Port 25 Mannheim

Die Stunde der Zauberer

Es darf auch ein bisschen barock und verrückt sein: Gelungene Wunderkammer-Ausstellung im Mannheimer Port 25

16.10.2018 UPDATE: 17.10.2018 06:00 Uhr 2 Minuten, 43 Sekunden

"Arche 6 (Seilbahn)" heißt diese Arbeit des Heidelbergers Michael Bacht. Foto: chl

Von Milan Chlumsky

Mannheim. Aus der prosaischen Welt wurde der Zauber verbannt. Dem Kind, das sich noch wundern möchte, impft man sehr schnell ein, dass Zauber ein nicht nachprüfbares Phänomen ist. Wer kennt nicht den Zeigefinger des strengen Lehrers, bei dem sich alle Freude verflüchtigt und jedes Lächeln vereist? Doch es gibt ihn immer noch, den Zauber.

Im 16. und 17. Jahrhundert haben Fürsten die seltsamen Kuriositäten und Schätze für ihre Wunderkammern zusammengetragen. Basis für viele unserer heutigen Museen. Seltsame Tiere ließen die Herrscher ausstopfen, wunderbare Pflanzen trocknen, glänzende Steine und vieles mehr ließen sie sammeln, auch Rätselhaftes.

Die Kunst- und Wunderkammer des in Prag residierenden Rudolf II. war in ganz Europa bekannt. Als die Schweden 1648 diese während des Dreißigjährigen Krieges plünderten, stellten sie eine genaue Liste auf: 470 Gemälde, 69 Bronzefiguren, mehrere tausend Münzen und Medaillen, 179 Elfenbeinarbeiten, 50 Gegenstände aus Bernstein, 600 Gefäße aus Achat und Kristall, 403 indische Kuriosa und 300 mathematische Instrumente. Vieles davon gelangte nach der Einnahme von Prag nach Wien. Schlimmer als der materielle Verlust war der geistige: Man verstand eine solche Sammlung, für die man sogar die Architektur der Prager Burg veränderte, als Abbild des Universums.

Ihr Besitz bedeutete in einem gewissen Sinne auch die Teilnahme an dem darstellbaren Teil des Universums. Die allmähliche Öffnung der Wunderkammer für ein größeres Publikum, die fortschreitende Spezialisierung und beginnende wissenschaftliche Katalogisierung ihrer Gegenstände führten letztendlich zu dem Begriff eines Museums. Zugleich aber verschwand der Zauber, der vielen Wunderkammern eigen war.

Wenn Stefanie Kleinsorge, die einstige Leiterin des Heidelberger Kunstvereins und jetzige Chefin des Port 25 in Mannheim, beschließt, ihre Ausstellungsräume dunkel zu verkleiden und einzelne Objekte so auszuleuchten, als ob der Betrachter bei Kerzenschein geheimnisvolle Räume durchstreifen würde, schafft sie eine zauberhafte Atmosphäre. Eine neue Wunderkammer. Darin scheinen beispielsweise Kleinstskulpturen aus Glas, Porzellan oder Keramik, die die Künstlerin Angelika Arendt (geboren 1975 in Böblingen) auf Trödelmärkten zusammengetragen hat, von sich aus zu wachsen. Dies geschieht, weil die Künstlerin ihre Fundstücke mit Modelliermasse ergänzt, vergrößert, leicht umgestaltet und meist auch mit einem entsprechenden Farbton versieht. Es ist eine barocke, üppige Welt, die als längst verschwunden gilt.

Ähnliches ließe sich über Caro Suerkempers (Jahrgang 1964, geboren in Stuttgart) Porzellanarbeiten sagen, nur mit dem Unterschied, dass sie versucht, in das "Innere ihrer Skulpturen zu schlüpfen" und ihnen dann den passenden Ausdruck verleiht, oft einen lasziven oder provokativen.

Eine ausgesprochen spielerische Arbeit stammt von Nicolas Reinhart. Sie würde genauso in das 17. Jahrhundert passen. Ein kleines Holzflugzeug ist in einer Glaskugel auf einem Holzsockel platziert. Der solarbetriebene Motor bewegt das Flugzeug, sobald es ein Lichtstrahl erreicht. Spielerisch und doch ernst wird hier das Verhältnis von Größe, der zur Bewegung notwendigen Energie und Ökologie thematisiert. Wer die Glühbirne genau anschaut, merkt, dass der junge Künstler mit Holzteilen, die kleiner als ein Zahnstocher sind, arbeitet, und dass das Flugzeug um einen Miniaturtannenwald kreist, der wie unter einem Mikroskop in der ausgedienten Glühbirne platziert ist.

Die faszinierendste Attraktion der Mannheimer Wunderkammer ist jedoch die Serie des Heidelberger Künstlers Michael Bacht, der hier eine Auswahl aus seinen "Satirischen Objekten" vorstellt. Die 25 Arbeiten sind zwischen 1976 und 2017 entstanden, einige lassen sich als Seismogramme des Alltags deuten mit ihren politischen, ökonomischen, gesellschaftlichen Anspielungen, die vom humanistischen, philosophischen und intellektuellen Hintergrund des Künstlers geprägt sind. Arbeiten, denen ein Sprichwort zugrunde liegt: "Wir werden das Kind schon schaukeln." Sein Objekt "Bouillon de tortue" war einst eine Wärmflasche in Form einer Schildkröte. Außerdem erinnert er mit deiner Arbeit an Bruno, den "Problembären", der auf Geheiß der Bayerischen Staatsregierung von einem finnischen Suchtrupp gejagt wurde.

Dass "Eine Ente" (ein Entenkörper mit dem Gesicht eines Engels) überbordend an Bedeutungen sein kann, führt Michael Bacht ebenfalls vor Augen. Ein moderner "Prediger" (eigentlich ein Kleiderständer) bedient sich eines Laserpointers, wenn er auf ein verborgenes Detail zeigen will. Es gibt, wie man sieht, im gesamten Werk Bachts sehr viele geheimnisvolle und verborgene Details, die es zu entdecken gilt.

Zwölf Künstler beteiligten sich an diesem einmaligen Projekt, in dem - auf den ersten Blick - künstlerisch alles möglich ist. Sie beweisen einmal mehr, dass ohne Unordnung kein Zauber (und keine Ordnung) möglich sind.

Info: "Ungeborenen Elefanten ins Maul sehen oder Von der schönen Ordnung der Dinge", Port 25 in Mannheim, bis 28. Oktober.

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