Plus Filmfestival Mannheim-Heidelberg

Berühmte französische Kamerafrau Agnès Godard geehrt

Sichtbar machen, was nicht offensichtlich ist. Sie hat im Verlauf ihrer langen Karriere sehr unterschiedliche Filme gedreht.

22.11.2023 UPDATE: 22.11.2023 06:00 Uhr 1 Minute, 55 Sekunden
Im Fokus des Films „Wild Side“ steht die Transfrau Stéphanie. Foto: IFFMH

Von Wolfgang Nierlin

Heidelberg. "Ich mag es, Körper und die Haut zu filmen. Man fühlt sich dabei, als wäre man in Kontakt mit etwas Geheimnisvollem. Wie fällt das Licht auf die Menschen, wie fällt es auf die Haut. Es ist etwas Taktiles", hat Agnès Godard einmal gesagt. Die renommierte französische Kamerafrau, 1951 in Dun-sur-Auron und damit "mitten in Frankreich" geboren, hat im Verlauf ihrer langen Karriere (die übrigens unter anderem als Assistentin von Wim Wenders begann) zwar sehr unterschiedliche Filme gedreht, doch ihrem neugierigen Blick auf die Gestalt menschlicher Körper und der dahinter stehenden "Faszination für das Geheimnis des Lebens" ist die 72-Jährige stets treu geblieben.

Besonders in den mittlerweile 16 Filmen, die sie für die Regisseurin Claire Denis gedreht hat, kommt diese intime Suche nach menschlicher Nähe und körperlichen Seinsweisen zum Ausdruck. So beobachtet sie etwa in Denis’ berühmtem Film "Beau travail", der unter Fremdenlegionären in Dschibuti am Horn von Afrika spielt, militärische Exerzitien, die einem choreografierten Ballett ähneln. Dabei evoziert der Blick auf fragmentierte Körper und athletische Bewegungsabläufe ebenso Bilder von Kraft und Stärke wie von erotischer Schönheit und männlicher Zerbrechlichkeit.

Agnès Godard. Foto: IFFMH

Beim 72. Internationalen Filmfestival Mannheim-Heidelberg, bei dem Agnès Godard mit einer Hommage geehrt wird, läuft mit Jacques Nolots autobiografischem Film "Hinterland" ("L’arrière pays"), einer besonders raren Entdeckung der Festivalmacher, ein weiteres Beispiel von Godards intimer Kunst. In diesem Familienfilm über Lebensverhältnisse in der Provinz gestaltet sie nicht nur das realistische Bild einer sterbenden Frau, deren Tod und Beerdigung, sondern sie kontrastiert diesen Abschied mit der Vitalität eines Rugbyspiels, mit der Eleganz von Stierkämpfern und dem ausgelassenen Tanzen in einer Disco. Der dokumentarische Realismus, mit dem dieser überwiegend mit Laien besetzte Film aufgenommen ist, markiert ein weiteres Stilelement von Godards Arbeit.

Im Werkstattgespräch, das im Anschluss an den Film im Mannheimer Cinema Quadrat stattfindet, betont die Bildgestalterin wiederholt ihr Streben nach größtmöglicher Einfachheit, um in dem Glauben "an das eigene Bild" eine Form künstlerischer Wahrheit zu finden. Befreit von illustrativen Zwecken schafft Godard ästhetische Bilder, die für sich selbst stehen und in ihrer prinzipiellen Unverfügbarkeit ("wir besitzen nicht alles") die Magie des Kinos ausmachen.

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Dieses Geheimnis des Filmbildes, so Agnès Godard, liege für sie auch im immer wieder neuen Versuch, etwas zu sehen, was man nicht sieht oder was nicht offensichtlich ist. Ihre visuelle Beharrungskraft, die im Übrigen, so betont sie, keine Geschlechtsunterschiede kennt, findet in der Unerschöpflichkeit ihrer Beobachtungsgegenstände schließlich zu einer Form des reinen Kinos.

Im Zentrum dieses Kunstwillens steht allerdings kein L’art pour l’art, wie man denken könnte, sondern das Interesse an der "Einzigartigkeit des Menschen", woraus Kunst ihre Schönheit beziehe. Durch ihren früh verstorbenen Vater, der selbst leidenschaftlicher Hobbyfotograf war, habe sie das früh erfahren. Als "Teil des Lebens" werden Bilder und Filme für Agnès Godard schließlich zu einem Archiv der Erinnerung und zu einem fotografischen Gedächtnis, das als Abbild des Verlorenen das Vergängliche bewahrt.

Info: Heidelberg, Luxor/Crown, "Hinterland": 23.11., 17.30 Uhr; Karlstorkino, "Wild Side": 24.11., 17.45 Uhr.

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