Dem Terror zum Trotz: Heidelberger Stückemarkt will öffentliche Räume behaupten

Brüsseler Schockwellen erreichten den Heidelberger Stückemarkt - Präsentation des diesjährigen Festivalprogramms mit dem Gastland Belgien vor dem Hintergrund der Brüsseler Terroranschläge

22.03.2016 UPDATE: 23.03.2016 06:00 Uhr 2 Minuten, 15 Sekunden

Machten gute Miene zum bösen Geschehen in Brüssel (v.l.): Produktionsleiterin Katja Herlemann, Künstlerischer Leiter Jürgen Popig, Kulturbürgermeister Joachim Gerner, Dramaturgin Viktoria Klawitter und Intendant Holger Schultze bei der Vorstellung des 33. Heidelberger Stückemarkts. Foto: Alex

Von Heribert Vogt

So geschockt wie gefasst war Intendant Holger Schultze bei der Präsentation des diesjährigen Heidelberger Stückemarkts, der das Gastland Belgien hat. Er reagierte mit den Worten: "Traurig, brutal, aber auch hochaktuell." Das Ausmaß der gestrigen Terroranschläge in Brüssel war noch nicht abzusehen. Allein die Tatsache, dass die Attentate an verschiedenen Orten stattfanden, ließ an Paris denken.

Angesichts der Brüsseler Schockwellen sprach Schultze von "gemischten Gefühlen" und von einer "furchtbaren Aktualität" des Stückemarkts, der aber "gerade jetzt dieses Gastland" präsentieren werde. Und die ohnehin vorhandene politische Aktualität wolle man nun im Rahmenprogramm des Festivals noch weiter verstärken. Die Brüsseler Terroraktionen hätten öffentlichen Räumen gegolten, zu denen auch das Theater zähle - und diese Bereiche gelte es zu behaupten.

Hintergrund

Kommentar von Heribert Vogt

Das ist ein tiefer Einschnitt in die Geschichte des Heidelberger Stückemarkts. Von den Terroranschlägen in Brüssel ist auch das diesjährige Theaterfestival mit dem Gastland Belgien direkt betroffen. Zum einen werden die

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Kommentar von Heribert Vogt

Das ist ein tiefer Einschnitt in die Geschichte des Heidelberger Stückemarkts. Von den Terroranschlägen in Brüssel ist auch das diesjährige Theaterfestival mit dem Gastland Belgien direkt betroffen. Zum einen werden die Anschläge Auswirkungen auf das belgische Programm in Heidelberg haben, zum anderen wird erschreckend bewusst, dass auch der öffentliche Raum des Theaters überall zum Terrorziel werden kann. Der Kontinent ist nicht nur in der Flüchtlings- und Terrorkrise, sondern darüber hinaus auch in der Solidaritäts- und Identitätskrise. Ach, Europa!

Dabei war der 1984 gegründete Stückemarkt praktisch von Anfang an mit Europa verbandelt. In der früheren Bundesrepublik war man anfangs stolz auf erste Grenzüberschreitungen, 1985 zur DDR und nach Österreich, 1986 auch in die Schweiz und die Niederlande sowie nach Dänemark. In den 1990er Jahren war vorrangig der deutschsprachige Raum das Einzugsgebiet. Bis ab 2001 das Europäische Gastland hinzukam. Zuerst lud man so wichtige Nachbarn wie Frankreich oder Italien ein, aber auch Russland wurde nach Europa geholt.

Ab 2005 war dann eine ganze Reihe von Ländern aus der EU-Ostereiterung in Heidelberg zu Gast: Ungarn, Polen, Rumänien, Kroatien und Estland. Daraufhin folgten Länder, die durchaus in Spannungsverhältnissen zur EU standen und ihr zum Teil nicht mehr angehörten: wie Israel, die Türkei, Ägypten und auch Griechenland. Aber selbst noch beim letztjährigen und einmaligen Kontinentwechsel nach Mexiko bildete weiterhin das deutschsprachige und europäische Theater die Grundlage für das Bühnenfestival am Neckar.

Europa, das stand beim Stückemarkt bislang für nahezu unermesslichen Kulturreichtum - muss man sich nun vor ihm fürchten?

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Deshalb: The show must go on. Kulturbürgermeister Joachim Gerner verwies darauf, dass der kommende Heidelberger Stückemarkt vom 29. April bis zum 8. Mai, für den der Vorverkauf am heutigen Mittwoch beginnt, bereits in die 33. Runde geht. Schon vor einem Jahr habe man sich nach dem letzten Gastland Mexiko für eine Rückkehr nach Europa und dann für Belgien entschieden. Zugleich verwies er darauf, dass es für die aktuellen Geschehnisse in Brüssel schon länger einen Resonanzboden gegeben habe.

Aber natürlich ist es für so ein bedeutendes Theaterfestival, wie es der Heidelberger Stückemarkt mit seinen zahlreichen internationalen Verbindungen ist, kein Zufall, dass es auch mit Krisen in anderen Ländern konfrontiert wird, in diesem Fall mit den Terrorangriffen in Brüssel. Und die Veranstalter setzen auch in diesem Jahr wieder einiges daran, den Rang dieses so lokalen wie überregionalen Kulturereignisses weiterzuführen.

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Davon künden zunächst die großen Theaterhäuser aus dem deutschsprachigen Raum, die nun wieder an den Neckar reisen. Aus Deutschlands Theaterhaupt-stadt Berlin kommen das Maxim Gorki Theater und das Deutsche Theater. Der Süden ist mit dem Münchner Residenztheater und dem Schauspielhaus Graz aus Österreich vertreten. Gleichfalls präsent sind das Schauspiel Frankfurt, das Schauspiel Köln, das Schauspiel Hannover, das Düsseldorfer Schauspielhaus und das Theater Basel. Hinzu kommen das Oldenburgische Staatstheater und das Staatstheater Braunschweig, auch kleinere Ensembles wie das Theaterhaus Ensemble Frankfurt oder das Zimmertheater Tübingen.

Das zweite Stückemarktwochenende (7./8. Mai) ist dem Gastland Belgien gewidmet. Zu sehen sind Produktionen des Théâtre de Liège, der Jan Lauwers & Needcompany Brüssel, des Theaters Malpertuis Tielt und von Transquinquennal Brüssel. Weitere Programmpunkte sind der Internationale Autorenwettbewerb mit Stücken von vier belgi-schen Autoren und ein Gespräch über die belgische Theaterlandschaft. Auch der Heidelberger Kunstverein ist am Stückemarkt beteiligt: Ab 5. Mai ist dort eine Video-Text-Installation des belgischen Schwesternduos Les Sœurs H. (Brüssel) zu sehen.

Eröffnet wird das Festival am 29. April: Das Heidelberger Theater zeigt als Zweitaufführung im Zwinger 1 das Stück "Der Mann aus Oklahoma" von Lukas Linder, der damit den Autorenpreis 2015 gewonnen hat. Am ersten Stückemarktwochenende (30. April/1. Mai) gehen der Deutschsprachige Autorenwettbewerb sowie deutschsprachige Gastspiele über die Bühne.

Um den Jugendstückepreis konkurrieren ab 2. Mai Aufführungen aus Hannover, Berlin und Düsseldorf. Zudem ist das Kinderstück "Dreier steht Kopf" (ab 4) aus Frankfurt als Austauschgastspiel mit den Mülheimer Theatertagen NRW zu sehen.

Der Künstlerische Leiter Jürgen Popig unterstrich die große Zahl der für den Deutschsprachigen Autorenwettbewerb eingesandten Stücke. Von diesen mehr als 90 Dramen stammen rund 50 von Autorinnen. Es handelt sich vor allem um kleine konzentrierte Stücke über große Themen. - Der Zahlencountdown des 33. Heidelberger Stückemarkts lautet: 93 eingereichte Theaterstücke, 20 Gastspiele, 18 Uraufführungen, 10 Lesungen, 5 Preise, 2 Partys = 1 Festival.

Info: Vorverkaufsstart ist heute: www.theaterheidelberg.de, E-Mail: tickets@theater.heidelberg.de; Tel. 06221 / 58 20 000

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