Es lodert und flackert im Orchestergraben
Mit der "Walküre" geht der neue "Ring des Nibelungen" in Bayreuth in die zweite Runde. Ein Bühnenunfall überschattet die Premiere bei den Festspielen.

Von Thomas Rothkegel
Bayreuth. Bei den Bayreuther Festspielen hebt sich der Vorhang zu Richard Wagners "Walküre" und der Angelpunkt in der Regie von Valentin Schwarz wird klar: Das von Wotan gezeugte, aufgezogene und später im Kampf getrennte Zwillingspaar Siegmund und Sieglinde trifft sich im heruntergekommen Einfamilienhaus des Schwagers Hunding nach Jahren wieder. Sieglinde lebt dort als hochschwangere Ehefrau. Nach Wagner wird die Schwester durch den Inzest mit ihrem Bruder erst am Ende des Aktes schwanger. Doch die Chronologie des Werks kümmert das Regieteam nicht, es spinnt die Handlung willkürlich fort. Im Programmheft ist von einer "werkimmanenten Überschreibung" der Handlung die Rede.
"Immanent", also aus dem Werk selbst, sind viele Ideen jedoch gerade nicht: Der Streit der Ehegöttin Fricka mit ihrem Gatten Wotan im zweiten Akt wird sinnlos, hat es den beklagten Inzest des Zwillingspaares gar nicht gegeben. Das Problem bügelt die Regie schnell aus: Wotan geht der ohnmächtigen Sieglinde kurz vor dem Zweikampf Hundings mit Siegmund an die Wäsche. Also doch Inzest! Gerechtfertigt wird dieses Vorgehen im Programmheft mit den "narrativen Ungereimtheiten" in Wagners Riesenwerk.
Wohl wahr, man findet dort einige Brüche. Diesen Befund jedoch als Blankoscheck für jedwede noch so fragwürdige Ergänzung heranzuziehen, zeugt von einer beeindruckenden Hybris der Regie. Sie würfelt unbekümmert alles durcheinander, was im Kosmos von Wagners "Ring" zu finden ist. So erweisen sich die Walküren als die im "Rheingold" nach Nibelheim entführten Mädchen. Denn sie tauchen im dritten Akt der "Walküre" im bekannten weißen Kinderzimmer auf. Das hat sich in eine Schönheitsklinik verwandelt, wo sich die acht Damen mit verbundenen Nasen und bandagierten Brüsten herrichten lassen. Dass sie eigentlich von Wotan aufgezogen worden sind – eine unerhebliche Petitesse. Denn es gilt ja die Verkommenheit des gesamten Personals zu erweisen. Das mag genügen.
Handwerklich ist die Schwarzsche "Walküre" eindeutig besser gearbeitet als das "Rheingold". Lässt man sich auf die bizarren Einfälle ein, muss man dem Regisseur für seine oft sehr fein ausgearbeitete Personenführung Respekt zollen. So verzichtet Schwarz am Ende auf den "Feuerzauber". Brünnhilde, die unbotmäßige Tochter Wotans, schreitet nach hinten ins Dunkle. Kein Feuer, kein Licht.
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Am Ende kommt Fricka mit einem Servierwagen, auf dem eine Kerze brennt. Daneben eine Flasche Rotwein, zwei Gläser. Stumm reicht sie Wotan ein Glas – eine Geste der Versöhnung. Wotan nimmt es und gießt den Wein langsam auf den Boden, während er Fricka in die Augen schaut. Er dreht ihr den Rücken zu und verschwindet links von der Bühne, sie wendet sich nach rechts. So wird das Ende einer Beziehung anrührend, geradezu brutal erlebbar.
Dazu lässt Cornelius Meister es aus dem Orchestergraben kräftig lodern und flackern. Sein Dirigat ist kenntlicher geworden, immer noch zurückhaltend. Gerade die Emphasen hätten durchaus noch mehr orchestralen Glanz und Dynamik entfalten können, doch Meister bleibt ein herausragend guter Sängerdirigent.
In der Rolle des Wotan waren an diesem Abend zwei Sänger zu erleben: Zunächst sang Tomasz Konieczny den Göttervater. Doch als er sich beim Zwist mit Fricka in einen Sessel fallen ließ, brach die Lehne und er stürzte nach hinten. Obwohl stark verletzt, sang er den zweiten Akt professionell zu Ende. In der heutigen "Siegfried"-Premiere soll Konieczny wieder auftreten. Im dritten Akt übernahm Michael Kupfer-Radecky die Partie. In der Rhein-Neckar-Region glänzte der Bariton jüngst in der Titelpartie des "Fliegenden Holländers" am Mannheimer Nationaltheater. Und auch auf dem Grünen Hügel machte er eine gute Figur. Klar in der Diktion, mit einer ausgesprochen schön timbrierten Stimme, die er sehr nuanciert einsetzte, sang er absolut überzeugend den traurigen Gott.
Iréne Theorin gab Brünnhilde stimmgewaltig, aber kaum textverständlich. Klaus Florian Vogts heller Heldentenor (Siegmund) scheint keine Grenzen zu kennen. Mit den Jahren gewinnt er eine dunklere Klangfarbe dazu, die ihn noch kraftvoller wirken lässt. Lise Davidsen war eine strahlende Sieglinde, die in manchen Passagen noch lyrischer hätte singen können. Georg Zeppenfelds beeindruckend tiefschwarzer Bass zeichnete den Ehetyrannen Hunding. Weder er noch Siegmund ist der Vater des Kindes von Sieglinde, von dem sie – vielleicht als eine durch die Regie ausgelöste Frühgeburt – noch im dritten Akt der "Walküre" entbunden wird. Siegfried ist als Wotansinzestkind nicht der freie Held, als den Wagner sich ihn vorgestellt hat. Aber das spielt bei einer Überschreibung durch die Regie ja nun wirklich keine Rolle mehr.



