Wenn die Menschen ergriffen auf den Boden schauen
Erinnerung an die jüdische Familie Buchheimer - Künstler Gunter Demnig verlegte sie

Gunter Demnig bei der Verlegung der Stolpersteine vor der Landstraße 6. Hinter ihm: Bürgermeister Just, Initiatorin Jeannet-Susann Kiessling und ihr Vater Rudi Frößinger. Fotos: Dorn
Von Annette Steininger
Hirschberg-Großsachsen. Gut 50 Menschen schauen fasziniert auf den Boden, auf drei kleine Steine. Klein, aber mit großer Bedeutung. Seit Mittwoch erinnern nämlich diese Stolpersteine an die jüdische Familie Buchheimer, die einst im Haus in der Landstraße 6 lebte.
Ohne sich von den vielen Menschen aus der Ruhe bringen zu lassen, schlägt Künstler Gunter Demnig drei Steine aus dem Pflaster und setzt die neuen aus Messing in den Boden. Mit einem Schwamm entfernt er den Arbeitsdreck, sodass die Namen auf den ersten in Hirschberg verlegten Stolpersteinen gut lesbar sind: Johanna, Henri und Helene Buchheimer. Allen Drei gelang 1938 rechtzeitig die Flucht in die USA und damit vor dem wohl sicheren Tod durch die Nazis.
Dass nun an sie erinnert wird, ist Jeannet-Susann Kiessling zu verdanken, die die Verlegung initiiert hat. Sie hat eine besondere Verbindung zu dem Haus in der Landstraße 6, lebten hier doch einst ihre Urgroßeltern, ihre Oma und ihr Opa. In ihrer Ansprache erklärt sie, wie wichtig sie die Aktion "Stolpersteine" findet.
"Die Idee, jeden einzelnen - wenn auch nur symbolisch - an den Ort zurückzubringen, den er oder sie als letzten Ort frei wählte, ist einzigartig." Millionen Opfer seien eine unbegreifliche Menge, "ein Stein aber steht für einen Menschen".
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Und diese seien "aus unserer Mitte" gekommen - aus Orten wie Großsachsen. "Es waren immer die Einzelschicksale, die das Dritte Reich, den Holocaust, für mich so unbegreiflich machten." Unbegreiflich auch, dass diese Unmenschlichkeit im Namen eines ganzen Volkes geschehen ist.
Auch die Großnichte von Henri Buchheimer, mit der Kiessling kürzlich in den USA sprach, hätte ihr gesagt, wie unvorstellbar es für ihre Vorfahren gewesen sei, dass man sie vertreiben, oder schlimmer noch, töten könnte.
"Sie waren Deutsche, bis sie auf ihr Judentum reduziert wurden", macht die Großsachsenerin, die in Palo Alto (USA) lebt, deutlich. "Mitglieder der Familie Buchheimer hatten für Deutschland im Ersten Weltkrieg gekämpft. Die Schwester von Henri Buchheimer war Krankenschwester an der Front; ihr Mann, den sie dort kennenlernte, Arzt."

Die Stolpersteine erinnern an Johanna, Henri und Helene Buchheimer.
Ergriffen hören die Anwesenden zu, darunter Freunde und Unterstützer, Gemeinderäte sowie Bürgermeister Manuel Just. Ihnen allen dankt Kiessling, denn sie haben anfängliche Unkenrufe Lügen gestraft: "Vor ungefähr zwei Jahren, als ich begann, die Idee umzusetzen, sagte man mir, ich würde viel Gegenwind bekommen. Ich freue mich, Ihnen sagen zu können, dass ich noch nicht einmal ein laues Lüftchen gespürt habe."
Dafür gibt es spontanen Applaus der Anwesenden. Viele von ihnen wie die Familien Böse, Dölzer und Hornung haben die Initiative von Kiessling auch finanziell unterstützt, denn alles in allem kostet die Aktion samt Vortrag rund 1000 Euro. Krimi-Autor Hans Dölzer, der seit 35 Jahren in Großsachsen lebt, hat 150 Euro gespendet.
"Ich finde es einfach wichtig, örtliche Initiativen in dieser Richtung zu unterstützen", erklärt er sein Engagement. "Mein Vater war Pfarrer und hatte selbst große Schwierigkeiten im Dritten Reich, weil er Menschen geholfen hat, denen er nicht hätte helfen dürfen."
Auch der Besitzer des Hauses findet die Aktion begrüßenswert, will aber namentlich nicht hervorgehoben werden. In seiner Hofeinfahrt stehen nun die Menschen, trinken Wasser und Sekt und lauschen den wehmütigen Klezmer-Klängen des Akkordeonisten Tobias Escher. Um die Musik und die Getränke haben sich Kiesslings Bruder und dessen Frau gekümmert.
Wofür sie ihnen ebenso dankt wie ihrem Vater: "Es sollte eine Initiative von Jeannet Kiessling werden, geworden ist es eine Initiative der Tochter des Ehrenvorsitzenden des Turnvereins ,Germania’ Großsachsen." Und eben für diese gibt es ein paar Blümchen von Bürgermeister Just, der sich aber bewusst im Hintergrund hält: "Das ist ihr Tag."
Auch für Klaus Dörsam ist es ein besonderer Tag. Schließlich ist die Landstraße 6 das Geburtshaus des langjährigen Grundschul-Hausmeisters. "Ich kann mich gut daran erinnern, als hier noch die Pferdeställe waren", zeigt der 74-Jährige nach rechts. Die Familie Buchheimer betrieb einen Pferdehandel, wovon noch ein Pferdekopf am Haus zeugt.
Trotz der über 69.000 Stolpersteine ist es nicht zuletzt auch für Demnig ein besonderer Moment. "Ich finde es wichtig, dass so etwas auch in kleinen Kommunen passiert, wo es oft schwieriger ist, weil alles viel persönlicher ist."
Und wer weiß: Vielleicht gibt es in Hirschberg irgendwann noch mehr Stolpersteine. "Jeder kann die Initiative ergreifen", sagt Kiessling. Sie bietet gerne Unterstützung an. "Jetzt genieße ich aber erst mal, dass wir es hier hinbekommen haben."