz nach dem Tsunami ließ die Vorsitzende von Agape in Südindien Fischerhäuser und ein Waisenhaus für überlebende Kinder bauen, unmittelbar nach dem Erdbeben in Nepal flog sie nach Kathmandu, um für Obdachlose Notunterkünfte zu besorgen, und gleich nach dem Einsturz der Textilfabrik in Bangladesch war sie auch zur Stelle und gründete für Überlebende von Rana Plaza eine Textilmanufaktur in Dhaka. "Die traumatisierten Menschen singen heute bei der Arbeit, die Atmosphäre ist freundlich." Doch als Weitmann vor Kurzem wieder in Bangladesch war, durfte sie diese Fabrik nicht besuchen. In Bangladesch sind mehrere Ausländer durch Gewalt zu Tode gekommen. "Zu gefährlich", so die Polizei. Weitmann wurde während ihres Aufenthalts die ganze Zeit überwacht: "So etwas ist mir noch nie passiert."

Doch Christine Weitmann lässt sich nicht beirren. Wie jedes Jahr wird sie auch 2016 in Indien, Nepal, Tibet und nochmals in Bangladesch vor Ort sein. Sie möchte ein Hilfsprojekt für die Flüchtlinge in Griechenland entwickeln. "Ich helfe nicht den Armen - ich helfe den Ärmsten der Armen." Altersbedingt ist die Vorsitzende jedoch auf der Suche nach einem Nachfolger, der Altes bewahrt und Neues bewirkt.

Info: Der Verein Agape feiert sein 25. Jubiläum mit einer Jahresversammlung am Samstag, 30. April, um 15 Uhr im Friedrich-Ebert-Haus, Pfaffengasse 18. Spenden gehen an Agape e.V., Stichwort: Flüchtlingshilfe, IBAN: DE 53 672 500 200 000 417 416.

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