Anke Engelke

"Wir sind beide gerne sentimental"

Im Gespräch mit André Wesche erzählt Anke Engelke von ihrem ersten Treffen mit Ulrich Tukur. 

06.11.2025 UPDATE: 06.11.2025 04:00 Uhr 3 Minuten, 46 Sekunden
Foto: Majestic/Daniel Gottschalk

In Neele Leana Vollmars Drama "Dann passiert das Leben" spielen Anke Engelke und Ulrich Tukur ein Ehepaar gegen Ende des Berufslebens. Die Partnerschaft ist von langjähriger Routine geprägt. Dann führt ein tragisches Ereignis dazu, dass beide die gemeinsame Zukunft hinterfragen müssen. Wir sprachen mit Anke Engelke (59) über Beziehungen, Lebensplanung und ihr Praktikum bei der Deutschen Bahn.

Frau Engelke, hätten Sie eine Rolle wie diese schon vor 15 Jahren spielen können?

Rita ist Ü60. Hätte ich eine Rolle mit dieser Tiefe schon mit 40 spielen können? Aber liegt nicht allen Rollen eine Tiefe zugrunde? Als ich anfing, vor der Kamera zu stehen, war ich schon 30, das war bei der "Wochenshow". Und die erste Kinorolle gab mir Detlev Buck 1999 in "LiebesLuder", da war ich Mitte 30. Bei der "Wochenshow" habe ich die kleinen Sketchrollen bereits genauso ernst genommen, wie eine Rolle, die wir über 90 Minuten erleben. Vielleicht bin ich da sehr streng, aber ich nehme eine Figur und ihre Biografie immer ernst, auch wenn nur eine Minute und zehn Sekunden übrig bleiben. Ohne ein Fundament aus Biografie, Recherche und Beobachtungen könnte ich wohl gar keine Rolle spielen. Vielleicht kann ich die Frage, ob ich mir das vor 15 Jahren schon zugetraut hätte, mit "Ja" beantworten. Das klingt unangenehm überheblich, aber ich glaube schon. Mich hat ja schon immer sehr interessiert, was einen Menschen ausmacht. Da ist mir beim Spielen das Genre fast egal.

Man weiß zu Beginn nicht, in welche Richtung sich die Handlung entwickeln wird. Kannten Sie die Eckpfeiler der Geschichte im Vorfeld oder haben Sie sich beim Lesen des Drehbuchs überraschen lassen?

Ich habe das Drehbuch in einem Rutsch durchgelesen. Das hat solch eine große Sogkraft gehabt, ich konnte es nicht weglegen. Insofern wusste ich, was auf mich zukommt. Aber das war nur der Anfang des Prozesses. Ich hatte keine Ahnung, ob ich dem gerecht werden, so etwas spielen oder als Paar mit Ulrich Tukur die notwendige Chemie entwickeln könnte. Viele Unbekannte in dieser Rechnung also, aber dieses Drehbuch ist das perfekte Fundament.

Kannten Sie Herrn Tukur bereits und wie haben Sie sich gemeinsam auf Ihre Ehe vorbereitet?

Auf unsere Ehe! (lacht) Ulrich und ich sind uns bei einer Berlinale begegnet. Ich denke mal, dass das zehn, vielleicht zwölf Jahre her ist. Er trat mit seiner Band "Die Rhythmus Boys" auf. Da haben wir uns bei den Proben kurz unterhalten und uns später bei der Eröffnungsveranstaltung gesehen. Das hat schon gut zwischen uns geklappt. Wir standen einander nicht schweigend mit Fragezeichen auf der Stirn gegenüber. Wir haben festgestellt, dass wir beide Literatur- und Sprachwissenschaften studiert, aber unser Studium nicht abgeschlossen haben. Wir sind beide wahnsinnig Musik-begeistert. Wir lieben Literatur. Wir sind beide Technologie-aufgeschlossen, haben aber dennoch beide kein Smartphone. Wir neigen zu Sentimentalität und sind manchmal nostalgisch. Er noch mehr als ich, aber er ist auch ein bisschen älter. Wir lieben Italien – er lebt dort. Wir haben auch beide eine Affinität zu Kanada, wo ich wiederum gelebt habe. Ich bin dort geboren. All das wussten wir nicht voneinander.

Hat Sie Neele Leana Vollmars Besetzungsidee trotzdem überrascht?

Ja, uns beide. Wie konnten wir ein Ehepaar werden? Auch da kommen wir wieder zum Drehbuch als Fundament und Basis zurück. Wenn ich die Ehe dort auf dem Papier glaube, kann ich sie mir auch bei lebenden Menschen vorstellen. Und dann ist es unsere Aufgabe, die Rollen ernst zu nehmen und bei den Proben die Feinheiten herauszuarbeiten. Wir mussten schauen, wie ihr Alltag aussieht, wie sie miteinander umgehen und reden. Wie finden Berührungen statt, wenn sie stattfinden? Und wenn nicht, warum nicht? Das ist eine unglaublich schöne Phase in unserer Arbeit. Und das geht nicht nur Schauspielenden so. Sie werden es auch aus Schulzeiten kennen. Ob in der Theater AG, bei irgendeinem Quatsch oder zu Karneval oder Fasching: Jede und jeder verkleidet sich mal, um jemand anderes zu sein. Das macht Spaß.

Bevorzugen Sie Filmemacher, die Ihnen strenge Vorgaben geben oder brauchen Sie Ihren Freiraum?

Darf ich ein bisschen ausweichend antworten? Dann nehme ich Antwort C: Projektabhängig. Ich mag es, wenn die Regie weiß, wo es langgeht und ich jederzeit mit jeder noch so scheinbar dümmlichen Frage antanzen und fragen darf: An welchem der beiden Waschbecken im Badezimmer würde eigentlich Rita stehen und wo Hans? Es gibt bestimmt Regisseuren, die sagen, es sei egal. Aber mir hilft es sehr, wenn von Regieseite Hilfe kommt und da schon eine klare Vorstellung besteht. Dann kann ich mich im wahrsten Sinne des Wortes hineinleben in Rolle, Situation und Emotion. Auf der anderen Seite gibt es auch Formate und Rollen, bei denen ich es mag, wenn man mir viele Freiheiten lässt. Ein doch mehr komödiantisches Beispiel: Zuletzt haben Bastian Pastewka und ich bei "LOL" immer wieder Paare gespielt. Das haben wir in Eigenregie gemacht. Offensichtlich finde ich es also gar nicht so schlimm, alleine bestimmen zu dürfen, wie eine Figur ist, wie sie sich bewegt, wie sie spricht oder singt.

Denken Sie als Mama – so wie Hans und Rita im Film – gelegentlich darüber nach, was Sie hätten anders machen können?

Ich erkläre das immer mit meiner Persönlichkeit. Es ist in meinem Persönlichkeitsprofil gar nicht angelegt, dass ich bereue. Ich habe mir ganz früh schon vorgenommen zu antizipieren. Der Blick nach vorne gefällt mir viel besser als der Blick nach hinten. Nach hinten zu schauen bedeutet oft, etwas zu bereuen oder sich zu ärgern. Das passt nicht zu mir.

Auf Wikipedia steht, Sie hätten vergangenes Jahr ein Praktikum bei der Bahn gemacht. Was hat es damit auf sich?

Das Praktikum habe ich im Zeitraum eines halben Jahres gemacht und immer, wenn meine Agentin ein, zwei freie Tage in meinem Kalender gefunden hat, habe ich meine UBK angezogen, meine Unternehmensbekleidung, und habe auf dem Zug gearbeitet. Mal habe ich Fahrkarten kontrolliert, mal Kaffee serviert - ich durfte überall mal reinschnuppern, auch bei der Logistik oder der Verkehrsleitzentrale, weil mich das Unternehmen interessiert. Ich fahre in Europa ausschließlich Bahn. Ich wollte wissen, wie die Menschen, die täglich wegen der Verspätungen und der Zugausfälle beschimpft werden, es schaffen, morgens wieder zur Arbeit zu kommen.

FSK 6