Intendant Joosten Mindrup inszeniert "Nipplejesus"
Eine Köstliche Kunst-Komödie gibt es am Heidelberger Zimmertheater zu sehen.

Von Ingeborg Salomon
Heidelberg. Wie macht der Kerl das bloß? Das durften sich die Zuschauer am Donnerstagabend nach der Premiere von "Nipplejesus" im Zimmertheater fragen. Denn Christian Schulz legt als Türsteher Dave mit seinem 70-minütigen Monolog ein grandioses Solo hin und setzt darüber hinaus seine ausdrucksvolle Körpersprache so gekonnt ein, dass die Besucher im endlich mal wieder voll besetzten Zimmertheater vor Begeisterung ganz aus dem Häuschen gerieten und den Schauspieler mit begeistertem Applaus und Bravo-Rufen feierten. Die galten ebenso Intendant Joosten Mindrup, der "Nipplejesus" inszeniert und auch das pfiffige Bühnenbild gestaltet hat.
"Nipplejesus"-Autor Nick Hornby ist gerade mächtig angesagt, auch bei jungen Menschen, die zahlreich ins Zimmertheater gekommen waren. Wie schön, zeigt dieser Zuspruch doch, dass die Frage, was ein Kunstwerk ist, darf und überhaupt soll, auch bei der Generation Y auf Interesse stößt. Denn genau darum geht es in "Nipplejesus". Hornbys lakonische Kurzgeschichte wurde im Jahr 2000 in der Anthologie "Speaking with the Angel" veröffentlicht, zu einer Zeit, als in London die Diskussion um Kunstwerke heftig Fahrt aufnahm. Einige Bilder wurden verbrannt, was mehr Schlagzeilen machte als die Darstellungen selbst.
Worum also geht es in der Komödie mit dem provokanten Titel? Dave hat mit Kunst nicht viel am Hut. Seit er als Schüler Steinchen aus einem römischen Mosaik geklaut hat, war er in keinem Museum mehr. Doch das Arbeitsamt hat ihn ausgerechnet in einen Kulturtempel vermittelt, nachdem er seinen "Scheißjob" als Türsteher nach einer unliebsamen Begegnung mit einem Bewaffneten hingeschmissen hatte. Denn Dave hat schließlich Familie, und in dem muskulösen Kraftpaket mit den eindrucksvollen Tattoos schlägt ein weiches Herz, wie sich zeigt.
Auf Dave wartet eine besondere Aufgabe: Er soll Kunstwerk Nr. 49 bewachen, ein brisantes Bild, das hinter einem Vorhang abgetrennt hängt. Zutritt haben nur Besucher ab 18, denn das Werk könnte die Gefühle des Betrachters verletzen. Was aus der Entfernung wie eine ganz normale Christusdarstellung aussieht, entpuppt sich aus der Nähe als eine Collage, die aus Tausenden weiblicher Brustwarzen zusammengesetzt ist, ein "Nipplejesus" eben.
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Als Dave erkennt, was er da bewachen soll, ist er empört, und Christian Schulz spielt dieses Entsetzen überaus glaubwürdig. "Was für ein perverser Wichser hat sich das denn ausgedacht?" grübelt Dave, der selbst auch kein Chorknabe ist und in der Army schon einiges erlebt hat. Doch als er auf der Vernissage die Künstlerin kennenlernt, kommt er heftig ins Grübeln. Denn kein fieser alter Widerling hat sich Nipplejesus ausgedacht, sondern eine smarte junge Frau namens Martha Marshall. Die findet Dave auf Anhieb sympathisch.
Spielt es eine Rolle, wer ein Kunstwerk gestaltet? Oder ist Kunst eben Kunst, unabhängig von ihrem Erfinder? Und was soll das Ganze überhaupt? Auf die letzte Frage gibt das Stück schnell eine Antwort, denn nachdem die Zeitungen von dem anstößigen Werk berichtet haben, kommt Dave mit den Besuchern ins Gespräch und verteidigt das Bild. Dabei identifiziert er sich mehr und mehr damit. Gegen einen potenziellen Eierwerfer geht er ziemlich rabiat vor, fühlt sich persönlich angegriffen. Dass Martha Marshall das "total perfekt" findet und irritierend gut gelaunt bleibt, sollte Dave zu denken geben. Tut es aber nicht. Erst am Schluss merkt er, dass er selbst Teil einer ziemlich perfiden Inszenierung geworden ist.
Christian Schulz, der als freischaffender Schauspieler seit vielen Jahren am Zimmertheater auftritt, verkörpert den bulligen Museumswärter mit warmer Sympathie und viel Charme. In Daves innerem Monolog gibt er einfühlsam wieder, was Otto Normalbesucher über Kunst so denkt – etwa "Verschwendung von Steuergeldern". Mit unverstelltem Blick betrachtet er die vermeintlichen Kunstkenner und wie sie sich zu dem provokativen Bild verhalten. Letztlich gehen alle einer Künstlerin in die Falle, die kühl kalkuliert ihr Werk für ganz eigene Zwecke einsetzt.
Joosten Mindrup ist eine Inszenierung gelungen, in der viel gelacht werden darf und über die viel diskutiert werden sollte. "Dehumanization" ("Entmenschlichung") heißt nicht umsonst der Ausstellungsraum mit den knalligen Tierfiguren. Sind die nun Kunst – oder nur Affentheater?
Info: "Nipplejesus" ist zu sehen im Zimmertheater Heidelberg, Hauptstraße 118, fast täglich (außer montags) bis 4. September. Termine und Karten unter www.zimmertheater.de