Als wär’s ein Abend von Kafka
"Justizmord des Jakob Mohr" wird im architektonischen Juwel der Johannesgemeinde gezeigt

Marco Albrecht als Jakob Mohr in der Inszenierung "Justizmord des Jakob Mohr". Die tschechische Autorin, Regisseurin, Bühnen- und Kostümbildnerin Eva Kot’átková ließ sich dazu von einem Exponat Sammlung Prinzhorn inspirieren. Foto: Reichardt/Bühler
Von Volker Oesterreich
Heidelberg. Die tschechische Autorin, Regisseurin, Bühnen- und Kostümbildnerin Eva Kot’átková macht der legendären Heidelberger Sammlung Prinzhorn Beine. Sie hat sich ein Exponat des ehemaligen Psychiatriepatienten Jakob Mohr ausgesucht und szenisch gedeutet. Ihre Produktion "Justizmord des Jakob Mohr" ist nicht mehr und nicht weniger als eine theatergerechte Bildbeschreibung, zu der sich Interpretationsangebote für die Zuschauer und Hintergrundinformationen über Mohrs Krankengeschichte gesellen. Der gebürtige Mannheimer litt an Verfolgungsängsten und dem Wahn, von Röntgenstrahlen, einem Fernhypnotiseur und einer Beeinflussungsmaschine wie eine Marionette ferngesteuert zu werden. Etliche Prozesse, Gefängnis- und Psychiatrieaufenthalte musste der talentierte Zeichner in den Jahren 1905 bis 1917 über sich ergehen lassen.
In seiner 1912 entstandenen, kindlich-naiv anmutenden, gleichwohl akribisch ausgeführten Zeichnung sah er sich als ferngesteuerten Angeklagten eines kafkaesk anmutenden Prozesses. Dieses Blatt weckte sofort das Interesse des Psychiaters und Kunsthistorikers Hans Prinzhorn, der mit seinem Buch "Die Bildnerei der Geisteskranken" (1922) ein Schlüsselwerk für die Avantgarde schuf. Es wird als "Bibel der Surrealisten" bezeichnet, und die heute von Thomas Röske geleitete Sammlung Prinzhorn gilt weltweit als wegweisende Institution.
Für die am Thema Prinzhorn und speziell am Schicksal Jokob Mohrs interessierte Theatermacherin Eva Kot’átková bot sich nun die Chance, ihre zunächst in Prag gezeigte szenische Bildbeschreibung als Deutschsprachige Erstaufführung nach Heidelberg zu holen. Für ihr ambitioniertes Projekt gewann sie nicht nur Ensemblemitglieder vom Heidelberger Theater als Mitstreiter, sondern auch Thomas Röske höchstselbst. Er tritt während des gespielten Gerichtsprozesses als "Kurator Röske" auf. Ein gelungener Clou, durch den das Theater für einen kurzen Moment zum kunsthistorischen Schmankerl wird. Als weitere Akteure der sehr üppig besetzten Produktion wurden Studierende der Theaterakademie Mannheim sowie viel Statisterie bis zur Kinderschar der "Vivian Girls" gewonnen.
Die Ängste, denen Jakob Mohr ausgesetzt war, wirken in der Tat verstörend. Die Autorin und Regisseurin übersetzt sie in ein "Tableau vivant", ein belebtes Bild, das schon seit langem zu den Stilmitteln des Theaters gehört - bei den Oberammergauer Passionsspielen genauso wie bei Inszenierungen des vielfach preisgekrönten Christoph Marthaler. Meist sind solche wie eingefroren wirkende Szenenbilder aber Teil eines umfassenden Regiekonzepts.
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Beim "Justizmord des Jakob Mohr" bildet das im schmucken Art-déco-Saal der Evangelischen Johannesgemeinde Heidelberg-Neuenheim üppig ausgebreitete "Tableau vivant" jedoch das dominierende Stilmittel. Bewegung und Interaktion werden weitgehend unterdrückt. Das ist problematisch, weil man die Hauptkonfliktpunkte der Mohr’schen Krankengeschichte schon nach wenigen Minuten zu kennen glaubt. Durch ihre Stimmgewalt machen Marco Albrecht in der Titelpartie und Olaf Weißenberg als vorsitzender Richter aber viel wett.
Ein großer Pluspunkt des Abends ist zudem das architektonische Juwel des Veranstaltungsorts. Man wünscht sich, dass der Saal der Johannesgemeinde noch viel häufiger für Kulturveranstaltungen genutzt wird: für Konzerte, Theater, Lesungen und diverse Festival-Angebote.
Info: www.theaterheidelberg.de



