Sammlung Prinzhorn

Berührende Einblicke in "irre" Lebensläufe

Die Sammlung zeigt ab dem heutigen Mittwoch in Heidelberg erstmals eine Dauerausstellung. Aus Büros wurden Ausstellungsräume.

30.06.2020 UPDATE: 01.07.2020 06:00 Uhr 1 Minute, 42 Sekunden
Kuratorin Ingrid von Beyme und Museumsleiter Thomas Röske zeigen die neuen Räume der Sammlung Prinzhorn im Altklinikum. Was aussieht wie ein Aktenschrank, ist die Werksammlung von Harald Roland Friedrich Bender alias Adelhyd van Bender. Foto: Philipp Rothe

Von Ingeborg Salomon

Heidelberg. Wer die Sammlung Prinzhorn betritt, hat ab heute die Wahl: grün oder grau? Denn auf der rechten Seite wird – in den grün gestrichenen Räumen – bis 31. Oktober die Sonderausstellung "Ein mehrfacher Millionenwerth" gezeigt, während links – vor hellgrauen Wänden – die neue Dauerausstellung "Die Sammlung Prinzhorn – von "Irrenkunst" zu Outsider Art" zu sehen ist. Es ist die erste Dauerausstellung dieser geschichtsträchtigen Sammlung, die 2001 im umgebauten Hörsaal der Neurologie auf dem Gelände des Heidelberger Altklinikums ein Zuhause gefunden hat.

90 Quadratmeter für die zusätzliche Präsentation sind entstanden, weil seit September 2019 Büroräume zu Ausstellungsräumen umgestaltet wurden. "Eine lange Zeit, es war nicht einfach", so Dr. Thomas Röske, der die Sammlung seit 2002 leitet. Denn die Handwerker mussten Wände einziehen, eine eigene Klimaanlage einbauen und die gesamte Elektronik erneuern. Aber die Anstrengungen haben sich gelohnt, auch, weil Museum und Freundeskreis zusammen mit der Internationalen Bauausstellung (IBA) an einer Neugestaltung des gesamten Museumskomplexes arbeiten; die soll 2025 abgeschlossen sein.

Der Besucher in der neuen Dauerausstellung wird an einer großen Wandtafel in die Geschichte der Sammlung eingeführt. Was es bedeutete "irre" oder "geisteskrank" – so die damals undifferenzierten Diagnosen – zu sein, zeigen Zitate der Künstlerpatienten, die über den jeweiligen Selbstporträts stehen.

Auf einer anderen Wandtafel ist der Alltag in der Anstalt um 1900 beschrieben. Wie qualvoll sie diese Zeit erlebt hat, machen Briefe von Emma Hauck an ihren Mann deutlich. Die 30-Jährige kommt 1909 in die Psychiatrische Klinik Heidelberg und wenige Monate später als "unheilbar" in die Heil- und Pflegeanstalt Wiesloch; dort stirbt sie 1920. "Komm, Herzensschatzi, komm", schreibt die Mutter von zwei kleinen Kindern ihrem Mann. Ihr Ruf verhallt ungehört und ungelesen, denn ihre Briefe wurden ebenso wenig abgeschickt wie weitere 1000 Bitten ihrer Mit-Patienten. Einige dieser Dokumente sind jetzt in der Dauerausstellung zu sehen.

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Ein weiteres Thema der Schau ist die Psychiatrie in der DDR. Die Patientin Sonja Gerstner, deren Eltern zur DDR-Prominenz gehörten, ist dafür ein trauriges Beispiel. Geboren 1952 zeigte sie mit 16 Jahren erste Symptome einer psychischen Erkrankung. Die Ärzte erzwangen die Trennung von ihrem Freund Peter; die junge Frau versuchte in der Psychiatrischen Klinik in Tagebüchern, Gedichten und Bildern dieses Trauma zu verarbeiten. "Du bist gekommen?" heißt ihr Selbstbildnis mit Freund, das sie als 18-Jährige nach einer Elektroschockbehandlung gemalt hat. Ein Jahr später nahm sich Sonja Gerstner das Leben.

Der Besucher sollte nicht versäumen, einen Abstecher ins Tiefparterre zu machen. Hier wird inhaltlich neu aufbereitet das bildhauerische Werk des "schizophrenen" Meisters Karl Genzel präsentiert. Mit seinen Skulpturen haben sich auch Max Ernst und Lion Feuchtwanger auseinandergesetzt.

Info: Die Sammlung Prinzhorn, Voßstraße 2, ist geöffnet am Mittwoch: 15 bis 20 Uhr, am Donnerstag/Freitag: 13 bis 17 Uhr und am Samstag: 12 bis 17 Uhr. Infos unter 06221/564739 und unter www.sammlung-prinzhorn.de.

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