Sound der Woche

Jon Batiste präsentiert sich gut gelaunt

Mit "Big Money" beweist sich Jon Batiste erneut als Ausnahmetalent. Außerdem reingehört haben wir auch bei Feuerschwanz, Pat Carter, Radiohead und Molly Tuttle.

20.08.2025 UPDATE: 24.08.2025 04:00 Uhr 3 Minuten, 10 Sekunden
Foto: Beth Sacca

Von Steffen Rüth

Alleine für sein 2021er-Album "We Are" hat er fünf Grammys erhalten, für seinen fröhlichen Soundtrack zum Pixar-Film "Soul" sogar einen Oscar: Jon Batiste ist in den USA ein Superstar. Hierzulande gilt es immer noch, den Multiinstrumentalisten zu entdecken. Das neue, wieder superabwechslungsreiche und versierte Album "Big Money" bietet dazu die allerbeste Gelegenheit.

Der 38-Jährige spielt leidenschaftlich mit den Stilen. "Ich sehe mich als einen Archäologen, der den gigantischen Musikschatz der Welt zu heben versucht", sagt er selbstbewusst. "Ich wage zu behaupten, dass ich nicht nur jenseits der Genres agiere, sondern, dass ich mein ganz eigenes Genre geschaffen habe." Genau zu fassen ist es in jedem Fall nicht, was der 38-Jährige, der im musikalischen Schmelztiegel New Orleans aufwuchs und heute in New York lebt, auf seinen bisher sieben Alben im Allgemeinen und auf "Big Money" im Besonderen so treibt.

Die Scheibe startet mit der einfühlsamen Pop-Gospel-Nummer "Lean On My Love", die Batiste gemeinsam mit Andra Day singt. "Petrichor" ist dann ein so wutentbranntes wie packendes Uptempo-Funk-Manifest gegen Klima- und Umweltzerstörung, "Do It All Again" eine empfindsame Soulliebesballade im Stil von Stevie Wonders "I Just Called To Say I Love You". Und das abschließende "Angels" ein entspannter Strandreggae mit sanft prickelnden Beats. Sogar den großen alten Randy Newman hat Batiste für ein Duett gewinnen können. Die beiden interpretieren "Lonely Avenue" – aufgenommen innerhalb eines Nachmittags in Newmans Wohnzimmer. "Mir lag es am Herzen, die Musik praktisch in Echtzeit festzuhalten, unmittelbar und keinesfalls glattgeschliffen", erklärt Batiste.

"Live for something you can feel, live for something real", fordert er passenderweise im Titelstück "Big Money", einer zackigen Blues-Rock-R&B-Nummer, die ein bisschen retro klingen mag, inhaltlich aber topaktuell ist. "Du kannst dir ein Haus kaufen, aber das heißt nicht, dass du auch ein Heim hast", schmettert Batiste. "Du kannst dir auch einen Song kaufen, aber deshalb kannst du noch lange nicht singen."

Der Überkommerz unserer Zeit ist dem Musiker ein Gräuel. Entsprechend scharfe Worte fand das Multitalent, als vor wenigen Wochen der Rauswurf des liberalen Talkshow-Hosts Stephen Colbert beim Sender CBS verkündet wurde – angeblich wegen zu hoher Kosten. "Diese Entscheidung ist ein Symptom von ‚Big Money‘", sagte der 38-Jährige, der jahrelang als Colberts Bandleader fungiert hat. "Wir leben in einer Zeit, in der der richtige Preis die freie Meinungsäußerung zum Schweigen bringen kann. Als Künstler müssen wir uns mehr denn für das Recht auf freie Rede starkmachen." Das tut Jon Batiste mit diesem Album einmal mehr – und einmal mehr klingt er dabei ansteckend gut gelaunt.


Info: "Big Money" erscheint diesen Freitag. Deutschlandkonzerte sind derzeit nicht vorgesehen.







Tom Gaebel und mehr. Hier geht es zum Sound der letzten Woche.


Sound der Woche

Feuerschwanz

Knightclub

Mittelalter-Metal Lautstark brettern Feuerschwanz von "Avalon" bis "Valhalla" und zeigen nebenbei, wie eine Metal-Version von "Gangnam Style" klingt. Thematisch versammeln sich im "Knightclub" der Franken diverse Legenden und Literaturklassiker. Mit dieser Vielfalt kann ihre Musik nicht Schritt halten – die wuchtigen Melodien langweilen bald. Mit dem Titelsong – bekannt aus dem ESC-Vorentscheid – legen die Power-Metaller zwar ordentlich vor, büßen danach aber an Zündkraft ein. Da hilft auch keine rockige Neuinterpretation des Auenland-Themas ("Sam The Brave"). Immerhin: "Drunken Dragon" macht richtig Lust, Drachen zu erlegen und bei einem Met-Gelage anzustoßen. (dev) 

Für Fans von: Mittelalterpartys

Bester Song: Knightclub


Pat Carter

Love In The Time Of Capitalism

Country-Rock Pat Carter bezeichnet seine Musik gerne als "Left-Wing-Americana". Nicht von ungefähr hat der in Leutershausen aufgewachsene Kopf der Berliner Band Rodeo FM seinem ersten Soloalbum den Titel "Love In The Time Of Capitalism" gegeben: In den 13 Songs geht es vornehmlich um die Zwänge und Verlorenheit der spätkapitalistischen Gesellschaft. Wer Bands wie Uncle Tupelo oder Houndmouth mag, sollte diesem punkig inspirierten Country-Ausritt eine Chance geben. (welf) ●●

Für Fans von: Uncle Tupelo, Houndmouth

Bester Song: Gentle & Honest


Radiohead

Hail To The Thief (Live Recordings)

Alternative Erschreckend, wie hochaktuell Radioheads Breitseite gegen George W. Bush immer noch ist. Die Songs vom 2003er-Album "Hail To The Thief" haben nichts an ihrer Dringlichkeit eingebüßt. Auf diesem Live-Album (aufgenommen zwischen 2003 und 2009) klingen sie wütender, manischer aber auch verspielter als auf der "Rock-Rückbesinnung" der Briten. Die Gitarre darf noch mehr schrammeln und die Rhythmussektion ab und an sogar zum Tanz laden. (han) ●●●

Für Fans von: The Notwist

Bester Song: Myxomatosis


Molly Tuttle

So Long, Little Miss Sunshine

Bluegrass Wie viele Saiten hat ein Banjo? Fünf zu viel ... Wie nennt man 1000 Banjos auf dem Grund des Pazifiks? Einen guten Anfang ... Sprüche wie diese dürfte Molly Tuttle zur Genüge kennen. Dabei geht ihrem Bluegrass der Fremdscham-Faktor völlig ab: Schepprig-peinliches Gegniedel gibt es bei Molly nicht. Stattdessen setzt die 32-jährige Kalifornierin auf warme Klänge – und ihr Instrument geschmackvoll ein. Wer Amanda Shires, Brandi Carlile oder Sheryl Crow schätzt, findet in den zwölf anschiebenden "So Long, Little Miss Sunshine"-Songs einen schönen Soundtrack für die Fahrt in den Urlaub. Anspieltipp: Mollys unerwartet zarte Interpretation des Partykrachers "I Don’t Care". (dasch) ●●

Für Fans von: Sheryl Crow

Bester Song: Old Me (New Wig)