Wie ein kerniger Dude aus den Siebzigern
Der junge Sänger Benson Boone packt das Retro-Besteck aus. Außerdem reingehört haben wir auch bei Mt. Joy, Doobie Brothers, Keith Jarrett und Addison Rae.

Von Steffen Rüth
Heidelberg. Nichts an diesem jungen Mann ist auch nur im Entferntesten als subtil zu bezeichnen. Benson James Boone, geboren in Monroe (US-Bundesstaat Washington) und aufgewachsen in einer religiösen Familie mit vier Schwestern, trägt einen markanten Lockenschopf und einen nicht minder auffälligen, für einen 23-Jährigen erstaunlichen, Schnauzbart.
Auf der Bühne kleidet er sich gern in hauteng anliegende, bunte Einteiler, und auf seinen legendären Rückwärtssalto verzichtet er live so gut wie nie. Das Gesamtpaket namens Benson Boone ist also bereits properste Popkultur, noch bevor er überhaupt seine Stimme erhoben hat. Singt er dann, gibt es endgültig kein Halten mehr.
Boone, ursprünglich halbbekannt geworden 2021 als Kandidat der Castingshow "American Idol", hatte zunächst ein paar kleinere Hits, doch es war sein großer Dramapopsong "Beautiful Things", der weltweit am meisten gestreamte Song des Jahres 2024, der ihn in ganz neue Dimensionen katapultierte. Auch Bensons Debütalbum "Fireworks & Rollerblades" erfreute sich Platinauszeichnungsbeliebtheit, auch wenn es keinen weiteren Hit abwarf.
Das mit den Welthits soll nun das mit zehn Songs und einer halben Stunde Dauer schlanke und übrigens komplett unpolitische "American Heart" erledigen. "Sorry I’m Here For Someone Else" ist direkt mal ein gelungener Auftakt.
Im Weiteren zeigt Boone, der die neuen Lieder erneut mit Stammkollaborateur Jack LaFrantz geschrieben hat, dass er nicht nur aussieht wie ein kerniger Dude aus den späten Siebzigern. Sondern auch die Art von Musik macht, mit der sein eigener Vater aufgewachsen ist.
Dass bei Benson Boones Coachella-Auftritt im April ausgerechnet Queen-Gitarrist Brian May die Bühne betrat und mit ihm zusammen "Bohemian Rhapsody" aufführte, passt bestens ins Bild – Boone bietet Nostalgiepoprock für die Älteren und frischfröhliche Theatralik für sein junges Publikum.
"Mr. Electric Blue" orientiert sich schon sehr stark am Electric Light Orchestra, "Mystical Magical" greift gar den Refrain von Olivia-Newton-Johns Hit "Physical" auf, "Man In Me" oder "Reminds Me Of You" erinnern dann an Bruno Mars, der ja seinerseits recht retro agiert.
"Young American Heart", ein Song über den schweren Unfall, den der 16-jährige Boone mit seinem Fahranfängerkumpel Eric überlebte, fleddert schon vom Titel her in Bruce-Springsteen-Gefilden. "Momma Song", natürlich eine Liebeserklärung an Mama Boone, fegt schließlich mit ihrem überschwänglichen Pathos auch noch den allerletzten Staub aus den Ritzen.
Info: "American Heart" erscheint diesen Freitag. Am 13. Juli tritt Benson Boone beim Lollapalooza in Berlin auf.
Cynthia Erivo und mehr. Hier geht es zum Sound der letzten Woche.
Sound der Woche
Mt. Joy
Hope We Have Fun
lndierock Drei Jahre haben Mt. Joy an dieser Achterbahnfahrt von einem Album gewerkelt. Nach dem gediegenen, country-esken Starter "More More More" schleudern die Amerikaner ihre Hörer in unerwartete Klangwelten. Mit "Coyote", inspiriert von den Rufen der Kojoten am Mount Washington, steigert sich das Tempo rasant. Matt Quinn zieht die für ihn typischen Vokalschleifen – nur um im Duett mit Gigi Perez wieder abzubremsen. Das soulig-funkige "Pink Lady" und das coole "Groove In Gotham" vorausgeschickt, fängt einen der Titelsong zum versöhnlichen Schluss sanft auf: "I’ll carry you / when your dream dies / swim with you / when the seas rise ..." Ja, diese Fahrt lohnt sich! (jubl) ●●
Für Fans von: Caamp, Rainbow Kitten Surprise
Bester Song: Coyote
The Doobie Brothers
Walk This Road
Softrock Nein, dieser Straße muss man nicht folgen. Die Doobie Brothers verfügen zwar noch über soliden Gesang und piekfeine Instrumentalbegleitung, aber der Schwung ist hin. Lustlos klingen die betagten Pioniere – wie so viele Künstler, die sich ein letztes Mal zusammenraufen, obwohl sie nichts mehr zu sagen haben. Das 16. Album der Brüder, die keine sind, kann man sich vielleicht nachts um zwei anhören – wenn der Geist Richtung überwältigender Müdigkeit schwankt ... (gol) ●
Für Fans von: Ambrosia
Bester Song: New Orleans
Keith Jarrett
New Vienna
Jazz Zwei Schlaganfälle sind schuld daran, dass Keith Jarrett womöglich nie wieder live auftreten kann. Immerhin: Mit "New Vienna" erscheint nun ein 2016 im Goldenen Saal des Musikvereins Wien aufgenommenes Konzert des Ausnahmepianisten. Und auch, wenn die zwölf kürzeren Improvisationen nicht die Intensität von Jarretts frühen Solokonzerten erreichen, gibt es magische Momente wie in "Part VII" oder der traumhaft schönen "Somewhere Over The Rainbow"-Version. (welf) ●●
Für Fans von: Chick Corea
Bester Song: Part VII
Addison Rae
Addison
Pop Ein It-Girl und Tiktok-Sternchen bringt den Style der Nullerjahre zurück: Die 24-jährige Addison Rae, von Charli xcx protegiert, untermauert mit ihrem Debüt-Album die eigenen musikalischen Ambitionen. Ihr Girl-Pop à la Britney ist eingängig und selbstbestimmt feministisch. Alle Songs wurden von Frauen produziert. Okay, ganz so stark wie Sabrina Carpenters sommerlicher Espresso-Pop kicken die zwölf raffiniert mit Synthie-Effekten garnierten Titel nicht. Dafür sind sie sich zu ähnlich. Doch auch Addison putscht ihre beste Nummer mit einer Dosis Koffein auf: "Diet Pepsi" mischt sich mühelos in jede Playlist für den nächsten Trip zum Badesee. Darauf eine eisgekühlte Dose! (jek) ●●
Für Fans von: Madonna
Bester Song: Diet Pepsi