Der Waschbrunnen am Lohplatz ist verschwunden. Verunreinigtes Trinkwasser am Lohplatz war höchstwahrscheinlich die Ursache der schweren Typhusepidemie 1942/43. Foto: rüb
Buchen. (pm/rnz) Corona hat uns fest im Griff und bestimmt unseren Alltag – das gilt insbesondere auch für schulische Abläufe. Wie war das eigentlich im Kriegswinter 1942/43 während der Typhus-Epidemie, die in Buchen wütete und viele Buchener das Leben kostete?
Zwei Zeitdokumente ermöglichen hier einen genaueren Einblick. Inge Schönit geb. Böhrer hat in ihren Unterlagen zwei Briefe entdeckt, die zeigen, dass auch damals Schulschließungen notwendig wurden – so gingen die Winterferien damals weit in den Februar hinein.
Die Odenwaldschule (so hieß das Burghardt-Gymnasium zum damaligen Zeitpunkt noch) teilt ihren Schülerinnen und Schülern zunächst am 25. Januar mit, dass die Schule über den 1. Februar hinaus bis zum 8. Februar geschlossen bleiben wird, um dann im zweiten Brief noch einmal auf Mitte Februar zu verlängern.
Beide Drucksachen sind frankiert mit der Dienstbriefmarke des Deutschen Reiches, die mit einem Hakenkreuz versehen ist. Auf den Hitlergruß wird verzichtet. Im ersten vorliegenden Schreiben wird darauf verwiesen, dass der Unterricht pünktlich um 7.45 Uhr mit der Fahnenhissung begonnen wird.
Das zweite Schreiben verweist auf die Empfehlung des Gesundheitsamtes an auswärtige Schülerinnen und Schüler, sich impfen zu lassen. Genau angegeben ist dabei auch der verwendete Impfstoff. Die Beschaffung des Impfstoffes scheint zum damaligen Zeitpunkt also kein Problem gewesen zu sein.
Ein Blick in die Schulchronik des Burghardt-Gymnasiums (aus dem Jahr 1995) macht deutlich, dass die Schule aufgrund der Epidemie über drei Monate, nämlich vom 6. November 1942 bis zum 15. Februar 1943, geschlossen war.
Das "Heim", das 1937/38 als Internat für die Odenwald-Schule gebaut worden war und später das Konvikt beherbergte, diente als Seuchenlazarett und blieb deshalb bis zum 29. März 1943 geschlossen. Heute befinden sich dort die Alois-Wißmann-Schule und die Katholische Fachschule für Sozialpädagogik.
Auch im Winter 1942/43 konnte den Schülern nicht genau gesagt werden, wann der Unterricht wieder beginnen wird. Repro: RNZAn der Typhusepidemie starben von November bis März 45 Menschen, jeder achte Buchener war in dieser Zeit an Typhus erkrankt. Teilweise fanden sieben Beerdigungen an einem Tag statt. Jakob Bopp erinnert sich noch daran, wie er als Ministrant mit Dekan Blatz während der Beerdigungen von Grab zu Grab lief. Tragisch war auch der Tod des elfjährigen Schülers Fritz Lehrer am 4. April 1943, bei dem fälschlicherweise eine Typhuserkrankung diagnostiziert wurde; er erlag aber letztendlich einem Blinddarmdurchbruch.
Wie Dr. Wolfgang Hauck und Rudi Arnold in einem früheren RNZ-Artikel berichteten, erkrankten 297 Buchener von November 1942 bis März 1943 an Typhus. Die Kleinstadt zählte damals 2400 Einwohner.
Buchen war – wie heute – im Ausnahmezustand. In den Wartturmausgaben vom März und April 1968 informierte Rudi Arnold nach einer Studie der Textquellen über die dramatischen Ereignisse. Er musste jedoch feststellen, dass Versäumnisse aus Leichtsinnigkeit, gepaart mit Verantwortungslosigkeit, den Ausbruch der Epidemie begünstigten. So zum Beispiel die Unkenntnis über die Auswirkungen ungenügender hygienischer Verhältnisse.
Für die Menschen in Buchen war der Typhus-Ausbruch ein Albtraum, der scheinbar nicht enden wollte. Gottesdienste, Unterricht in den Schulen und sonstige Versammlungen waren wegen der Ansteckungsgefahr untersagt. Notquartiere wurden eingerichtet.
Ärzte, Krankenschwestern und Geistliche waren bis zur Erschöpfung im Einsatz. Über Dekan Blatz wird berichtet, dass er die Kranken ohne das Risiko zu scheuen besuchte, Trost und die Sterbesakramente spendete. Nur mit seinen Ministranten feierte er in der verschlossenen Stadtkirche 1942 den Weihnachtsgottesdienst.
Die Gefährdung hätte man jedoch kennen müssen: Schon 60 Jahre zuvor hatte sich in Hamburg Ähnliches ereignet. Neben dem Fassungsbauwerk des Waschbrunnens am Buchener Lohplatz führte der Stadtgraben mit all seinem Unrat, Schlamm und den verschiedensten Ablagerungen vorbei. In seiner Nähe befanden sich Jauchegruben. Daneben wuschen die Frauen die Wäsche. Die Seifenbrühe und sonstiger Dreck gelangten direkt ins Quellwasser. Abwassersammler gab es in Buchen damals nicht.
Nach den Ereignissen erstattete der badische Innenminister in Karlsruhe dem Reichsinnenminister in Berlin Bericht. Man gelangte zu dem Ergebnis, dass die Epidemie auf völlig unzureichende Trinkwasserverhältnisse zurückzuführen war, die auch den primitivsten hygienischen Anforderungen an Sauberkeit nicht genügten.
Als der Typhus-Ausbruch überstanden war, wurde das Rochus-Gelübde von der Stadt und ihren Bürgern nach dieser Erfahrung ganz bewusst erneuert. Auch die St.-Rochus-Straße, an der das Burghardt-Gymnasium liegt, zeigt die große Bedeutung des Schutzheiligen für Buchen.
Und noch immer klingt die Typhusepidemie in Erzählungen und Berichten nach. Sie zeigt uns aber auch, dass Epidemien überwunden werden können.