Heidelberger Stückemarkt: Der Festivalname soll international werden

Die 33. Ausgabe des Theatertreffens geht vom 29. April bis zum 8. Mai über die Bühne – Gastland ist dieses Mal  Belgien

21.04.2016 UPDATE: 23.04.2016 06:00 Uhr 3 Minuten, 33 Sekunden

Wird Europa zum Patienten, verschwimmt das freundliche Gesicht unseres Kontinents? Derlei Assoziationen können bei dieser Szene aus dem belgischen Gastspiel "Einundvierzig" des Brüsseler Theaterkollektivs Transquinquennal aufkommen. Foto: Herman Sorgeloos

Von Heribert Vogt

Die Terroranschläge von Brüssel warfen vor wenigen Wochen ein grelles Schlaglicht auf den Heidelberger Stückemarkt. Die verheerenden Sprengsätze detonierten nur knapp zwei beziehungsweise drei Stunden vor der offiziellen Präsentation des diesjährigen Theaterfestivals mit dem Gastland Belgien im Heidelberger Theater. Und plötzlich rückten die internationalen Verbindungen des Stückemarkts, der nun vom 29. April bis zum 8. Mai zum 33. Mal über die Bühne geht, ins Zentrum der Aufmerksamkeit.

Hintergrund

Die Gastländer seit dem Jahr 2001

2001: Frankreich

2002: Italien

2003: Russland

2004: Irland

2005: Ungarn

2006: Polen

2007: Rumänien

2008: Kroatien

2009: Estland

2010: Israel

2011:

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Die Gastländer seit dem Jahr 2001

2001: Frankreich

2002: Italien

2003: Russland

2004: Irland

2005: Ungarn

2006: Polen

2007: Rumänien

2008: Kroatien

2009: Estland

2010: Israel

2011: Türkei

2012: Ägypten

2013: Griechenland

2014: Finnland

2015: Mexiko

2016: Belgien

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Dabei überschritt das Heidelberger Festival bereits seit seinen frühen Ausgaben Mitte der 1980er Jahre nationale Grenzen. Vor der Jahrtausendwende bildete der gesamte deutschsprachige Raum das Einzugsgebiet. Und seit 2001 - also jetzt seit 16 Jahren - gibt es durchgehend das "Gastland", das bis 2009 "Europäisches Gastland" hieß und bei dem bis 2011 der "Europäische Autorenpreis" vergeben wurde. Als Länder wie Israel (2010) und die Türkei (2011) beteiligt waren, entfiel der namentliche Europa-Bezug beim Gastland. Im vergangenen Jahr war mit Mexiko sogar ein Land von einem anderen Kontinent präsent.

Angesichts der sich immer weiter verdichtenden Beziehungen zu anderen Län-dern sei an dieser Stelle dafür plädiert, das Theaterfestival umzubenennen in "Internationaler Heidelberger Stückemarkt". Denn was auf diesem Etikett draufsteht, ist wirklich drin. Dagegen suggeriert der Name "Heidelberger Stückemarkt" für Außenstehende lediglich ein lokales Ereignis ohne Bezug zu länderübergreifenden Verbindungen.

Und die Bezeichnung "Internationaler Heidelberger Stückemarkt" hätte zugleich einen zweiten Effekt. Denn der Name "Heidelberg" hat zwar auf vielen Gebieten Strahlkraft, aber in der Theaterszene gilt die Stadt keineswegs als ein Zentrum. Dennoch ist der Stückemarkt wohl unumstritten ein zentrales Festival für die deutschsprachige Gegenwartsdramatik, eben auch aus Österreich und der Schweiz. Deshalb brächte der Zusatz "International" auch die reale Bedeutung dieses Hauptteils des Stückemarkts zum Ausdruck.

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Das derzeitige Fehlen dieses Zusatzes führt auch zu einer Schieflage beim gemeinsamen Auftritt der "Topfestivals" in der Metropolregion Rhein-Neckar. Neben die "Internationalen Schillertage" in Mannheim, das "Internationale Filmfestival Mannheim-Heidelberg" oder auch das "Internationale Musikfestival Heidelberger Frühling" tritt schlicht der "Heidelberger Stückemarkt" - ohne Verweis auf seine massive Internationalität.

Auch auf der überregionalen Ebene, wo der Stückemarkt agiert, wirkt sich der bloß lokale Namensbezug ungünstig aus. So tragen die konkurrierenden und teilweise kooperierenden Mülheimer Theatertage längst den Zusatz "NRW" für Nordrhein-Westfalen im Namen. Und die ebenfalls mit Heidelberg einen Austausch pflegenden Autorentheatertage am Deutschen Theater Berlin sowie der Berliner Stückemarkt partizipieren an der Ausstrahlung von Deutschlands Theaterhauptstadt. Diesen Rivalen auf dem Markt der deutschsprachigen Gegenwartsdramatik tritt bescheiden der "Heidelberger Stückemarkt" gegenüber. Der Zusatz "International" würde hier für ein schärferes Profil sorgen und zugleich für mehr Unterscheidbarkeit, denn kaum eines der genannten Festivals dürfte eine derart kontinuierliche und intensive Internationalität aufweisen wie das Heidelberger Theatertreffen.

Man muss sich diese Dimensionen einmal klar vor Augen führen. Nachdem es seit der zweiten Stückemarktausgabe 1985 erste Grenzüberschreitungen zur DDR und nach Österreich gab, waren in den 1990er Jahren vor allem die deutschsprachigen Nachbarn beteiligt. Und unter den nun sechzehn Gastländern seit 2001 seien nachfolgend einige markante Auftritte hervorgehoben.

Aufregung gab es gleich beim zweiten "Europäischen Gastland" Italien im Jahr 2002, als der lange Arm des damaligen italienischen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi den Stückemarkt erreichte. Vor allem wegen der Einladung eines missliebigen Stücks des Autors Renato Gabrielli ließ er damals die italienische Gastlandförderung zurückziehen. Und gerade in den gegenwärtigen Spannungen zwischen den politischen Großmächten ist es rückblickend interessant, dass Russland 2003 - während der ersten Amtszeit Wladimir Putins als Präsident - beim Stückemarkt zu Gast war.

Von 2005 bis 2009 wurden aus der EU-Osterweiterung die neuen Mitglieder Ungarn, Polen, Rumänien, Kroatien und Estland kulturell in Heidelberg willkommen geheißen. Angespannter war die Lage in den Folgejahren. Beim Gastland Israel 2010 gab es Proteste wegen der israelischen Politik gegenüber den Palästinensern, und der Auftritt der Türkei präsentierte 2011 einen EU-Kandidaten, der sich derzeit wieder als sehr schwieriger Partner erweist.

Das Gastland Ägypten ging dann 2012 vor dem Hintergrund des dramatischen Arabischen Frühlings über die Bühne. Bei der Einladung Griechenlands 2013 bahnte sich bereits die europäische Griechen-land-Krise an. Im Hinblick auf die Flüchtlingsfrage spiegelte 2015 das Gastland Mexiko die "Festung Europa" in der "Festung USA" an der mexikanischen Grenze. Und nun kommt Belgien mit der EU-Hauptstadt Brüssel zu einer Zeit an den Neckar, in der die Europäische Union ihre schwerste Krise durchläuft, wie nicht zuletzt durch die Brüsseler Terroranschläge offenbar wird.

Alles in allem kann man mit Fug und Recht feststellen, dass die Gastlandauftritte beim Stückemarkt durchweg interessant und aufschlussreich waren, sogar oft in Brennpunkte des aktuellen Weltgeschehens führten - die jüngsten Brüsseler Schockwellen erreichen das Festival direkt: Das Theatertreffen ist längst im Globalisierungszeital-ter angekommen und mit vielen Ländern ver-netzt.

Deshalb sind die Organisatoren seit 2014 dazu übergegangen, dem "Deutschsprachi-gen Autorenwettbewerb" den "Internationalen Autorenwettbewerb" gegenüberzu-stellen und bei Letzterem bereits seit 2012 den "Internationalen Autorenpreis" zu verleihen, der übrigens vom Land Baden-Württemberg gestiftet wird. Wenn man noch berücksichtigt, dass zudem der "Deutschsprachige Autorenwettbewerb" wie auch die "Deutschsprachigen Gastspiele" durch die permanente Einbeziehung Österreichs und der Schweiz grenzüberschreitenden Charakter haben, kommt man fast zwangsläufig zu dem Schluss, dass "Internationaler Heidelberger Stückemarkt" die zutreffende Bezeichnung für das Theaterfestival am Neckar ist.

Sicherlich ist der Name "Heidelberg" generell eine starke Marke. Zudem zeugt die Bezeichnung "Heidelberger Stückemarkt" von Understatement und Selbstbewusstsein. Aber dieser Name stammt auch aus dem letzten Jahrhundert, aus einer Zeit vor der globalisierten Welt, als Deutschland noch zweigeteilt war. Im damaligen Westdeutschland war wohl der Berliner Stückemarkt ein Vorbild. Seither hat sich jedoch fast alles verändert, sodass die Zeit reif ist für den neuen Festivalnamen "Internationaler Heidelberger Stückemarkt" - und auch darin nähme "Heidelberg" die zentrale Position ein.

(Der Kommentar wurde vom Verfasser bearbeitet.)
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