Aus der Perspektive der Geflüchteten
Die Journalistin las im Rahmen des Literaturherbstes aus ihrem Buch "Nach Deutschland: Fünf Menschen. Fünf Wege. Ein Ziel" vor.

Von Zhe Weber
Heidelberg. Zu keiner besseren Zeit hätte das neue Buch der Journalistin Isabel Schayani erscheinen können. Kein Thema polarisiert im Moment mehr als die Flüchtlingspolitik. Der Bundestag debattiert wieder und wieder über die Begrenzung der Migration. Jüngst ergab eine Umfrage, dass große Teile der Bevölkerung gegen die Aufnahme weiterer Flüchtlinge sind.
Heidelberg leistet seinen Teil in der Betreuung von Geflüchteten. So berichtet die Bürgermeisterin für das Dezernat Soziales, Bildung, Familie und Chancengleichheit, Stefanie Jansen, in ihrer Begrüßung, dass das Patrick-Henry-Village zum Ankunftszentrum für Flüchtlinge werden soll. Darüber hinaus sollen Wohnheime für Menschen mit dauerhafter Bleibeperspektive entstehen.
Bei all den Anstrengungen, die unternommen werden, sehen wir die Geschehnisse stets nur aus der Perspektive der Helfenden. Gleichzeitig ist die Polarisierung, mit der die Debatten geführt werden, allgegenwärtig. Es gibt keine Abstufungen, keine Grautöne zwischen den beiden Seiten, die sich unversöhnlich gegenüberstehen: den Vertretern der Willkommenskultur und denen, die die Schließung nationaler Grenzen fordern.
Hier möchte Schayani mit "Nach Deutschland: Fünf Menschen. Fünf Wege. Ein Ziel" ansetzen und einen Wechsel der Perspektive erreichen. Ihr Buch konfrontiert uns mit der Frage, was wir über die Menschen wissen, die den beschwerlichen Weg auf sich nehmen, um nach Europa, nach Deutschland zu gelangen. Was haben sie in ihrer Heimat, was haben sie unterwegs erlebt? Fünf von ihnen hat Schayani über Jahre begleitet, immer wieder aufgesucht und mit ihnen gesprochen. Herausgekommen ist ein Buch über Menschen, deren Schicksale unterschiedlicher nicht sein könnten.
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Der junge Safi flüchtet zunächst aus Afghanistan in den Iran, wo er sich in der untersten Gesellschaftsschicht des Landes wiederfindet. Er gerät in das sogenannte "Knabenspiel", bei dem Iraner afghanische Jungen misshandeln, indem sie sie zwingen, sich wie Mädchen zu kleiden und zu verhalten.
Safi flüchtet erneut, will zunächst in die Türkei, trifft unterwegs ein Mädchen, in das er sich verliebt. Sie überredet ihn, nach Deutschland zu gehen. So macht er sich auf den Weg über die Balkanroute, wo er mit den rabiaten kroatischen Sicherheitskräften Bekanntschaft macht. Ein Jahr später befindet sich Safi in Deutschland, kann aber aufgrund von Analphabetismus keine Arbeit finden. Seine Liebe ist gescheitert, er hat einen Selbstmordversuch hinter sich.
Dann ist da Ruhi, der im Iran den Doktortitel in Mathematik erlangen will, aber wegen seines Glaubens inhaftiert und gefoltert wird. Für seine Flucht kann er sich ein Flugzeugticket leisten, aber in Deutschland angekommen, wird er aufgrund dessen, was ihm widerfahren ist, auf eine Stelle in einer Behindertenwerkstatt hoffen müssen. Ein weiterer Flüchtling ist Omid, der sich mit seiner Tochter auf dem Arm zu Fuß auf den Weg macht, über Athen zum "Dschungel" von Calais. Mit dem Schlauchboot soll es über den Ärmelkanal nach Großbritannien gehen. Omid lebt heute auf der Straße, seine Tochter bei Bekannten.
Es gibt aber auch positive Geschichten, etwa die von Melika, die Schayani wegen ihres Aussehens als "Pippi Langstrumpf von Moria" bezeichnet. Als das Lager 2020 in Brand gerät, ist Melika noch ein Kind. Heute geht es ihr gut, ihre Kindheit aber endete mit dem Feuer. Und dann gibt es noch Olena, die es mit Bus und Bahn aus der Ukraine schafft.
Es bleibt die Frage, was wir aus diesen Geschichten lernen können. Klar ist, dass Flucht kein saisonales Problem ist, das in naher Zukunft verschwinden wird. Daher sollte ein Ansatz darin bestehen, Flucht menschlicher zu gestalten und kreativere Lösungen zu finden.
Info: Isabel Schayani: "Nach Deutschland: Fünf Menschen. Fünf Wege. Ein Ziel". C.H.Beck Verlag, München, 319 Seiten, 26 Euro.



