Zart trifft hart

Jack Hustons "Day of the Fight" eröffnet das Internationale Filmfestival

Kein Boxfilm, sondern einen Film über einen Boxer: Der britische Schauspielstar Jack Huston präsentierte am Donnerstag seine Regiepremiere in Mannheim.

17.11.2023 UPDATE: 17.11.2023 18:40 Uhr 3 Minuten
Filmemacher Jack Huston (links) und sein Kameramann Peter Simonite umrahmen Festivalchef Sascha Keilholz. Foto: A. Münch

Von Daniel Schottmüller

Mannheim. Echt jetzt, ein Boxfilm in Schwarz-Weiß? Als würden uns aktuell nicht schon genug Bilder von Gewalt und Extremismus um die Ohren geklatscht, läuten Sascha Keilholz und sein 120-köpfiges Team ausgerechnet mit dem martialisch betitelten "Day of the Fight" die 72. Runde des Internationalen Filmfestival Mannheim-Heidelberg ein. Wenn’s sein muss.

Bei dem Novemberregen, der am Donnerstag bereits Stunden vor der Eröffnungssause auf Mannheim niederprasselt, wären grummelige Gedanken dieser Art durchaus nachvollziehbar. Aber tatsächlich herrscht im Saal 10 des Cineplex ausgelassene Stimmung: Munteres Geplauder auf Deutsch und Englisch mischt sich hier mit Sektgläser-Geklonk – kribbelige Vorfreude allenthalben.

Michael Pitt spielt den Preisboxer Mikey, Ron Perlman seinen Trainer. Foto: IFFMH

Vorfreude auf zehn Tage Kino mit 72 Filmen in sechs Lichtspielhäusern; auf mehr als 230 Veranstaltungen, bei denen sich Deutschlands Cineasten mit 100 internationalen Gästen austauschen können. Aber auch Vorfreude auf diesen Abend. Denn der Mann hinter dem Eröffnungsfilm ist ein bekanntes Gesicht.

Den britischen Schauspielstar Jack Huston in Hemd und Anzug in Reihe eins sitzen zu sehen, animiert sogar den Oberbürgermeister dazu, im schönsten Begrüßungs-Englisch zu "monnemern". Einen Hauch von Hollywood bringe "Mister Huston" in die Quadratestadt, freut sich Christian Specht.

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Und das ist beinahe untertrieben. Denn der Bartträger mit dem sorgsam nach hinten gegelten Haar entstammt echtem Film-Adel. Sein Großvater ist Oscar-Gewinner und Film-Noir-Legende John Huston, der mit Ava Gardner, Richard Burton oder Humphrey Bogart Kinotriumphe feierte.

Dass der Enkel diese Fußstapfen auszufüllen versteht, hat er angedeutet – mit Serienkrachern wie "Boardwalk Empire" genauso wie mit seinen Schauspielleistungen für Ridley Scott, Martin Scorsese oder die Coen Brüder. Jetzt hat Jack Huston selbst hinter der Kamera Platz genommen. Aber bevor sein Regiedebüt auf einer der größten Cinemascope-Leinwände Europas Deutschlandpremiere feiert, gibt er noch kurz Entwarnung: Er habe keinen Boxfilm mitgebracht, sondern einen Film über einen Boxer. Ein entscheidender Unterschied, wie sich in den nächsten 108 Minuten zeigt.

Die Zuschauerreihen sind bei dieser Deutschlandpremiere im Mannheimer Cineplex bestens gefüllt. Foto: Alexander Münch

Klar, "Day of the Fight" nimmt seinen Anfang mit Liegestützen, Eigelb-Gesüffel und Trainerflüchen, wie man das aus "Rocky" oder "Wie ein wilder Stier" kennt. Doch diese Klischeebilder löst Huston überraschend sanft auf. Vor der düsteren Kulisse Brooklyns offenbart sich sein Protagonist als ein von Reue geplagter Mensch, eine Seele im Fegefeuer.

Michael Pitt benötigt dafür nicht viele Worte. Wie er seine Katze im Arm hält, die Kellnerin im Diner anschaut oder dem Saxofonisten in der U-Bahn lauscht, macht spürbar: Für diesen Mikey zählt jede Sekunde. Nicht nur, weil ihm nach Jahren im Knast endlich das Comeback im Madison Square Garden bevorsteht.

Nein, der gealterte Preisboxer weiß, dass er das Ende dieses Kampftags vermutlich nicht mehr miterleben wird. Pianotupfer, dezente Streicherklänge und Folksongs begleiten einen Mann, der mit seiner Vergangenheit ins Reine kommen muss, weil die Hoffnung auf Zukunft extrem fragil ist. Und so macht sich Mikey auf zu den Menschen, die ihm etwas bedeutet haben, und führt Gespräche, vor denen er sich jahrelang gefürchtet hat.

Wie Joe Pesci – genial, die Idee den Dampfplauderer schweigend zu zeigen –, Steve Buscemi oder Ron Perlman den Typus Raue-Schale-weicher-Kern in diesen Begegnungen mit Leben füllen, ist packendes Dialogkino. Die entscheidende Rolle des Dramas nimmt aber Mikeys Ex-Frau (mitreißend: Nicolette Robinson) ein. Frei von Kitsch ermöglicht Huston es den beiden, sich sachte neu anzunähern. Wie der große Kampf schlussendlich ausgeht, sei an dieser Stelle nicht verraten. Die Reaktionen dafür gerne: lange anhaltender Applaus im Saal 10.

Ja, Festivalleiter Keilholz hat "Day of the Fight" zurecht als "zutiefst humanistischen Film" gepriesen. Und passenderweise nimmt sich auch der Regisseur anschließend viel Zeit. Im Gespräch mit der RNZ zeigt sich Huston gerührt von den Reaktionen. Er, der schon als Kind die Geschichten von D. H. Lawrence und Oscar Wilde liebte, schreibt für sein Leben gern. Für den ersten eigenen Film musste der Moment aber perfekt sein, schildert der 40-Jährige. Inspiriert von einer Kurzdoku Stanley Kubricks sei ihm schließlich die Idee gekommen, einen Tag im Leben eines Preisboxers zu begleiten.

Doch Huston wollte den Einsatz steigern: "Was würden wir tun, wenn wir wüssten, dass uns keine Zeit mehr bleibt?" Die Frage fasziniere ihn, sagt er – und ergänzt in Anspielung auf Alfred Hitchcock: "Wir können uns hier gemütlich unterhalten. Dieses Gespräch sähe aber ganz anders aus, wenn wir wüssten, dass neben uns eine Zeitbombe tickt!" Inspiriert habe ihn auch "Boardwalk Empire"-Costar Michael Pitt. "Als ich ihm das Script schickte, sagte er: ,Ich breche mir beide Hände für dich, wenn du diesen Film wirklich drehst!‘", lacht Huston. Seinem Freund ein Comeback wie Mikey zu ermöglichen: ein Geschenk.

Derweil hat sich der Kinosaal geleert. Für die einen geht es weiter zur Afterparty ins Stadthaus, für die anderen ins Bett. Ein Gefühl scheint sie aber alle zu einen: Dieser einfühlsame Film war an diesem Winterabend genau das Richtige.

Info: www.iffmh.de

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