Von Rüdiger Busch
Hardheim. Überall blüht es in bunten Farben, Grillen zirpen, Schmetterlinge flattern eifrig umher, und irgendwo singt eine Nachtigall: Schon wenige Minuten, nachdem wir das Naturschutzgebiet "Wacholderheide, Wurmberg und Brücklein" betreten haben, fühlt es sich an, als hätten wir eine Schatzkiste der Natur geöffnet. Dabei wurde diese Landschaft einst von Menschenhand geschaffen. Heute finden dort seltene Pflanzen wie Orchideen, Küchenschellen oder der Diptam ebenso ein Refugium wie Vögel oder Schmetterlinge.
Wer sich alleine zu einer Exkursion in die Hardheimer Wacholderheiden aufmacht, der kann sich natürlich an allem erfreuen, was dort so kreucht und fleucht. Um zu erfahren, welch hohen ökologischen Wert das Gebiet besitzt, und um die mitunter unscheinbar wirkenden botanischen Raritäten zu erkennen, empfiehlt es sich jedoch, an einem der geführten Spaziergänge des Geoparks Bergstraße-Odenwald teilzunehmen.
"Ich war selbst überrascht, was bei uns vor der Haustüre alles wächst", erklärt Vor-Ort-Begleiter und Forstwirt Hans-Jörg Englert, der sich seit gut acht Jahren intensiv mit den seltenen Pflanzen in der Region beschäftigt. Der Walldürner kann aber nicht nur fundiert über die heimischen Orchideenarten dozieren, sondern auch auf unterhaltsame Art erläutern, weshalb die Bürger seiner Heimatstadt früher "Dürmer Jopple" genannt wurden - die starke Häufung des Namens Josef in der Wallfahrtsstadt ist schuld daran.
Doch zurück zum Thema: Auf geht es in die unwirtlichen und steilen Muschelkalkhänge, die einst als Weinberge und später als Schafsweideflächen genutzt wurden. Im Laufe der Zeit bildeten sich durch die Beweidung Wacholderheiden heraus, denn diese Pflanze wurde von den grasenden Schafen wegen ihrer pieksenden Nadeln verschmäht. Heutzutage werden die Wacholderheiden und die Magerrasenflächen vom Mensch offen gehalten, so dass sich dort auch weiterhin eine besondere Artenvielfalt entwickeln kann. Jahrelang hatte der Odenwaldklub diese Aufgabe übernommen, heute kümmert sich der Maschinenring darum.
Die nährstoffarmen Böden sorgen dafür, dass hier einiges wächst, was andernorts längst verdrängt worden ist - etwa der Klappertopf, der in der Landwirtschaft als Unkraut gilt, hier aber das Wachstum der Orchideen mit ermöglicht. Weiter geht es zu einem kleinen Feld, in dem der Venus-Frauenspiegel - eine äußerst seltene Art - zwischen den Getreidehalmen wächst. Links am Wegesrand lenkt Englert den Blick auf eine abgeblühte Küchenschelle, rechts weist er auf die erste Orchidee des Spaziergangs hin: das Helm-Knabenkraut, das wie alle heimischen Arten der Pflanzenfamilie auf der Roten Liste steht. Weniger farbenfroh ist die Vogel-Nestwurz, die der Laie schnell übersieht, ebenso wie das Große Zweiblatt, das nicht wie eine typische Orchidee aussieht.
Es wird steiler, der Weg wird beschwerlicher, entsprechend kürzer fallen nun angesichts der am frühen Abend immer noch hochsommerlichen Temperaturen die Erläuterungen aus. Als das Plateau erreicht ist, offenbart sich dem Naturfreund eine wunderschöne Heidelandschaft mit faszinierenden Ausblicken. Und schon kann Hans-Jörg Englert die nächste Orchidee vorstellen, die Fliegen-Ragwurz. Sie geht bei der Bestäubung besonders raffiniert vor: Nicht nur, dass sie in Form und Farbe den Weibchen bestimmter Grabwespenarten ähnelt (deshalb der Name). Nein, sie verströmt zudem einen Duft, der dem Sexuallockstoff der Wespen gleicht. Fällt die männliche Grabwespe nun auf diese Attrappe herein und versucht, die Blüte zu begatten, überträgt sie dadurch die Pollen. In Sachen Einfallsreichtum ist die Natur wohl nicht zu übertreffen!
Zwischen den Wacholderbüschen finden die Insekten reiche Nahrung. Ihr bevorzugtes Ziel an diesem Abend: die rosa blühende Esparsette, eine alte Futterpflanze, die von Pferden und Rindern gern gefressen wird. Vorsicht ist dagegen bei der Zypressen-Wolfsmilch angesagt, die eine Teilnehmerin des Spaziergangs gerade gefunden hat. Hans-Jörg Englert klärt auf: Der austretende Milchsaft ist giftig, gelangt er ins Auge, kann man sogar blind werden.
Von der möglichen Gefahr richtet sich der Blick aber gleich auf die nächste Schönheit, auf eine ganz besondere noch dazu: den Diptam, auch Brennender Busch genannt, der bereits seit 1936 (!) unter Naturschutz steht. In einigen Bundesländern ist er schon ausgestorben, hier wartet ein ganzes Meer aus rosafarbenen Diptam-Blüten auf uns. Die Drüsen der Fruchtstände geben so viel ätherisches Öl ab, dass die Pflanze schon von weitem gerochen werden kann. Den ätherischen Ölen verdankt der Diptam auch seinen Beinamen: Sie können sich an extrem heißen Tagen nämlich selbst entzünden.
Von diesem Schauspiel bleiben wir verschont. Stattdessen geht es weiter in den Wald, wo Hans-Jörg Englert eine Elsbeere vorstellt, eine der seltensten und wertvollsten Baumarten Deutschlands. Und auch hier im Wald wachsen Orchideen, wie der Fachmann erläutert - etwa die Grünliche Waldhyazinthe.
Zurück im Offenland gibt es gleich die nächsten Orchideen zu sehen: die Sommerwurz und die Bienen-Ragwurz. Wohin unser Führer auch blickt - überall entdeckt er Orchideen. Was heute eine Rarität ist, wuchs früher fast an jeder Ecke. "Dass es hier so viele Tier- und Pflanzenarten gibt, die andernorts längst ausgestorben sind, liegt an der besonderen Vielfalt des Lebensraums hier", erklärt Hans-Jörg Englert auf dem Rückweg. In der Tat: Der Wald geht über in die Heidelandschaft, steile Hänge wechseln sich ab mit topfebenen Plateaus.
Eine halbe Stunde später sind wir zurück im Erftal, am Ausgangs- und Endpunkt des Spaziergangs. Auch wenn sich wohl keiner von uns die ganzen Namen seltener Pflanzen und bunter Schmetterlinge merken kann, mit denen uns Hans-Jörg Englert gefüttert hat, so wissen wir jetzt doch eins: Seltene Arten haben hier, quasi direkt vor unserer Haustüre, einen wertvollen Rückzugsraum gefunden. Schön, dass wir in diese Schatzkiste der Natur Einblick nehmen durften!
Info: Die nächste Führung durch die Hardheimer Wacholderheide findet am Sonntag, 11. Juni, ab 14 Uhr statt. Treffpunkt ist am Wasserhäuschen am Radweg nach Bretzingen (Zufahrt über Riedstraße und Mühlweg).