Wo Bruckner zu Hause ist
Generalmusikdirektor Elias Grandy dirigierte das erste Philharmonische Konzert der neuen Spielzeit in der Heiliggeistkirche.

Von Simon Scherer
Heidelberg. Schon der frühere Heidelberger Generalmusikdirektor und Ehrendirigent Mario Venzago sagte, dass Bruckner eigentlich Musik für die Kirche sei. Aus der Notlage, dass die Neue Aula mit solch gewaltiger Sinfonik überfordert wäre, verlegte man das erste Philharmonische Konzert der neuen Spielzeit nun in die Heiliggeistkirche.
Das war akustisch wie logistisch eine Herausforderung, doch GMD Elias Grandy wusste durch klug gewählte Tempi und rasches Reagieren auf ausartende Fortissimi Anton Bruckners 7. Sinfonie in ein schlüssiges wie nachvollziehbares Format zu gießen. Auch interpretatorisch vermochte er die sakrale Umgebung glaubhaft in die Musik zu integrieren, was die religiöse Dimension eindrücklicher erfahrbar machte, als es jeder Konzertsaal könnte.
Lediglich im Kopfsatz geriet Grandy zu stark ins Schwärmen, wodurch für den weiteren Steigerungsaufbau wenig Luft nach oben blieb. Angekommen bei einem Gefühlsausbruch gleichenden Höhepunkt, musste man vor lauter Überschwänglichkeit gar um den Zusammenhalt bangen.
Grandy hatte das jedoch schnell unter Kontrolle und achtete künftig darauf, das Orchestergeschehen nie zu breiig werden zu lassen, was durch rasche Wechsel in andachtsvolle Piano-Passagen gelang. Hier konnte der Streicherteppich in aller Ruhe Bruckners trostspendende Gebete aussprechen.
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Generell erhalten Geigen in dieser E-Dur-Sinfonie weitaus mehr Gewicht als in ihren blechdominierten Vor- und Nachgängern – und diese Rolle wusste der Streicherapparat würdig auszufüllen. Eine beachtliche Leistung der Philharmoniker also, in diesem klangmächtigen Werk dynamisch so feingliedrig zu agieren, dass selbst ein anrührendes Klarinetten-Solo seinen Zauber entfalten konnte.
Noch mehr solcher Stimmungsbilder eröffnete das Adagio, das in seinem Umfang ebenfalls schon ein Werk für sich darstellt. Zwischen dessen Trauergesängen und dämonischen Tiefen arbeitete Grandy überall Momente von Hoffnung, Zuversicht und Dankbarkeit heraus.
Besonders erhebend waren die Augenblicke, als man Sprosse für Sprosse auf der Himmelsleiter erklomm. Erst in den kompakteren Schlusssätzen schlug Grandy energischere Tempi an, wodurch er für das Gesamtwerk durchaus länger brauchte als so mancher Kollege. Hoffentlich war das nicht sein letzter Bruckner in der Heiliggeistkirche!
Thematisch bestens zu Bruckner passte das den Abend eröffnende Werk von Victoria Borisova-Ollas, mit dem die Konzertreihe ihr neues Ziel verwirklichte, in jedes Programm das Werk einer Komponistin zu integrieren. "The kingdom of silence" befasst sich mit dem geheimnisvollen Land, "wohin wir alle nach unserer Lebenszeit gehen werden", wie es die Komponistin formuliert. Angefangen mit einem Wiegenlied von Celesta und Glockenspiel im mystischen Umfeld ahnte man bereits hier, dass sich etwas Großes anbahnt.
Ein langer Prozess, den die Philharmoniker mit der nötigen Ruhe und einem Spannungsaufbau im Verborgenen authentisch umsetzten – bis alles in einen Sturm mündete, der sich wie ein schwirrendes Wetterphänomen nie auf ein konkretes Stadium festlegen ließ. Musik ist eben auch Geheimnis.



