Vom Scheitern einer großen Liebe
Eine kluge Wahl für die erste Musiktheaterpremiere der neuen Spielzeit. Gezeigt wird eine kammerspielartige Inszenierung von Peter Tschaikowskis "Eugen Onegin".

Von Nike Luber
Heidelberg. Gewöhnung ersetzt das Glück, singen die Witwe Larina und die Hausangestellte Filipjewna. Beide wurden von ihren Vätern mit Männern verheiratet, die sie sich nicht ausgesucht haben, und arrangierten sich damit. Wie steht es um die Chance auf eine Liebesheirat für Larinas Töchter Olga und Tatjana? Auch Titelheld Eugen Onegin sucht das Glück. Doch Peter Tschaikowski verrät schon in der melancholischen Ouvertüre, dass hier niemand glücklich werden wird.
"Eugen Onegin" erweist sich als kluge Wahl für die erste Musiktheaterpremiere der Spielzeit am Heidelberger Theater. Geschickt unterstreicht das Regieteam um Sonja Trebes den kammerspielartigen Charakter dieser Oper. Die Inszenierung kommt mit wenigen Requisiten aus (Bühne: Dirk Becker). Ein paar bemalte Stoffbahnen und eine Hintergrundprojektion vermitteln, dass sich der russische Birkenwald weit um das Landgut erstreckt. Aus der blaugrauen Masse der Gesellschaft heben sich die Hauptfiguren schon durch ihre andersfarbigen Kostüme ab (Jula Reindell).
Tatjana, die Heldin dieser Oper, mag nicht mit dem Lesen aufhören, überall um sie herum liegen Bücher. Deutlicher kann man nicht zeigen, dass die Lektüre für sie eine Flucht in eine andere Welt bedeutet. Natürlich trägt sie eine Brille, sie ist linkisch und schüchtern. Ihre Schwester Olga tritt da anders auf, sehr feminin, immer auf ihr Äußeres bedacht, stets auf der Suche nach Aufmerksamkeit und Anerkennung. Die Liebe ihres Verlobten, des Dichters Lenski, langweilt sie schon vor der Hochzeit. Da ist Onegin, den Lenski eines Tages mitbringt, ein ganz anderes Kaliber. Sonja Trebes zeigt in ihrer Inszenierung, wie brüchig die Beziehungen dieser jungen Leute sind. Jeder sucht beim Anderen etwas, was dieser nicht geben kann oder will.
Erschwerend hinzu kommt die Gesellschaft. Ob Bauern, Nachbarn, oder später der St. Petersburger Adel – es wird getratscht und gespottet. Der Opernchor macht das großartig. Man spürt geradezu, mit wie viel Genuss da jemand zum Opfer gemacht wird. Immer dabei ist Mutter Larina, die aber nicht in der Lage ist, irgendetwas zu verändern.
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Aus ihrem Koffer kommen die Gegenstände, die sie an all die Katastrophen erinnern. Wie Onegin Tatjanas Liebe zurückweist, wie seine Freundschaft mit Lenski zerbricht, das Duell, das hier in Lenskis Selbstmord mündet.
Die Solisten gehen ganz in ihren Rollen auf. Ipca Ramanovic verkörpert perfekt den kantigen, romantischen Antihelden, der Tatjanas Liebeserklärung als Schwärmerei eines jungen Mädchens missdeutet und Lenskis Reaktion auf seinen Flirt mit Olga unterschätzt. Von der angekündigten Erkältung des Sängers war bei der Premiere kaum etwas zu hören, das etwas Angeraute seines kraftvollen Baritons passte gut zum Charakter des Onegin. Den größten Raum für ihre Gefühle erhält in der Oper Tatjana. Indre Pelakauskaite vermittelt mit ihrer warmen, in der Höhe strahlenden und sehr flexibel geführten Stimme grandios die Leidenschaft, die in der scheinbar so stillen Tatjana steckt. Lenskis Verzweiflung, als er entdeckt, dass Olga ihn keineswegs so sehr liebt wie er sie, und sein Entschluss zu sterben, bringt Jaesung Kim stimmgewaltig und berührend zum Ausdruck. Olga selbst will eigentlich nur spielen, was Zlata Khershberg-Reith überzeugend darstellt.
Auf der Flucht vor seinen Erinnerungen erkennt Onegin, wie leer sein Leben ist. Zurück in St. Petersburg trifft er zufällig Tatjana wieder. Jetzt ist sie die angesehene, reiche Fürstin Gremina. Sie wird, eingehüllt in Pelz, umgeben von Birken und Büchern, in einer Vitrine ausgestellt. Doch die Schaufassade bricht schnell auf. In einem Duett voller Intensität gestehen sich Tatjana und Onegin ihre Liebe. Aber Tatjana bleibt ihrem Ehemann treu, man kann die Vergangenheit nicht rückgängig machen.
Die Emotionalität und Tragik der Hauptfiguren, aber auch der Spott und die Herzlosigkeit der Gesellschaft um sie herum, werden vom fein ausgeleuchteten musikalischen Fluss aus dem Orchestergraben getragen. Unter der Leitung von Roland Kluttig gibt das Philharmonische Orchester Heidelberg eine transparente, klangschöne und ausdrucksvolle Interpretation von Tschaikowskis Musik, unter Verwendung der musikalischen Erstfassung. Hier passt alles zusammen. Solisten, Chor, Orchester und Inszenierung ergeben gemeinsam eine spannende Erzählung vom Scheitern einer großen Liebe.
Info: Weitere Vorstellungen am 28. September sowie am 1., 3., 8. und 14. Oktober.



