Die Welt als krankes Haus - Peter Weibels Kunst in Karlsruhe
ZKM-Chef Peter Weibel präsentiert sich zu seinem 75. Geburtstag und zum Jubiläum des Medienkunstzentrums als Künstler. Doch er hätte nichts dagegen, weiter an der Spitze des ZKM zu stehen.
Von Susanne Kupke
Karlsruhe. Neonlicht, weiße Vorhänge aus der Notaufnahme und dahinter Studien über den Zustand der Welt - Peter Weibel, Medienkünstler und Chef des Zentrums für Kunst und Medien (ZKM) gibt in Karlsruhe den bislang umfassendsten Einblick in sein Schaffen. Und er legt den Finger in die Wunden einer Welt, die sich in seiner "Station W" als krankes Haus widerspiegelt. Ob Klimawandel, Vertreibung oder Flugzeug im Haus - als Künstler hat Weibel schon einiges vorweggenommen, das erst viel später aktuell wurde.
Die Ausstellung "respektive Peter Weibel" (28. September 2019 bis 8. März 2020) stellt den langjährigen ZKM-Chef als Aktions-, Video-, Sound- und Fotokünstler vor; aber auch als Theoretiker und Wissenschaftler, der mit Sprache, Bildern und den Medien experimentiert. Von Anfang an wird der Besucher auch zum Täter: So kann er schon fast gar nicht anders, als das Recht in dem gleichnamigen Werk auf dem Boden mit den Füßen zu treten. Und er steht unter Beobachtung: Der Künstler verfolgt ihn mit einem Riesen-Auge oder verwirrt ihn mit Monitor-Aufnahmen von hinten.
Buchstaben führen ein Eigenleben, Worte sowieso, und eine Pyramide ist an sich nur eine relativ ungeordnete Ansammlung von Geraden. Nichts ist, wie es scheint. Die Realität der Medien muss nicht die Wirklichkeit sein, so eine der Hauptbotschaften der rund 400 Werke umfassenden Schau.
Was Weibels Werk vor allem ausmacht, ist die Heterogenität, sagt Judith Bihr, eine der drei Kuratoren. Der Besucher lernt zunächst den Performance-Künstler kennen, der in den 1960er Jahren mit spektakulären Aktionen auf sich aufmerksam machte: So führte ihn die Künstlerin Valie Export 1968 auf allen Vieren an der Hundeleine über Wiens Straßen. Aus Protest gegen einen Richterspruch wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses ließ er sich sogar seine Zunge einmeißeln. Beim Herausmeißeln blieb etwas hängen. Seitdem fehlt ein Stückchen Zunge.
Der Österreicher war schon immer ein Provokateur. Als Künstler gehörte er in den 60er-Jahren zu den "Wiener Aktionisten". Doch er ist zugleich auch Mahner, wie in den 1990er Jahren Werke wie "Die Vertreibung der Vernunft" zeigen oder 2014 die "Musikausstellung", die an die Instrumentalisierung der Kunst durch die Nazis erinnert.
Weibel ist am 5. März 1944 in Odessa in der damaligen Sowjetunion geboren. Er wuchs in Heimen und Internaten auf, studierte in Paris und Wien Medizin, Mathematik, Philosophie, Literatur und Film. Seine frühe Auseinandersetzung mit der Medienkunst verschaffte ihm Lehraufträge in Wien, Kanada, Kassel und New York. Mit seinem Namen untrennbar verbunden ist die "Ars Electronica" in Linz, die in den 1980er Jahren das wichtigste frühe Forum für Medienkunst wurde.
Seit 20 Jahren leitet er das ZKM. Das und das 30-jährige Bestehen des Medienkunstzentrums sowie seinen 75. Geburtstag nimmt er nun zum Anlass, sich eine Schau zu schenken: "Das ist eine gute Gelegenheit, zu zeigen, wer ich eigentlich bin." Neben dem umtriebigen Nomaden zwischen Wissenschaft und Kunst ist Weibel offenbar auch gerne ZKM-Chef. Bis Ende 2020 läuft sein schon verlängerter Vertrag. Was danach passiert, ist offen. Weibel selbst sagt: "Ich würde gerne weitermachen."