"Kein vollständiger Ersatz fürs Live-Erlebnis"

Eigentlich sollte Johanna Kaptein "un.orte" beim Stückemarkt lesen ...

Gespräch mit der Dramatikerin - Lesung bald online

17.04.2020 UPDATE: 18.04.2020 06:00 Uhr 2 Minuten, 5 Sekunden
Johanna Kaptein. Foto: zg

Von Volker Oesterreich

Heidelberg. Zeitgenössische Dramatik, aktuelle Gastspiele, spannende Diskussionen und die Suche nach Preisträgerinnen und Preisträgern – das alles und noch viel mehr bestimmt jedes Jahr den Heidelberger Stückemarkt. Bloß diesmal nicht, pandemiebedingt. Sechs junge deutschsprachige Dramatikerinnen und Dramatiker waren mit ihren neuen Stücken eingeladen worden.

Zum Glück gehen sie nicht leer aus, jede und jeder von ihnen erhält gleichberechtigt ein Preisgeld in Höhe von 2000 Euro. Ermöglicht hat das der Mäzen Manfred Lautenschläger, der gemeinsam mit dem Heidelberger Theater dafür eintritt, freie Künstler während der Corona-Krise zu fördern. Außerdem werden die eingereichten Texte in szenischen Lesungen im Online-Portal www.nachtkritik.de vorgestellt. Die RNZ hat mit allen Autoren E-Mail-Interviews geführt. Ab heute werden sie nach und nach veröffentlicht. Den Anfang macht Johanna Kaptein.

Hintergrund

> Johanna Kaptein wurde 1974 in Hamburg geboren. Sie schreibt Dramatik, Hörspiele und Prosa. Auf das Studium Szenisches Schreiben an der Universität der Künste in Berlin folgten Einladungen an das Royal Court Theatre in London, das Burgtheater in Wien und das Badische

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> Johanna Kaptein wurde 1974 in Hamburg geboren. Sie schreibt Dramatik, Hörspiele und Prosa. Auf das Studium Szenisches Schreiben an der Universität der Künste in Berlin folgten Einladungen an das Royal Court Theatre in London, das Burgtheater in Wien und das Badische Staatstheater in Karlsruhe. Sie erhielt das Thomas-Bernhard-Stipendium des Landestheaters Linz und den Leonhard-Frank-Preis des Mainfranken-Theaters Würzburg und der Leonhard-Frank-Gesellschaft. Die Autorin lebt in Berlin.

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Frau Kaptein, geben Sie uns einen Einblick in Ihre Schreibwerkstatt: Wie entstehen Ihre Stücke?

Ich gehe nach dem Prinzip "Try and Error" vor. Das heißt, ich erstelle zu Beginn selten ein Konzept, sondern probiere spontan aus, welche Geschichte sich beim Schreiben entwickelt, aus welchem Bild, welcher Situation, welcher Gesprächssequenz. Prüfe dann an "Testpersonen", ob meine Idee trägt. Wenn ja, entwickle ich sie weiter, wenn nicht, landet sie in der Schublade.

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Zum Heidelberger Stückemarkt wurden Sie mit "un.orte" eingeladen. Was erzählen Ihre Figuren darin den Theaterbesuchern?

Es geht um die Angst vor dem Absturz, dem Noch-nicht-ganz-, aber vielleicht doch schon unten Angekommensein: im ersten Teil beispielsweise, der in der Psychiatrie spielt, befinden sich die Figuren auf einer offenen Station und fürchten sich davor, auf die geschlossene zu kommen. Es gibt immer noch eine tiefere Krise.

Wie gut kann man dramatisches Schreiben an Hochschulen lernen? Geht das überhaupt? Oder steht das Talent im Vordergrund?

Die Frage, ob ich schreibe, war für mich nicht an eine Hochschule gekoppelt bzw. ich hatte diese Entscheidung schon lange getroffen, bevor ich Szenisches Schreiben studiert habe. Dennoch habe ich die Zeit an der Hochschule als sehr förderlich erlebt: Ich hatte den Luxus, mich mit Menschen, die Schreiben ebenfalls zum Mittelpunkt gemacht haben, vier Jahre lang intensiv auszutauschen. Dafür bin ich immer noch sehr dankbar.

Kämen für Sie Drehbücher für TV-Produktionen, Serien oder Streaming-Angebote als Alternative zu Theaterstücken in Frage?

Ich finde es toll, dass jetzt in Zeiten der Corona-Krise so viele Theater und auch Nachtkritik streamen. Dennoch ist es kein vollständiger Ersatz für das Live-Erlebnis. Ich selbst sehe mich nicht als Drehbuch-Autorin, da ich den Produktionsprozess von Serien und Filmen als sehr anders empfinde als das Schreiben von Dramatik.

Wie werkgetreu muss eine Uraufführung sein? Oder anders gefragt: Welche Freiheiten darf, soll oder muss sich ein Regieteam nehmen, wenn ein Text erstmals auf die Bühne gebracht wird?

Schwierige Frage. Ich will da aber nicht so in den Dissens gehen. Es kommt auch in dem Fall darauf an, ob die Chemie stimmt. Die Regisseurin Alexandra Wilke hatte sich beispielsweise bei der Aufführung von "Lohnarbeit und Liebesleid" und der Uraufführung von "Die Friseuse, die Finanzkrise und andere Fälle" Freiheiten genommen – aber nach einer intensiven Durchdringung des Textes –, die ich als sehr bereichernd empfunden habe.

Info: Die Online-Lesungen der sechs ausgewählten Stücke wurden von Schauspielerinnen und Schauspielern des Heidelberger Theaters einstudiert. Auf der Website www.nachtkritik.de kann ab kommendem Wochenende auch die Lesung von "un.orte" angeklickt werden.

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