Markus Kroschewski, Ulrike Adam, Vanessa Thomauske, Regina Härtl und Katrin Eimer-Wiegand (v. l.) wollen Familien bei Problemen eine möglichst eigenständige Konfliktlösung ermöglichen. Foto: Dorn
Von Stefan Kern
Weinheim. Der Beratungsbedarf ist offenbar hoch. Um einen Termin bei der Psychologischen Familien- und Erziehungsberatung im Alten Rathaus zu bekommen, können nach der Anfrage schon einmal drei Wochen ins Land gehen. Wobei man daraus, betont Leiterin Ulrike Adam, nicht auf mehr und größere Probleme in Familien schließen könne.
Erstens seien die Beratungsangebote früher weit weniger bekannt gewesen und zweitens sei die Hemmschwelle, sich Hilfe zu suchen, heute deutlich niedriger als früher. Trotzdem müsse sie feststellen, dass Familien in der dauerflexiblen und beschleunigten Gesellschaft unter Druck geraten sind. Zahlreiche Veränderungen, etwa die Berufsfähigkeit beider Elternteile, räumliche Zersplitterung der Familie und der digitale Wandel hätten die eh schon vorhandene familiäre Komplexität und zwischenmenschliche Dynamiken nicht gerade entschärft.
Dabei verstehen sich Adam und ihre fünf Mitstreiter Katrin Eimer-Wiegand, Michael Engel, Markus Kroschewski, Vanessa Thomauske und Regina Härtl als Vermittler, die Übersetzungsarbeit leisten. Wobei der Ansatz stets die Perspektive des Kinds oder des Jugendlichen ist. "Sie sind in der Familie das schwächste Glied und zeigen auch am klarsten Verhaltensauffälligkeiten", weiß Adam.
Gemeint sind Auffälligkeiten wie ein Kind, das nicht mehr in den Kindergarten oder die Schule gehen will, sich absichtlich nicht an Regeln hält oder wachsende Lernschwierigkeiten zeigt. "Dahinter verbergen sich meist Konfliktlinien und genau die gilt es freizulegen", sagt Adam. In diesem Sinne verstehe sich das Team als Sprachrohr für Kinder und Jugendliche. Am Ende gehe es nicht per se darum, Probleme zu lösen. "Entscheidend ist es, die Handlungsfähigkeit der Familie wieder herzustellen und so eine möglichst eigenständige Konfliktlösung zu ermöglichen."
Ins Leben gerufen wurde die therapeutische Einrichtung bereits Anfang der 1950er Jahre. Was viele nicht wissen: Eltern haben einen Rechtsanspruch auf Erziehungshilfe. In Weinheim wurde dieser Rechtsanspruch in Form der kostenlosen und antragsfreien Beratungsstelle im Alten Rathaus verwirklicht. Nachdem die Beratungsstelle über Jahrzehnte eine städtische Dienstleistung war, hat 2013 das "Pilgerhaus" die Verantwortung übernommen. Als Zielgruppe sehen Adam und ihr Team jede Art von Familie, quer durch alle Schichten. Dass ökonomisch schwächere Familien mehr Probleme als finanziell wohlsituierte Familien hätten, sei ein Mythos. "In allen Familien können sich Konfliktsituationen in Sackgassen verwandeln, aus denen die Beteiligten aus eigener Kraft nicht mehr herausfinden", betont Adam.
Mit Versagen habe das nichts zu tun. Im Gegenteil: Momente der Überforderung seien zutiefst menschlich. Gerade angesichts von Schicksalsschlägen wie Trennung, Krankheit und Tod. Früher sei in solchen Situationen die Großfamilie eingesprungen und habe die Konfliktsituation abgepuffert. "Eine Strategie, die bei der Kleinfamilie so nicht mehr funktioniert", sagt Ulrike Adam.
Im Grunde könne man die Beratungsstelle als erweiterten Familienkreis verstehen, der den Betroffenen Zeit verschaffe, um Verhaltensweisen zu spiegeln – beispielsweise im Bereich der Medien. Die Konflikte um Medienzeit seien wohl in fast allen Familien zu finden. "Dabei schauen die Erwachsenen allzu oft auf die Kinder, anstatt sich selbst in den Blick zu nehmen", hat Adam festgestellt.
Im ersten Lebensjahr würden Kinder ihre Eltern in mehr als einem Drittel der Wachzeit mit Smartphone erleben. Kinder müssten folglich davon ausgehen, dass dieses Gerät wichtig sei. Sie selbst, nennt Adam ein Beispiel, habe Situationen erlebt, in denen ein Kleinkind das Smartphone und nicht das Elternteil aufgesucht habe, um sich zu beruhigen. Dies sei eine Reaktion auf das Verhalten der Eltern gewesen.
Je häufiger und undisziplinierter Erwachsene ihr digitales Gerät verwenden, desto wahrscheinlicher wird dieses Verhalten bei Kindern. "Die Eltern sind hier klar das Modell." Diese Feststellung gelte im Grunde für fast alles. Eltern müssten vorleben und erziehen und das möglichst im Einklang.
Ein häufiger Grund für Probleme sei auch eine Trennung der Eltern. Dabei gibt es für das Team zwei Überzeugungen, die dem Kind oder Jugendlichen unbedingt nahegebracht werden müssen. Erstens: Das Kind ist nicht schuld. Zweitens: Mama und Papa bleiben Mama und Papa. Schön wäre es, wenn sich Eltern mit Kindern bei Schwierigkeiten früher Hilfe suchen würden, wünscht sich Adam. "Ein Kind ist ein sehr guter Grund, an der Beziehung zu arbeiten."
Info: Psychologische Familien- und Erziehungsberatung Weinheim, Marktplatz 1, Telefon 06 205/14 36 2, Mail info@feb-weinheim.de, www.feb-weinheim.de. Anmeldung montags bis mittwochs und freitags von 9 bis 14 Uhr, donnerstags von 11 bis 17 Uhr. Jeden Donnerstag findet von 17 bis 19 Uhr eine offene Sprechstunde ohne Anmeldung statt.