Gisbert Freiherr zu Putlitz (links) beim 600-Jahr-Jubiläum der Universität Heidelberg 1986 mit Königin Silvia von Schweden in der spektakulären Ausstellung zur Bibliotheca Palatina. Flankiert wird die Königin von Elmar Mittler (Direktor der Universitätsbibliothek, der Zweite von links) und Oberbürgermeister Reinhold Zundel (rechts). Repro: Heribert Vogt
Von Heribert Vogt
Den nüchternen Blick des Naturwissenschaftlers auf die Welt bewahrte sich der Heidelberger Altrektor und Physiker Gisbert Freiherr zu Putlitz trotz seiner Herkunft aus einer traditionsreichen adeligen Familie. Zu seinem 90. Geburtstag am 14. Februar kann er auf ein bewegtes Leben zurückblicken, das noch in der Weimarer Republik begann. Bei Ausbruch des Zweiten Weltkriegs war er acht Jahre alt. Über viele Jahrzehnte blieb der handfeste und renommierte Physiker mit Heidelberg verbunden, aber den Ruf eines innovativen "Machers" erwarb er sich dann vollends als Rektor der Universität während ihres 600-Jahr-Jubiläums 1986.
Denn zu Putlitz stellte sich nicht nur den fundamentalen Herausforderungen der Physik, sondern auch dem geistigen Kosmos der ältesten Universität Deutschlands. Das äußerst reichhaltige Jubiläumsjahr stand unter dem Motto "Aus Tradition in die Zukunft", und zu Putlitz war der Mann, der den Weg der Ruperto Carola frei machte für einen neuen Aufbruch. Erstmalig nach dem Zweiten Weltkrieg gelang es, die Kräfte der Universität in so großem Rahmen zu bündeln und in einer gelungenen Außendarstellung zusammenzuführen. So kam es vor nunmehr 35 Jahren zu einem Qualitätssprung, der die Basis bildete für die erfolgreiche Entwicklung der Ruperto Carola auf nationaler wie internationaler Ebene. Bis heute ist dieses richtungweisende Jubiläum im Heidelberger Bewusstsein verankert.
Zur Standortbestimmung und Neuorientierung der altehrwürdigen Hochschule wurden Starwissenschaftler wie Ralf Dahrendorf oder Hans-Georg Gadamer aufgeboten. Letzterer sprach zu Beginn des Jubiläumsjahres im voll besetzten Theater der Stadt über die "Idee der Universität". Und der Historiker Eike Wolgast blickte auf das finsterste Kapitel im Dritten Reich zurück. Auch die Westdeutsche Rektorenkonferenz tagte in Heidelberg. Und zum Finale fand am 18. Oktober 1986, einem Samstag exakt 600 Jahre nach der Universitätsgründung, der große Festakt in der Heiliggeistkirche statt – mit Bundespräsident Richard von Weizsäcker, Bundeskanzler Helmut Kohl, Königin Silvia von Schweden sowie vielen weiteren prominenten Gästen.
Das alles ging so spektakulär wie glanzvoll während des Rektorats von zu Putlitz (1983-1987) über die Universitätsbühne. Aber hinzu kamen weitere "Jobs" des umtriebigen Wissenschaftsmanagers. So fungierte er in Heidelberg zusätzlich von 1986 bis 1988 als Rektor der Hochschule für Jüdische Studien und von 2000 bis 2003 als Präsident der Akademie der Wissenschaften, also der Landesakademie Baden-Württembergs. Außerdem war er von 1986, als das 100-Jahr-Jubiläum des Automobils gefeiert wurde, bis 2008 Vorsitzender des Vorstands der Gottlieb Daimler- und Karl Benz-Stiftung in Ladenburg.
Hinzu kommt die Karriere als Physiker. Als solcher leitete zu Putlitz von 1978 bis 1983 die Gesellschaft für Schwerionenforschung in Darmstadt. Gleichzeitig war er von 1981 bis 1983 Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft der Großforschungseinrichtungen, der heutigen Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren.
Nach dem Physikstudium in Heidelberg ab 1953 wurde er hier 1973 Professor. Und nachdem er bereits 1967/68 Gastwissenschaftler an der amerikanischen Yale University gewesen war, forschte er als Stipendiat der Volkswagenstiftung von 1969 bis 1972 an mehreren Beschleunigeranlagen: am Los Alamos National Laboratory und an der Columbia University (beide USA), am Schweizer Institut für Nuklearphysik sowie am britischen Rutherford Appleton Laboratory. Der vielfach geehrte Forscher ist Mitglied mehrerer Wissenschaftsakademien, darunter auch der Nationalakademie Leopoldina.
Im Jahr 2000 war zu Putlitz Teilnehmer der RNZ-Serie "Wissenschaft 2000. Ein Blick in die Zukunft", die auch als Buch erschien. In seinem Beitrag "Forschung zur Vereinigung der fundamentalen Naturkräfte" sagte er etwa entscheidende Fortschritte in Bezug auf das Higgs-Boson oder auf Gravitationswellen voraus. Und tatsächlich gibt es seither auf diesen Gebieten große Erfolge. Im Jahr 2001 berichtete er in der RNZ über Forschungsfortschritte am Brookhaven National Laboratory in New York auf dem Gebiet der Teilchenphysik.
Der Jubilar, dem man noch 2018 bei der Jahresfeier der Heidelberger Akademie der Wissenschaften in der Alten Aula begegnen konnte, heißt eigentlich Gisbert Gans Edler Herr zu Putlitz: Er gehört dem märkischen Uradelsgeschlecht Gans zu Putlitz an, das über 800 Jahre zurückreicht – und somit älter ist als die Universität Heidelberg. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das elterliche Gut in der Mark Brandenburg entschädigungslos enteignet, der Vater kam beim Einmarsch der Roten Armee 1945 ums Leben. Inzwischen konnte zu Putlitz das heimatliche Gut zurückerwerben.
Nach dem Kriegsende 1945 war er neben der Schule zunächst als Landarbeiter und Holzfäller tätig, um Mutter und Geschwister zu ernähren. Dann folgte die Flucht in den Westen, wo Gisbert zu Putlitz in Erlangen das Abitur ablegte. Von 1951 bis 1953 absolvierte er eine Mechanikerlehre bei den Zündapp-Werken in Nürnberg und erhielt damals den Bayerischen Staatspreis für Mechaniker – bevor er nach Heidelberg wechselte, wo er Universitätsgeschichte schrieb.