Autonomes Fahren mit U-Shift

Auf der Mannheimer Buga fahren Busse ohne Busfahrer

Wer auf der Bundesgartenschau in das Technikwunder U-Shift einsteigt, nimmt automatisch an einem Forschungsprojekt teil.

17.06.2023 UPDATE: 18.06.2023 06:00 Uhr 4 Minuten, 1 Sekunde
Mobilität der Zukunft: das U-Shift mit der Personenkapsel von außen. Foto: vaf​

Von Gaby Booth

Mannheim. Die autogerechte Stadt der 60er-Jahre ist passé, oder? Lastenräder, Radschnellwege, E-Bikes gehören heute zum Stadtbild. Hohe Parkgebühren, Schwierigkeiten, überhaupt einen Parkplatz zu finden und empfindliche Strafen für Gehwegparker verleiden Autofahrern den Spaß, in die Innenstädte zu fahren. Aber wie kommt man schnell und bequem von A nach B? Eines ist sicher: Mobilität wird sich schon in naher Zukunft, vor allem in den Ballungsräumen deutlich verändern.

Am Stuttgarter Institut für Fahrzeugkonzepte, das zum Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) gehört, sind die Forscher schon recht weit, um einerseits intelligente Mobilitätskonzepte zu entwickeln, andererseits Kommunen und Wirtschaftsunternehmen zu entlasten. Die Antwort könnte autonomes Fahren mit U-Shift heißen. Und genau das wird gerade auf dem Spinelli-Gelände der Bundesgartenschau in Mannheim erprobt.

Das U-Shift mit der Personenkapsel von innen. Foto: DLR

Das schwarze Vehikel namens U-Shift rollt zurzeit auf einer Teststrecke der Buga23 und die Besucher sind – nach Voranmeldung – eingeladen zum Einsteigen. Dank elektrischem Antriebssystem fährt das Fahrzeug leise und emissionsfrei auf gerader, etwa zwei Kilometer langer Strecke mit einer Geschwindigkeit von 15 Kilometern pro Stunde über das ehemalige Militärgelände. Wer sich traut einzusteigen, kann dies ohne Angst tun: U-Shift ist Tüv-geprüft und mit Videoaugen ausgestattet. Und momentan ist zur Sicherheit auch noch Fahrpersonal an Bord.

So richtig ernst wird es ab Mitte Juli. Dann beginnt tatsächlich das "echte" autonome Fahren auf der Teststrecke – wobei die Fahrzeugentwickler im Notfall immer noch jederzeit per Fernsteuerung oder Joystick eingreifen können, auch von außerhalb des Fahrzeugs. Wer mitfährt, nimmt automatisch an dem Forschungsprojekt teil, denn U-Shift fährt sozusagen im Reallabor. Alle Ergebnisse, auch die Eindrücke und Kommentare der Fahrgäste, fließen in das Projekt und in die Weiterentwicklung des Prototyps mit ein.

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"Wir sind noch in der ersten Phase, in der wir das Antriebssystem testen", erklärt Marco Münster. Er ist Projektleiter am DLR-Institut und froh, dass es geklappt hat mit der Teststrecke für den Prototyp auf der Bundesgartenschau. In dieser Phase geht es darum, das System auszuprobieren und vor allem Erfahrungen aus dem praktischen Betrieb zu sammeln, die für die weitere Forschungsarbeit wichtig sind, insbesondere auch die Rückmeldungen der Passagiere. "Wir begegnen keiner Technologieangst", stellt Münster fest und freut sich über die Aufgeschlossenheit der Besucher.

"Da machen wir gerne mit", sagt ein Familienvater aus Reutlingen, der mit seinen beiden Söhnen in das futuristische Gefährt einsteigt. Auch das Ehepaar aus Thüringen hat keine Berührungsängste und beobachtet, wie die "Kapseln" auf den fahrbaren Untersatz gehievt werden. "Sieht aus wie ein riesiger Gabelstapler", so der Kommentar. Gelobt werden immer wieder der komfortable Innenraum und das futuristische Design, sagt Denise Nüssle, DLR-Pressesprecherin. Zum Thema "autonomer Betrieb" kämen allerdings hin und wieder auch skeptische Kommentare: Wie soll das im realen Verkehr funktionieren? Und: Ist das Mitfahren auch tatsächlich sicher?

Das Interesse an dem futuristischen Gefährt ist groß, der DLR-Pavillon auf dem Experimentierfeld wird immer wieder umlagert, nicht nur von jungen Leuten, die wissen wollen, wie das funktioniert. Das Antriebssystem lernt auf dem Gelände der Bundesgartenschau ständig dazu, merkt sich Hindernisse und Abschnitte der Strecke. "Wir sind sehr zufrieden mit dem positiven Feedback und nehmen natürlich auch kritische Anregungen auf, um diese in Forschungsfragen zu berücksichtigen", sagt Marco Münster nach zwei Monaten Probebetrieb.

Das Fahrzeug, das etwa halb so groß ist wie ein normaler Linienbus, besteht aus zwei Teilen, dem U-förmigen Unterbau (daher auch der Name), dem Driveboard, in dem der Antriebsstrang mit Batterie und viel Technik steckt, und den sogenannten Kapseln als Aufsatz. "Hier wird die urbane Mobilität auf ihre Tauglichkeit ausprobiert", sagt Marco Münster, der das Projekt von Anfang an begleitet. Er sieht vielfältige Einsatzmöglichkeiten für den Verkehr der Zukunft. Im Idealfall kann das Gefährt rund um die Uhr genutzt werden.

Die Entwickler können jederzeit über eine Fernsteuerung eingreifen. Foto: DLR

Geforscht und entwickelt wird in dem Institut für Fahrzeugkonzepte schon seit ein paar Jahren. Auf der Mannheimer Buga kommt nun das neueste Modell zum Einsatz: U-Shift Nummer 4. Das Personenmodul ist auf den Transport von Fahrgästen vorbereitet. In der Personenkapsel können bis zu zehn Fahrgäste Platz nehmen, ein Rollstuhlplatz ist reserviert, für einen barrierefreien Einstieg sorgt eine große Tür mit integrierter Rampe. Das Fahrzeug ist klimatisiert, videoüberwacht und mit Sitzgurten ausgestattet. "Letztendlich ist eine absolute Sicherheit und eine hohe Nutzerakzeptanz beim autonomen Fahren das Ziel", betonen die Stuttgarter Entwickler.

Neben der Personenkapsel gibt es für U-Shift noch ein flexibles Modul, das viele Einsatzmöglichkeiten zum Transport von allen möglichen Gütern bietet. Die Cargokapsel für den Güterverkehr kann vier Europaletten oder acht Gitterrollwagen aufnehmen. So könnten sich beispielsweise Restaurants mit Getränkekisten versorgen lassen, Kioske mit Zeitungspaketen, der Einzelhandel mit Ware. Und auf dem Rückweg ließe sich auch gleich der Müll entsorgen. "Das Spannende ist, was alles möglich ist", sagt Marco Münster. Der Entwickler stellt sich vor allem für die Innenstädte viele Einsatzmöglichkeiten vor. Wenn die Menschen schlafen, ist U-Shift lautlos unterwegs und arbeitet. Das ist Zukunftsmusik, aber vorstellbar. Das Team aus Stuttgart entwickelt verschiedene Ideen und testet sie auf der Bundesgartenschau.

Vor den beiden Garagen des DLR-Teams beobachten die Besucher, wie die Module auf den U-förmigen Unterbau aufgesetzt werden, bevor die Fahrt losgeht. Das Einfädeln dauert etwa eine halbe Minute. Bis U-Shift marktreif ist, wird noch einige Zeit vergehen. Wenn die Bundesgartenschau im Herbst in Mannheim endet, geht die Forschung in Stuttgart-Vaihingen am Pfaffenwaldring weiter.

Das Land Baden-Württemberg steht hinter dem Fahrzeugkonzept. "Aus technologischen Innovationen wie dieser können ganz neue Produkte und Geschäftsmodelle entstehen", sagt Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut. Gerade für die kleinen und mittleren Unternehmen komme es darauf an, sie beim Transformationsprozess zu unterstützen und neue Mobilitätslösungen zu finden. Für die Entwickler ist U-Shift im öffentlichen Nahverkehr beispielsweise als flexibles Rufbussystem vorstellbar. Oder als Kleinbus in Stadtquartieren. Auch im Wirtschaftsverkehr sind viele Einsatzmöglichkeiten denkbar – von Paket- und Lieferdiensten bis zur Abfallentsorgung.

Ein halbes Jahr lang wird das futuristische Fahrzeugkonzept U-Shift auf der Bundesgartenschau noch getestet. Das Team des DLR-Instituts für Fahrzeugkonzepte zeigt dabei, wie Mobilität in Zukunft gehen kann: emissionsfrei, automatisiert, sicher und leise.


Info: Momentan fährt U-Shift noch mit Fahrpersonal an Bord, ab Mitte Juli beginnt der "echte" autonome Betrieb. Bis zum 8. Oktober geht der Testbetrieb auf der Bundesgartenschau noch. Wer mitfahren möchte, kann sich am Pavillon DLR (U-Shift, Stand 88) vor Ort auf dem Spinelli-Gelände anmelden.


Alles rund um die Buga23 lesen im Schwerpunkt Bundesgartenschau Mannheim.