Folge keinem Trend!
Ian Gillan, die Stimme von Deep Purple, feiert am 19. August seinen 80. Geburtstag. Er wurde vom jugendlichen Elvis-Verehrer zu einem der größten Hardrock-Sänger überhaupt.

Von Olaf Neumann
Ian Gillan, die Stimme von Deep Purple, feiert am 19. August seinen 80. Geburtstag. Er wurde vom jugendlichen Elvis-Verehrer zu einem der größten Hardrock-Sänger überhaupt.
Das Album "Deep Purple in Rock" erscheint 1970 mit dem Song "Speed King". Darin macht Ritchie Blackmore Sachen auf der Gitarre, für die man keinen anderen Ausdruck als "elektrisierend" finden kann. Gleiches gilt für "Child in Time" mit Ian Gillans Vokalakrobatik.
Der epische Song zeigt die ganze Bandbreite des selbsternannten "Gesangshandwerkers", der zu der Zeit gerade 25 Jahre alt ist. Hervorstechende Merkmale: kraftvolle Schreie, inbrünstige Darbietung und unverwechselbares Falsett, wie es heute in der Popwelt wieder angesagt ist. In "Child in Time" geht es um die Ängste der Ära des Kalten Krieges, insbesondere die Gefahr eines nuklearen Konflikts. Kurioserweise wird das Stück zu einer ausgesprochenen Schmuse-und Petting-Nummer.
"Deep Purple in Rock" entzieht sich rascher Klassifizierung, weil es einen Wendepunkt darstellt. Das Album macht Gillan zum Sangesidol einer ganzen Generation und katapultiert Ritchie Blackmore auf den Thron der Hackbrett-Artisten. Sein temporeiches, brennendes Spiel auf der Fender Stratocaster und seine Fähigkeit, klassische Elemente zu integrieren, üben einen massiven Einfluss auf die nächste Rock-Generation mit Super-Gitarristen wie Yngwie Malmsteen und Steve Morse aus. Dass letzterer später in die Fußstapfen des Altmeisters bei Deep Purple tritt, erscheint rückblickend nur logisch.
Ian Gillan wird am 19. August 1945 in dem Londoner Stadtteil Chiswick geboren und wächst mit der Musik von Lonnie Donegan auf, dem "King of Skiffle". Der hatte zwischen 1956 und 1962 mehr als 30 Hits in den britischen Charts.
"Donegan hat uns aufgeregt und aufgeschlossen gemacht", erzählt Gillan dem Verfasser dieser Zeilen. "Seine Musik war eine gute Vorbereitung auf Little Richard, Chuck Berry, Elvis Presley, Buddy Holly und die Everly Brothers, die aus Amerika kamen. Skiffle riss psychologische Barrieren nieder."
Mit jeder musikalischen Entwicklungsstufe in Ian Gillans Leben geht praktisch eine technische Revolution einher. Als Rock’n’Roll und Skiffle aufkommen, haben in Deutschland die Physiker Herbert Mataré, Heinrich Welker und Jakob Michael die Idee, einen Transistor in ein Radio einzubauen. Das bedeutet, dass Teenager wie Ian Gillan jetzt nicht mehr zu Hause vor dem einzigen Radiogerät sitzen mussten, bei dem die Eltern den Sender auswählen. Bei den musikaffinen Gillans ist das meistens etwas mit Klassik oder leichter Muse. "Für Teenager wie mich ist das todlangweilig und erdrückend gewesen", erinnert sich Gillan. "Mit dem Transistorradio konnte man endlich seine eigene Musik mit sich herumtragen. Dies entfachte eine Flamme, die die Welt der Kids erleuchtete."
Mit 15 wird der Elvis-Fan Sänger der Javelins. Sie spielen Coverversionen von Sonny Boy Williamson, Chuck Berry, Jerry Lee Lewis und Little Richard. Fünf Jahre später schliesst er sich Episode Six an, sie soll Ian Gillans erste wirklich professionelle Band werden. Seinen Debütauftritt mit Deep Purple hat er am 10. Juli 1969 im Speakeasy im Londoner West End nach nur wenigen Proben. Einer seiner ersten Beiträge zur Band ist die Gesangsmelodie und der Text zu "Child in Time".
"Eine Sache, die wir in den ersten Tagen gelernt haben, ist, Trends um jeden Preis zu vermeiden", erzählt Ian Gillan. "Wenn du heute hip bist, bist du morgen schon wieder out. Bleib also dir selbst treu und tue, was sich natürlich anfühlt. Du wirst dabei nicht immer mit dem Massengeschmack übereinstimmen, aber du musst tiefer in deine musikalischen Werte und Freundschaften eindringen. Wenn du Erfolg an Live-Auftritten misst, wird der Finger irgendwann nach oben zeigen. Du lernst, entwickelst dich weiter und verbesserst dich ständig. Mit dem Ansatz, Trends zu ignorieren, waren wir immer sehr erfolgreich."
Die offen ausgetragenen Spannungen zwischen Gitarrist Ritchie Blackmore und Organist Jon Lord befeuern die Kreativität von Deep Purple anfangs ungemein. Berüchtigt ist auch Blackmores handfeste Rivalität mit Ian Gillan. Dem Sänger drückt er im Streit einmal einen Teller Spaghetti ins Gesicht. "Er war ein Alphatier und ich auch. Er wollte die Kontrolle, so wie ich", rechtfertigte sich Blackmore Jahre später.
Als gereifter Musiker lasse man sich nicht mehr dominieren, sagt der Sänger heute. "Wir sind inzwischen ausgeglichene Charaktere und haben gelernt, die Ideen der anderen zu akzeptieren. Natürlich gab es früher diese Spannungen. Der Mensch neigt seit jeher dazu, andere zu beherrschen. Aber mit der Zeit setzt bei jedem ein Lernprozess ein. Ritchie Blackmore hat sich sein Leben lang mit mittelalterlicher Musik beschäftigt. Das machte seine Künstlerpersönlichkeit zu einem großen Teil aus. Inzwischen spielt er die Musik, von der er immer geträumt hat. Aus heutiger Sicht kann man die Spannungen viel besser verstehen."
Der markante Riff von "Smoke On The Water” ist für viele Anfänger der erste, den sie auf ihrem Instrument beherrschen. Er gilt als ultimatives Rockgitarrenriff. "Smoke On The Water” ist seit den frühen Siebzigern fester Bestandteil der Liveshows von Deep Purple, wo der Song vor allem zum virtuosen Wechselspiel zwischen Orgel und Gitarre genutzt wird. Ihnen geht es nicht um Reproduktion, sondern eher um Improvisation. Jeden Abend sehen Deep Purple sich mit anderen akustischen Verhältnissen konfrontiert. Kein Wunder, dass sie nie gleich klingen. Mittlerweile kommen auch wieder viele junge Menschen zu ihren Konzerten.
Von Punks werden sie Ende der 70er als Rockdinosaurier und langweilige alte Fürze abgetan. Eine Schmach, die Ian Gillan vielleicht nie verwunden hat. "Man hat uns im Laufe der Jahrzehnte auf unterschiedlichste Weise zu beleidigen versucht. Wir haben das alles ausgehalten. Niemand wird als Rockdinosaurier geboren."
Ian Gillan gibt zu, dass er die hohen Töne von "Child in Time" schon lange nicht mehr hinbekommt. Aber an Ruhestand denkt der Witwer noch lange nicht. "Deep Purple ist eine Band, die nicht aufhören will", sagt der neue Gitarrist an seiner Seite, Simon McBride (46). "Sie haben Spaß und machen einfach immer weiter. Dieses Jahr ist es ein bisschen ruhig, was das Touren angeht, aber wir planen, es in 2026 wieder zu tun. Ich liebe es."