Heidelberger Stückemarkt

Philipp Heules Familiendrama "Das Haus brennt" wird online vorgestellt

Gespräch mit dem Stückemarkt-Teilnehmer - "Im Vordergrund steht die Lust am Schreiben"

17.04.2020 UPDATE: 20.04.2020 06:00 Uhr 2 Minuten, 44 Sekunden
Blick in den Alten Saal des Heidelberger Theaters: So präsentierten die Ensemblemitglieder im vergangenen Jahr die Werke der zum Autorenwettbewerb eingeladenen Künstler. Diesmal geht’s nur online. Das vom Mäzen Manfred Lautenschläger aufgestockte Preisgeld in Höhe von 12000 Euro geht zu gleichen Teilen an die sechs eingeladenen deutschsprachigen Autorinnen und Autoren. Foto: Sebastian Bühler

Von Volker Oesterreich

Heidelberg. Eigentlich hätte der Heidelberger Stückemarkt am 24. April beginnen sollen. Zehn tolle Tage des Theaters waren geplant. Doch alles kommt anders – aus den bekannten Gründen. Sechs junge deutschsprachige Dramatikerinnen und Dramatiker waren mit ihren neuen Stücken eingeladen worden. Zum Glück gehen sie nicht leer aus, jede und jeder von ihnen erhält gleichberechtigt ein Preisgeld in Höhe von 2000 Euro. Ermöglicht hat das der Mäzen Manfred Lautenschläger, der gemeinsam mit dem Heidelberger Theater dafür eintritt, freie Künstler während der Corona-Krise zu fördern. Außerdem werden die eingereichten Texte in szenischen Lesungen im Online-Portal nachtkritik.de vorgestellt. Die RNZ hat mit allen Autoren E-Mail-Interviews geführt. Heute gibt Philippe Heule einen Einblick in seine künstlerische Arbeit.

Herr Heule, wie entstehen Ihre Stücke?

Unterschiedlich. Die Herangehensweise wird durch die Form und den Inhalt des Stücks beeinflusst. "Das Haus brennt" habe ich sehr konzentriert und zurückgezogen geschrieben. Ich habe mich, nachdem die Idee über den letzten Sommer herangereift war, für etwa drei Wochen eingeschlossen. Ich hatte mir die Aufgabe gegeben, das Stück in einem Guss durchzuschreiben. Das passt zu der isolierten Familie des Stücks bzw. zum Kam-merspiel. Mein letztes Stück, "Die Stunde, als wir nichts voneinander wissen wollten", das von unterschiedlichsten Kriegsschauplätzen handelt, habe ich im Verlauf eines Jahres geschrieben, das war eine breit angelegte Suchbewegung und im Anschluss daran ein langes Puzzle-Spiel.

Philippe Heule. Foto: zg

Was erzählen Ihre Figuren in "Das Haus brennt"?

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Das Stück handelt von einem potentiellen Familienauslöscher bzw. von einer Familie, die vom Vater potentiell ausgelöscht wird. In dieser Familie wurde das wöchentliche "Tatort"-Schauen durch das Nachspielen von Familienmorden ersetzt. Das ganze Stück spielt im Wohnzimmer des Familienhauses. Es gibt fünf Akte, allerdings habe ich nur vier davon geschrieben, wie genau die Katastrophe aussieht, wird dem Publikum überlassen. Ich wollte eine schleichende Eskalation beschreiben, lange Situationen, die einerseits schwer zu ertragen und andererseits wahnsinnig komisch sind. Ich wollte eine Vater-Figur mit narzisstischer Persönlichkeitsstörung im Zentrum, mich interessiert dabei aber nicht die Pathologie eines Individuums oder eines Einzeltäters, sondern ein Muster, eine gesellschaftliche Pathologie, die ich wahrnehme und die ich als männlichen (Selbst-)Zerstörungsdrang aufgrund von Machtverlust beschreiben würde. Der Vater, sein Beruf ist "Beschatter", imaginiert die Bedrohung der Familie in der unmittelbaren Nachbarschaft, und dabei ist er selbst die größte Gefahr für die anderen Familienmitglieder. Ich wollte die anderen Familienmitglieder zeigen, die dieses System anfangs gleichermaßen einverleibt haben und es stützen, aber langsam damit beginnen, sich davon zu distanzieren und zu emanzipieren. Vielleicht kommt diese Emanzipation aber auch zu spät.

Wie gut kann man dramatisches Schreiben an Hochschulen lernen? Geht das überhaupt?

Talent wird ja von außen bestimmt. Ich denke, im Vordergrund steht die unbedingte Lust am Schreiben und die Auseinandersetzung mit Sprache und Literatur. Hochschulen ermöglichen ein Zusammentreffen und den Austausch mit Gleichgesinnten. Das kann sehr produktiv und inspirierend sein. Das praktische Ausprobieren ist das Wichtigste. Um ein Gefühl für Dramatik zu kriegen, hilft es, in unterschiedlichen Produktionen mitzubekommen, wie ein Text vom Papier in die Körper kommt.

Hintergrund

> Philippe Heule wurde 1986 geboren und ist im St. Galler Rheintal aufgewachsen. Er ist Autor, Regisseur, Schauspieler und Begründer des Performance-Kollektivs helium x. Sein Stück "Die Simulanten" wurde 2016 in Dortmund als Koproduktion mit den Ruhrfestspielen

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> Philippe Heule wurde 1986 geboren und ist im St. Galler Rheintal aufgewachsen. Er ist Autor, Regisseur, Schauspieler und Begründer des Performance-Kollektivs helium x. Sein Stück "Die Simulanten" wurde 2016 in Dortmund als Koproduktion mit den Ruhrfestspielen Recklinghausen uraufgeführt. 2015/16 war er Hausautor am Theater Basel, 2018 erhielt er den Else-Lasker-Schüler-Stückepreis. (rnz)

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Kämen für Sie Drehbücher für TV-Produktionen, Serien oder Streaming-Angebote als Alternative in Frage?

Ich kann mir vorstellen, Drehbücher für Spielfilme zu schreiben. Ich habe darin auch schone erste Erfahrungen gesammelt. Allerdings würde ich dabei nicht von einer Alternative sprechen. Theater ist ein anderes Medium, das sich für mich durch nichts ersetzen lässt. Ich fühle mich im Theater sehr zu Hause, gerade in einer überdigitalisierten Welt hat für mich das Analoge eine besondere Kraft.

Wie werkgetreu muss eine Uraufführung sein?

Es ist ja leider nicht selbstverständlich, dass ein Stück mehrfach inszeniert wird, deshalb ist es natürlich schön, wenn die gewünschte Werktreue bei einer Uraufführung zusammen mit der Person ausgehandelt wird, die den Text geschrieben hat. Die Texte verlangen ja von sich aus nach ganz unterschiedlichen Zugriffen. Die Regie und das Ensemble müssen in jedem Fall etwas mit dem Text anfangen können, ihn verstehen, eine Fantasie dazu entwickeln können. Dass es zu Anpassungen bzw. Strichen kommt, ist klar. Ich glaube, ich kann gut abgeben, weil ich selbst Regisseur bin. Und ich hoffe auf eine leidenschaftliche Auseinandersetzung des Teams.

Info: Die Online-Lesungen des Stückemarkt-Beitrags "Das Haus brennt" kann ab kommendem Wochenende auf der Website nachtkritik.de angeklickt werden.

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