Vater und Tochter im Disput, was Heiligabend heute bedeutet
Das erzählt Schriftsteller David Wagner anhand eines Telefonats.

Von Roland Mischke
Heideberg. Ein kleines Buch, das es in sich hat. Erst klopft der Vater bei der Tochter an: "Kommst du Weihnachten nach Hause, Große?" Dann lockt er: "Und was wünschst du dir?" Dieser Weihnachtsroman ist nicht wirklich einer, die klassische Erzählung um Maria, Josef und das Kind läuft hier nur als Randerscheinung mit. Stattdessen wird viel geflachst zwischen Papa und Kind. Autofiktionale Prosa bestimmt die Dialoge zwischen Heidelberg, dem Studienort der jungen Frau, und dem Vater im heimatlichen Berlin. Er hat sich von der Mutter seiner Tochter mittlerweile getrennt, Geschwister hat das Kind nicht. Der Vater beansprucht, ja, kämpft um die Tochter und ihr Kommen. Wird sie anreisen?
Das alles wird von dem vielfach ausgezeichneten Autor David Wagner (Jahrgang 1971) aber nicht in Form eines knappen Protokolls erzählt. Nein, er gibt ein langes, manchmal auch kompliziertes Gespräch wieder. Das komplexe Familienleben der Wagners bildet offensichtlich den Hintergrund. Wie hat man früher auf das Christkind gewartet! Später war es der Weihnachtsmann, nun ist es der Weihnachtsbaum, der aufgerichtet werden soll. Oder doch nicht? Der ökologische Fußabdruck eines Baumes muss schließlich beachtet werden.
Die 21 Jahre junge Tochter gibt sich zunächst eher leger. "Familiengeschichten der anderen sind fast immer langweilig", erklärt sie. "Nur die eigenen sind interessant." Schnell stellt sich heraus, dass sie aber doch mehr besprochen haben möchte als die Geschenkefrage. Das sorgt für Spannung. Auf Rede folgt Gegenrede, das Gespräch zwischen den Generationen nimmt allmählich Fahrt auf. Und auf einmal ist doch auch die biblische Erzählung Thema. Auch die passende Festtagsmusik will diskutiert werden. Vater und Tochter öffnen allmählich ihre Herzen, sie rücken näher zueinander. Es wird immer lustiger.
"Alle Jahre wieder" ist für die Leser nie langweilig. Im Gegenteil: Sie bedenken das Ganze aus ihrem Sessel mit. David Wagners Argumente für das Feiern des Weihnachtsfests sind klug und verständlich formuliert, zum Beispiel, wenn es um die unterschiedlichen Bräuche der katholischen und evangelischen Festfeiern geht. Und auch die von ihm zitierte "Große" gibt espritvoll ihren Teil dazu.
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Was berührt uns am Weihnachtsfest wirklich? Auf süßliche Weise hätte der Autor diese Frage nicht beantworten können – zu groß wäre die Gefahr gewesen, ins Kitschige abzudriften. Deshalb lässt Wagner es krachen, der Autor hechelt den Weihnachtspopanz pointiert durch. Dabei entwirft er eine Rede zwischen zwei Erwachsenen, die man still und allein lesen, aber auch vorlesen kann. Denn wenn neugierige und selbstbewusste Menschen über Weihnachten diskutieren, wird es spannend.
Tochter und Vater erinnern einander auch an abscheuliche Familienfeste, die sie noch im Kopf haben – mit qualvollen Gesprächen, Geschenken, die schnell wieder weggelegt werden, und fortschreitender Grantelstimmung, je später es wird. Die Gesprächspartner erinnern sich aber auch an den frühen Tod einer Familienangehörigen, an die Kinderfrau. Man spricht über Partnerschaften, sogar über Patchwork-Weihnachten. Denn Deutschland als Weihnachtsland bedeutet im Jahr 2022 eben auch: Kinder mit unterschiedlichen Eltern, die sich zurechtfinden wollen. Der Vater wiederum erzählt von Heiligabenden, die er in fremden Städten verbrachte, um dem Feierhorror zu entgehen. "Du bist ein weihnachtssentimentaler Weihnachtsverweigerer", stellt seine Tochter fest.
Irgendwann wird klar: Was einst galt, vor allem für die Kinderzeit, soll nicht verloren gehen – selbst wenn sich dieser Prozess schwierig gestaltet. Bis zuletzt hält die Tochter den Vater hin. Ob sie nach Berlin kommen wird?
Info: David Wagner: "Alle Jahre wieder." Edition Chrismon in der Evangelischen Ver-lagsanstalt, 112 Seiten, 14 Euro.



