Wallis Bird bringt das unbeschreiblich Weibliche in den Karlstorbahnhof
Wallis Bird und die Band Spark interpretieren im Karlstorbahnhof Werke aus 1000 Jahren.

Von Leonie Krause
Heidelberg. Wallis Bird kniet am Bühnenrand und nimmt einen Summton nach dem anderen mit einer Loopstation auf, erschafft damit ein komplexes harmonisches Klangfeld, das den ganzen Raum einnimmt, bevor eine Blockflöte einsetzt und eine Melodie von Hildegard von Bingen in das Klangfeld hineinspielt.
Auf beeindruckende Art verschmelzen Wallis Bird und die klassische Band Spark im Karlstorbahnhof hier und auch im Rest ihres Programmes Lieder aus tausend Jahren Musikgeschichte miteinander.
In dem Projekt "Visions of Venus" kollaborieren die irische Künstlerin und die Band Spark im Rahmen des Heidelberger Liedfestivals und zeigen, dass im Gegensatz zu dem bekannten männlichen Kanon der Musikgeschichte – denken Sie darüber nach, könnten sie spontan eine weibliche Komponistin aus der Renaissance nennen? – Frauen schon immer in der Musikgeschichte existiert und visionäre Stücke komponiert haben.
Wallis Bird und die Band geben ihnen hier die gebührende Bühne, die sie verdienen. Dafür malen sie das Bild der Frau in der Musik wie ein Mosaik aus allen Aspekten ihrer Komplexität: unter anderem als Mütter, Musen, Sirenen und Kämpferinnen.
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Das Zusammenspiel von klassischen und modernen Stücken zeigt dabei, dass Frauen schon immer diese Vielschichtigkeit besessen haben, auch wenn sie in der Geschichte ignoriert wurden. Musikalisch bewegen sie sich dabei nicht nur durch die Jahrhunderte, sondern auch durch verschiedene Genres von geistlicher Musik über Jazz mit "Now or Never" von Billie Holiday bis hin zu Rock-Songs, wie "Babooshka" von Kate Bush.
Die Stücke wurden für das Instrumentalquintett aus Klavier und Streich- sowie Holzblasinstrumenten arrangiert und erhalten, besonders durch die verschiedenen Blockflöten, einen ganz eigenen Klang. Dabei schaffen es die Interpreten, sich in jedes Stück hineinzufühlen. Für das Publikum ist es, als würden tausend Jahre Musik durch Wallis Bird und Spark hindurchfließen und in ihnen lebendig werden.
Mit einer einzigartigen Energie, die sie ausstrahlen, reißen sie alle in ihren Bann, in dem sie sich auch selbst befinden. Wallis fühlt sich sehr stark in jedes einzelne Stück rein, wodurch jedes gesungene Wort voller Emotionen ist; sie schließt die Augen, umarmt sich selbst und bewegt sich in der Musik oder steht mit der Gitarre im Arm und einem breiten Grinsen auf dem Gesicht vor dem Publikum.
Manchmal fühlt sie sich so sehr hinein, dass sie vergisst, in das Mikrofon zu singen, als hätte sie vergessen, dass sie auf der Bühne steht. Auch die Musiker und Musikerinnen von Spark stecken ihr Herzblut in die Musik, für das Publikum zu sehen. Sie vertiefen sich komplett in ihre Musik, egal was es ist.
Besonders der Flötist und die Flötistin bewegen sich sehr viel zur Musik, schwingen zueinander, verfallen in ausschweifende Bewegungen, gehen auf die Zehenspitzen und halb in die Knie, animieren damit einander und sind ebenso fokussiert wie leidenschaftlich in der Musik. Jemanden, der sich so auf seine Blockflöte konzentriert, sieht man selten.
Dass alle auf der Bühne musizieren können, steht außer Frage. Das Publikum nimmt ihren mitreißenden Elan an. Auf Anregung von Wallis summt es die Harmonien mit und singt die Lieder.
Das funktioniert ohne Zögern. Das Intro von Joni Mitchells "Big Yellow Taxi" bauen sie Instrument für Instrument nacheinander auf, erzeugen dabei eine packende Spannung, die ansteigt, bevor sie sich zu Beginn der ersten Strophe löst und alle Instrumente in ihrem Zusammenspiel Elan und Spaß herüberbringen. Die Künstler beenden ihr Konzert mit Wallis eigenem Lied "Visions of Venus", einer passenden Zusammenfassung des Abends.
Durch ihre leidenschaftliche Ausarbeitung des Projektes hat es sich zu einer würdigen Anerkennung von Komponistinnen der Musikgeschichte in Form einer außergewöhnlichen musikalischen Reise entwickelt, die alle mitreißt. Es entstehen ätherische Momente wie in "Sicilienne" von Maria Theresia von Paradis. Ein wirkungsstarker Moment, den man erleben muss.