Heimat – was ist das?
Werden wir unserer Heimat erst bewusst, wenn sie fehlt? Ist Heimat die Region, aus der wir stammen? RNZ-Autor Wolf H. Goldschmitt hat Menschen im Rhein-Neckar-Raum gefragt und festgestellt, so einfach ist das nicht.

Kulturlandschaft im Odenwald: Wald, Weide, Weg und Streuobstwiese im Kunzenbacher Tal in Weinheim. Foto: Veigel
Heimat ist ein urdeutsches Wort und so richtig in keine Fremdsprache übersetzbar. Es gibt eine Heimatkrankenkasse, auf Tetraboxen wirbt die Milchindustrie mit "Heimat, die man schmecken kann", "Heimat zum Anfassen" versprechen Museen, Heimatvereine tummeln sich allerorten und für die Touristikregion Hochschwarzwald gehen sogar Heimatbotschafter auf Reisen.
Für viele gilt Familie als Heimat oder die Freunde, der Geburtsort, der Dialekt und das Lieblingslokal. Wenn die Nationalmannschaft Weltmeister wird, bekommt die politisch oft missbrauchte Formel Heimatland vorübergehend einen guten Klang.
Unzweifelhaft, das Wort selbst klingt altmodisch in einer vernetzten, globalisierten Welt, in Zeiten von "Multikulti" und der wachsenden Zahl von Migranten, die oftmals unfreiwillig heimatlos geworden sind. Dennoch gibt es eine Schnittstelle: Denn für alle bedeutet Heimat zunächst einmal der Platz der Verwurzelung. Anders gesagt: dort, wo man sich wohlfühlt. Solange Heimat allgegenwärtig ist, spürt man sie kaum. Erst wenn sie fehlt, wird einem ihre Bedeutung wirklich bewusst.
Wir haben Menschen aus der Metropolregion zum Thema Heimat befragt. Den gebürtigen Mannheimer Chako Habekost, den Musiker Adax Dörsam, den Maler Marcel Weber, den Chef des Instituts für deutsche Sprache, Ludwig Eichinger, und die Heidelberger Wirtin Claudia Kischka, sowie deren Vater Karl Kischka.
Heimat ist Hochgefühl
Christian Chako Habekost, "Comedyant" und Kabarettist, singt - wie sollete es beim "Palatinator" anders sein - ein Loblied auf die Kurpfalz: Heimat ist Hochgefühl ist "High-mat". "Diese unvergleichlich lokalpatri(di)otische Emotion, wenn man auf Reisen war und zurückkommt, einrollt in das breite Tal mit Schloten & Schlotten, Wald & Wingert, Michelin-Stern-Paradies & Grumbeer-Geleriewe-Gemies, Amuse Geule & Worschdmarkt-Gegröl. Und sich dann unweigerlich fragt, warum man jemals weg war, wo man doch hier lebt im Garten Eden(koben). Oder in High-delberg. Also auf jeden Fall do, wo anner Leit Urlaub machen.
High-mat sind Kurpälzer un Pälzer, Metropolitaner, die coolste Deutsche, wo’s gibt. Pälzer, wo immer in Kur sin, historisch gsehe sowieso. High-mat ist Identität. Und Identität ist nicht unbedingt abhängig von Grenzen und Staaten und Politikern und Geschichtsschreibern. Identität ist Zugehörigkeitsgefühl, Liebe und: Sprache. Sprooch. Dialekt. Mund-ART, die Kunscht so babbeln zu dürfe, wie em die Schnut gewachse is.
Ich steig in Därkem ins Auto und in Eberbach wieder aus. Und obwohl ich über 100 Kilometer und durch drei Bundesländer gefahren bin, Flüsse über- und Städte durchquert habe - kaum klappt ener sei Gosch uff un babbelt - schunn fühl ich "High-mat". Der länderübergreifende, kur/pfälzische Sprachraum macht’s möglich.
High-mat is so wichtig, dass wir diesen Begriff, dieses Gefühl nicht irgendwelchen Dumm-Nazis überlassen dürfen. Er gehört uns, die wir unser Leben dankbar genießen. High-mat is des do. Des Stickel Erd do. Do, wo mir lebe un nirgendwo annerschd sein wolle. Weil nur do wo mir sin wie mir sin, hot des Lewe aa en Sinn."
Für Karl Kischka, langjährigen Chef des Heidelberger Traditionslokals "Zum Güldenen Schaf", ist die Kneipe ein Ort der Heimat - zumindest für Männer: Ein Blick aufs Land zeigt auch heute noch: wesentliche Elemente für ein Heimatgefühl sind Kirche und Gasthof. Im Gasthaus fühlen sich hauptsächlich die Männer heimisch. Die Gründe finden sich in der gesellschaftlich Entwicklung.
Seit Jahrhunderten hatten Männer und Frauen unterschiedliche Aufgaben im täglichen Leben und damit unterschiedliche Probleme. Während die Frauen über ihre Sorgen zu Hause sprachen, trafen sich die Männer in der Schenke mit passenden Gesprächspartnern. Und deshalb gibt es selbst in Großstädten noch jene Kneipen, die für Männer am Stammtisch noch ein wenig Heimat bedeuten.
Ruhe und Kraft
Kischkas Tochter Claudia, die die Geschäfte seit langem führt, sieht das anders: "Für mich persönlich ist Heimat etwas unendlich Wichtiges und sehr Emotionales. Das ist dort, wo ich mich geborgen, unbeschwert und sicher fühle, mein Nest. Wenn ich mal wegfahre, geht mein Herz auf, wenn ich zurückkomme, von der Autobahn komme und den Neckar entlangfahre. Alle Anspannung fällt von mir ab, in fremdem Terrain gewesen zu sein. Da kann der Urlaub noch so schön und interessant gewesen sein. Die Vertrautheit gibt mir Sicherheit und somit Ruhe. Heimat ist Heidelberg auch deshalb für mich, weil die Menschen, die mir wichtig sind wie Familie, Freunde, Mitarbeiter, um mich sind.
Mein persönlicher Heimatsinn geht soweit, dass er sich auf die Altstadt bezieht. Selbst wenn ich in der Südstadt geboren und aufgewachsen bin, so hat sich doch die Altstadt zu meiner Heimat entwickelt. Es ist also nicht unbedingt der Geburtsort. Auch in den sieben Jahren Neuenheim habe ich mich fremd und unwohl gefühlt. Erst mit dem Umzug in die Altstadt konnte ich wieder atmen, fühlte ich mich wieder unbeschwert, fand ich mein Lachen wieder und damit meine innere Ruhe und Kraft. Heimatlos oder fremd zu sein, würde mir das alles nehmen.
Heimat ist für mich der Ort, an dem ich sein kann, wie ich bin. Bedingungslos. Mich nicht verstellen muss. Sowohl in Bezug auf Menschen als auch auf den Ort. Und das ist für mich das, was Leben ausmacht."
Handkäs’ und Apfelwein
Bei Adax Dörsam, einem renommierten Musiker, schlagen zwei Herzen in einer Brust: "An einem sonnigen Sonntagvormittag wurde ich in Mannheim-Lindenhof geboren, das war schon mal ein guter Beginn! Ich wuchs auf mit dem breitesten Monnemer Dialekt - fuhr aber jedes Wochenende mit meinen Eltern in den Odenwald meine Großeltern besuchen. Was für ein Gegensatz: hier die schnelle auf helle Vokale getrimmte Sprache, dort die schwere mit dunklen Vokalen daherkommende Mundart. Ich hatte eine wunderbare Grundschulzeit und fühlte mich auf dem Lindenhof pudelwohl. Der Bellekrabbe, die Rheinpromenade, ein Dorado für einen neugierigen Knaben… Der Rhein faszinierte mich, an seinem Ufer spielten wir, in ihm badeten wir. Mein Stolz war ein von mir mit der Laubsäge ausgesägtes liebevoll bemaltes Mannheimer Wappen aus Sperrholz. Es war klar zu sehen: Mannheim war meine Heimat!
Dann wechselte ich das Lager: Wir zogen in das frisch gebaute Eigenheim nach Fürth in den Odenwald. Ich kam in das Martin-Luther-Gymnasium nach Rimbach. Die Weschnitz war zwar lächerlich klein im Vergleich zum Rhein, aber eine neue Welt tat sich auf: Die 68er Bewegung begeisterte mich. Lange Haare, lange Nächte, gefährliche Substanzen, subversive Musik. Wir gründeten die legendäre Band "Goldfink" mit eigenen deutschen Texten - wir wollten die Welt aus den Angeln heben! Ich vernarrte mich in Apfelwein und Handkäs - es war nicht zu verleugnen: Der Odenwald wurde meine Heimat!
Es wohnen zwei Seelen in meiner Brust: Zwei mal Heimat einträchtig nebeneinander.Wenn ich dann gelegentlich von der Reling eines Kreuzfahrtschiffs, auf dem ich Musik mache, auf die Südsee blicke, durchzieht mich ein süßer Schmerz, wenn ich an den Wasserturm, den Rhein oder das liebliche Weschnitztal denke….. Wunderschön, diese Südsee, aber keine Heimat!"
Marcel Weber, Teil des Mannheimer Künstlerduos Weimer & Weber, das gemeinsam Bilder malt, sucht mitten in Mannheims Quadraten Ruhe für Inspiration: "Kunst muss authentisch sein. Malerei ist immer eine Auseinandersetzung mit der eigenen Sozialisation, mit sich selbst und mit der Umgebung. Das Authentische gelingt besser da, wo man seine Heimat hat und nicht irgendwo in Berlin oder auf einer Insel, dann wäre die Inspiration weg. Für mich ist Mannheim meine Heimat. Bei uns, Weimer & Weber, kommt dazu, dass meine Malpartnerin Olga Weimer außerhalb von Europa sozialisiert wurde, hier aber ihre Heimat gefunden hat. Das ist wichtig ist für unsere Kunst, es kommt eine andere Komponente dazu, die unsere gemeinsam gemalten Bilder in ihrem Ausdruck steigert", sagt Marcel Weber.
"Für mich ist es toll mitten in der Stadt zu leben in Sichtweite von Capitol und Alter Feuerwache und ich liebe diesen Trubel, diesen Verkehr, auch den Lärm, das pulsierende Leben. Hier wohne ich und wenn ich Ruhe brauche, gehe ich in unser Atelier in der Innenstadt, das zwar in den Quadraten liegt, aber im Hinterhof trotzdem abgeschieden und still ist. Vollkommene Stille finde ich in 20 Minuten Entfernung im Pfälzer Wald oder im Odenwald, wo ich stundenlang durch den grandiosen Wald laufen kann, ohne jemandem zu begegnen.
Und nach Pfälzer Saumagen und Rieslingschorle zurück in Mannheim, genieße ich das internationale Flair und die Menschen aus den verschiedensten Kulturkreisen, die die Stadt bereichern."
Die Sprache verstehen
Ludwig M. Eichinger, Direktor des Instituts für deutsche Sprache, geht der Frage auf den Grund: Gehören Heimat und Sprache zusammen? Wenn der verstorbene britische Schriftsteller Bruce Chatwin erklärt, dass Heimat dort sei, wo man die Witze verstehe, so legt dieser Satz nahe, dass zu dieser Heimat nicht zuletzt das Verstehen der geteilten Sprache gehöre.
"Man kann natürlich sagen und man wird nicht bestreiten, dass man Witze, also "um die Ecke gedachte Geschichten" erst so recht versteht, wenn man in der Sprache, in der sie erzählt werden, zu Hause ist. So gesehen ist die Sprache oder sind die Sprachen, in die hinein man aufgewachsen ist, die Orte, in denen uns das am natürlichsten geschieht. Aber natürlich können einen die Gewohnheit in weiteren Sprachen und die Neigung zu ihnen auch in weiteren Fällen in solch einen Zustand bringen. Gewohnheit und Neigung, hinter denen die Fremdheit der Sprache allmählich verschwindet, das sind Wörter, die schon andeuten, dass es um die Sprache allein nicht geht. Die Sprache verstehen heißt nicht nur hier, die Art zu kennen und vielleicht auch zu beherrschen, in der man miteinander umgeht, wenn man miteinander spricht.
Sicherlich ist das Leben in einer Moderne, die in die unterschiedlichsten Verhältnisse führt - selbst wenn man nicht so dezidiert "nomadisch" ist wie Chatwin - für viele von uns eine Schule in einer größeren Zahl von solchen sprachlichen und kulturellen Welten, die man dann mehr oder minder zu seiner Heimat erklären kann. Dennoch bleibt wahr, dass die sprachliche und kulturelle Umgebung in der man aufwächst, doch einen als so natürlich angesehenen Rahmen bildet, dass man sich in ihm ohne weiteres Nachdenken zu Hause fühlt und ihn dann oft auch bewusst als seine Heimat versteht. Im deutschen Sprachraum sind es traditionell regionale - aber auch auf soziale Gruppen bezogene - Varianten, mit denen solch ein Bewusstsein verbunden ist, das auch in unseren weithin traditionsentbundenen Zeiten durchaus als Merkmal der eigenen Identität gewählt wird - und nicht zuletzt mit darüber entscheidet, was man witzig findet."