Nationaltheater Mannheim

Mit Wagners "Götterdämmerung" in die Sanierungspause

Das Theater brennt nur auf dem Papier. Auch Generalmusikdirektor Soddy geht.

01.08.2022 UPDATE: 01.08.2022 06:00 Uhr 2 Minuten, 37 Sekunden
Sein Schatz? Siegfried (Jonathan Stoughton) hält den sagenumwobenen Ring des Nibelungen in den Fingern. Aber auch die Rheintöchter Flosshilde (Maria Polanska), Wellgunde (Rebecca Blanz) und Woglinde (Mirella Hagen) erheben Anspruch. Foto: Christian Kleiner

Von Jesper Klein

Mannheim. Das war’s. Am Ende dieser "Götterdämmerung" am Mannheimer Nationaltheater stehen gleich zwei Abschiede bevor. Den ersten hat die Regisseurin Yona Kim in ihrer Inszenierung von Richard Wagners Oper schon vorbereitet. Als im großen Finale Wotans Götterpalast Walhall in Flammen aufgeht, brennt im Hintergrund ein Foto, das das verwaiste Nationaltheater zeigt. Geht die Welt also unter, wenn die Theater schließen?

So schlimm ist es nicht, doch nach der vorerst letzten Vorstellung im Haus am Goetheplatz steht nun die wohl fünf Jahre dauernde Sanierung bevor. Opernintendant Albrecht Puhlmann nimmt das vergleichsweise leicht: "Es gibt ein Wiedersehen", sagt er zum Abschluss von der Bühne ins Publikum. Das lässt sich dieses Spektakel nicht nehmen, bis auf die letzten Plätze ist das Nationaltheater noch einmal gefüllt. Der zweite Abschied fällt Puhlmann sichtlich schwerer. Denn mit Alexander Soddy verliert Mannheim nach sechs Jahren einen Generalmusikdirektor, der mit vielen Konzerten und Musiktheateraufführungen Eindruck gemacht hat.

Und Soddy liefert wieder einmal eine glänzende Vorstellung. Auch im krönenden Abschluss der Tetralogie "Ring des Nibelungen" sind er und sein Nationaltheater-Orchester die vom Publikum umjubelten Stars. Zum Schlussapplaus finden sich alle auf der Bühne ein. Ihnen gelten nach fünfeinhalb Stunden Musikdrama inklusive Weltenbrand die stehenden Ovationen – für einen Abend, der im Lauten wie im Leisen beeindruckt.

Den ersten erhabenen Moment erreicht das Orchester, als sich der Vorhang hebt und wir die Liebenden, Siegfried und Brünnhilde, erstmals nicht durch den Schleier von Live-Video-Aufnahmen sehen. Überhaupt entsteht im ersten Aufzug durch die dem Bühnengeschehen unterlegten Crescendi extreme Spannung, etwa wenn Siegfried und Gunter Blutsbrüderschaft schwören.

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Im zweiten Akt hinterlassen dann vor allem die umfassenden Chorszenen Eindruck, in denen sich Soddy nicht zurückhält. Und doch findet er immer wieder auch zu einem leichten Erzählton zurück, mit fast zärtlich klingendem Blech. In diesen Extremen tönt der Abend dicht, ergreifend, dramatisch, spannend. Was will man mehr?

Besonders in den leisen Momenten des ersten Aufzugs gehen Musik und Bühne dabei reibungslos Hand in Hand, denn unter der Regie von Yona Kim ist es in der "Götterdämmerung" besonders die zielgenaue und immer verständliche Personenführung, die an diesem Abend überzeugt und zu starken Momenten beiträgt. Zum Beispiel dann, wenn Brünnhilde zu ihrem Schock erfährt, dass ihr geliebter Siegfried, vom Willkommenstrunk vergesslich geworden, offenbar mit einer anderen, nämlich Gutrune, vermählt ist.

Diese innerlichen emotionalen Dramen in Bilder zu übersetzen, gelingt Yona Kim hingegen nicht immer. Wie Wagner den Leitmotiven treu, die in gut 16 Stunden "Ring" musikalische Zusammenhänge schaffen, setzt die Regisseurin erneut auf Musikinstrumente. Dennoch bleibt es beim Gefühl, dass die auf der Bühne (Anna-Sofia Kirsch) verstreuten Geigen, Violoncelli und Co. hier mehr im Weg liegen. Im zweiten Aufzug werden auf der Bühne zwei Flügel umspielt, im dritten hängt einer davon schließlich sogar von der Decke herab.

Auf der Suche nach Bildern werden immer wieder Hintergründe herauf- und heruntergefahren, auf verschiedene Ebenen geworfene Projektionen bringen Reminiszenzen an frühere Teile des Mannheimer "Rings" ein, die Live-Video-Kamera gewährt wie schon im "Siegfried" Einblicke in den Orchestergraben. Mitunter rieseln von der Decke auch animierte Hörner und ein überdimensionaler Ring erinnert als Projektion an das zauberhafte Objekt der Begierde. Gelegentlich darf auch die Drehbühne rotieren. Das ist in der Summe viel, aber nicht wirklich konsistent. So erreicht die Regie, trotz der überzeugenden Personenführung, letztlich nicht die Höhe der musikalischen Darbietung. Was bei der von Soddy und dem Orchester hoch aufgelegten Latte aber auch zweifellos eine Herausforderung ist.

Das Gesangsensemble liefert dafür eine überzeugende Vorstellung. Besonders Patrick Zielke verleiht mit seinem sonoren Bass Hagen immer wieder immensen Nachdruck. Jonathan Stoughton gestaltet einen vielschichtigen Siegfried. Lise Lindstrom entgleitet bei aller eindrucksvollen Expressivität, besonders in den Höhen, nur gelegentlich etwas die Kontrolle über ihre Stimme. Viel Applaus auch für Marie-Belle Sandis als ausdrucksvolle Waltraute und Astrid Kesslers kühle Gutrune.

Am Ende des langanhaltenden Beifalls überwiegt, bei ein paar Buhrufen für die Regie, die Dankbarkeit: für ein mutiges Projekt, das nun als Gastspiel nach Südkorea weiterzieht, eine große musikalische Leistung und eine erfolgreiche Ära Soddy am Nationaltheater. Dann fällt ein letztes Mal der Vorhang.

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