Das ABC des Jahrzehnts
Hula-Hoop und Petticoat: Die Kaufkraft steigt, die Lust auf gutes Essen und Unterhaltung ebenfalls. Und was macht die Jugend?

Von Kathrin Hoth
A wie ADAC: Im Januar 1954 rollt in Deutschland das erste Pannenfahrzeug des ADAC über die Straße. Allein in den ersten drei Monaten leistet die Straßenwacht 25.000 Mal Beistand.
B wie Bowle: Nach den harten Nachkriegsjahren ist den Deutschen in der zweiten Hälfte der 50er Jahre nach Feiern zumute. Eine Bowle darf auf keinem Buffet fehlen. Besonders gerne wird bei Partys Kalte Ente aus Weißwein, Sekt und Zitrone geschlürft.
C wie Clemens Wilmenrod: Der (wenig erfolgreiche) Schauspieler kann vor allem eines: sich selbst in Szene setzen. Obwohl er keine Kochausbildung hat, tritt er ab 1953 als Fernsehkoch auf. Er kocht banale Gerichte mit viel Tamtam live und verleiht ihnen hochtrabend klingende Namen. Angeblich erfindet Wilmenrod den Toast Hawai und das Arabische Reiterfleisch, einen einfachen Hackfleischeintopf.
D wie "Der Fänger im Roggen": Der Roman des amerikanischen Autors Jerome D. Salinger trifft 1951 genau die Stimmung vieler junger Menschen. Die Geschichte um Holden Caulfield, der von der Schule fliegt und drei Tage durch Manhattan irrt, wühlt Generationen auf.
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E wie Einkommen: Bis zur Mitte des Jahrzehnts geht es in den meisten Haushalten noch bescheiden zu. Die Kaufkraft der Einkommen entspricht 1950 denen der besten Jahre der Zwischenkriegszeit (1928 und 1938). Die ausgabefähigen Einkommen verdoppelten sich allerdings bei einem vierköpfigen Arbeitnehmerhaushalt zwischen 1950 und 1960 auf monatlich 670 DM.
F wie Fresswelle: Bereits 1952 erscheinen Zeitungsberichte, dass viele Deutsche zu dick sind. Reichhaltiges Essen gilt als Statussymbol, vor allem der Hunger nach Fleisch ist groß. Eine Hausfrau, die etwas auf sich hält, geizt auch nicht mit Zucker und Buttercreme in der Torte. Möglich wird das, weil die Reallöhne steigen und die Preise für Lebensmittel sinken. Eine vierköpfige Familie gibt im Schnitt 1950 noch 46 Prozent ihres Einkommens für Essen aus, 1960 sind es nur noch 36 Prozent.
G wie Gleichberechtigung: "Männer und Frauen sind gleichberechtigt" – so steht es seit 1949 im Grundgesetz. Doch die Realität sieht in den Jahren danach noch anders aus. Erst das Gleichberechtigungsgesetz von 1957 rüttelt an dem bis dahin bestehenden patriarchalischen Eheverständnis. Unter anderem brauchen Frauen nun nicht mehr die Zustimmung ihres Mannes, um zu arbeiten – allerdings nur, wenn sie damit ihre Pflichten in der Ehe nicht vernachlässigen.
H wie Hula-Hoop: 1958 schwappt der erste Fitnesstrend der Welt aus den USA nach Deutschland. Die Spielzeugfirma Wha-O Corp. verkauft in nur vier Monaten 25 Millionen Hula-Hoop-Reifen auf dem amerikanischen Markt. Bald kreisen die Kunststoffreifen auch um Tausende deutsche Taillen. Hula-Hoop wird zum Familiensport.
I wie Ischler Törtchen: Bei der Weltausstellung 1958 in Brüssel erringt diese süße Versuchung aus Mürbteig und Schokoladencreme-Füllung eine Goldmedaille. Seitdem fehlt das Rezept in keinem klassischen Backbuch. Kreiert wurden die Ischler Törtchen im 19. Jahrhundert von der Konditorei Zauner in Bad Ischl (Österreich).
J wie Jugend: Spießigkeit und Doppelmoral prägen in den Augen vieler Jugendlicher das Denken der Eltern. Einige begehren auf: die Halbstarken. Sie provozieren bewusst mit schwarzen Lederjacken, Blue Jeans und Rock ’n’ Roll. Immer wieder kommt es zu Krawallen, oft im Anschluss an den Film "...denn sie wissen nicht, was sie tun" mit James Dean, der zum Jugendidol wird.
K wie Kalter Hund: Butterkekse und Kakao-Kokosfettcreme geschichtet – fertig ist der beliebte Nachtisch der Wirtschaftswunderjahre. Der Name Kalter Hund rührt einerseits vom kühlenden Effekt des Kokosfetts auf der Zunge. Hund verweist auf die Grubenhunten (Förderwagen) im Bergbau, die an eine Kastenform zum Kuchenbacken erinnern.
L wie Lieselotte Pulver: Ihr herzliches Lachen ist das Markenzeichen der Schweizer Schauspielerin. Ihre größten Erfolge feiert sie mit Filmen wie "Ich denke oft an Piroschka" (1955) oder "Die Zürcher Verlobung" (1957).
M wie Milchbar: Sie sind ein kleines Stück verheißungsvolles Amerika mitten im biederen Nachkriegsdeutschland: In Milchbars, die von der Einrichtung her oft an amerikanische Diner erinnern und meist mit der obligatorischen Jukebox ausgestattet sind, trifft sich die Jugend, um unter sich zu bleiben und Rock ’n’ Roll zu hören. Zwar gibt es dort nicht nur die namensgebenden Milchshakes, aber keinen Alkohol.
N wie Nierentisch: Drei schräg gestellte dünne Beine und eine asymmetrisch geformte Tischplatte – mit diesem Design stellt man sich in den 50ern bewusst gegen die Starre des Nationalsozialismus. Das Möbel ist eine Zeit lang so verbreitet, dass manche gar vom "Nierentisch-Zeitalter" sprechen.
O wie Obst aus der Dose: Mit dem Wohlstand steigt auch der Wunsch nach Ausgefallenem. Beim Essen kommt die Exotik meist in Form von Dosenobst wie Ananas, Mandarinen oder Pfirsichen auf den Tisch.
P wie Petticoat: Der bauschige Unterrock aus Perlon- und Nylonstoffen ist das Symbol des Jahrzehnts. Modeschöpfer Christian Dior verhalf dem Petticoat 1947 mit seiner "Blütenkelchlinie" (runde Hüfte, schmale Taille) zum Durchbruch. Die schwingenden Röcke waren eben einfach perfekt, um zu Rock ’n’ Roll-Rhythmen zu tanzen.
Q wie Quo vadis: Der Film von 1951 markiert den Karrierebeginn für Peter Ustinov, der in der Rolle des Kaiser Nero brilliert. Der Streifen ist für acht Oscars nominiert.
R wie Radio: Die 50er sind das Radiojahrzehnt. Fast jeder Haushalt besitzt einen Empfänger. Die durchschnittliche Hördauer verringert sich aber gegen Ende des Jahrzehnts von drei auf zwei Stunden täglich – das Fernsehen wird beliebter.
S wie Sonntagsspaziergang: Freizeitgestaltung in den 50er Jahren, das bedeutet vor allem Zusammensein mit der Familie. Die ausgeprägte Häuslichkeit ist der Gegenpol zu langen Arbeitstagen und einer Sechs-Tage-Woche. Der Deutschen liebste Beschäftigung am Sonntag ist ein Spaziergang, natürlich fein herausgeputzt.
T wie Tolle: Ohne Pomade oder Haarspray geht bei echten Rock ’n’ Rollern nichts. Denn ohne Kosmetika keine Haartolle. Bill Haley und Elvis Presley können ein Lied davon singen. Die Ursprünge der Frisur reichen bis ins 18. Jahrhundert zurück. Als eine der frühesten Trägerinnen gilt Madame de Pompadour, Mätresse des französischen Königs Ludwig XV. Man spricht deshalb auch von der "Frisur à la Pompadour".
U wie Urlaub: Zu Beginn der 50er Jahre fährt nur ein Fünftel der Deutschen in den Urlaub – und dann nur selten ins Ausland. Das Bild vom deutschen Italien-Urlauber in den 50er Jahren stimmt also nur bedingt. Trotzdem rückt das Land näher. 1955 wird das erste Anwerbeabkommen unterzeichnet, Millionen Gastarbeiter kommen in die BRD.
V wie Vierschichtbetrieb: Nach dem Krieg herrscht in Deutschland Lehrermangel und Raumnot. Ein Zwei-, Drei- oder gar Vierschichtbetrieb für Schüler ist eher die Regel als die Ausnahme. Doch es geht zum Glück rasch aufwärts: 1950 kommen in den Volksschulen noch 49 Schüler auf eine Lehrkraft, 1956 nur noch 37.
W wie Wohlstand für alle: Mit diesem Slogan wirbt die CDU vor der Bundestagswahl 1957 für sich und ihr Konzept der Sozialen Marktwirtschaft. Wirtschaftsminister Ludwig Erhard veröffentlicht 1957 unter dem gleichen Titel außerdem ein Sachbuch.
Z wie Zündapp Janus: Es ist nicht gerade eine Erfolgsgeschichte, die das viersitzige Rollermobil schreibt. 1957 wird der erste Kleinwagen der Zündapp-Werke in Nürnberg ausgeliefert, 1958 die Produktion nach nur 6902 Exemplaren bereits wieder eingestellt, da der Wagen mit 3290 DM preislich zu nah am VW Standard liegt.