Heidelberger Theater

Ein einziger Egotrip bis zum letzten Atemzug

Großer Stoff auf kleiner Bühne: "Peer Gynt ist ein Anderer" frei nach Henryk Ibsen im Zwinger 1

07.12.2018 UPDATE: 08.12.2018 06:00 Uhr 2 Minuten, 16 Sekunden

Erschrocken vor dem eigenen Albtraum: Marco Albrecht als Peer Gynt mit Sheila Eckhardt, die im Norweger-Pullover eine weitere Facette der multiplen Ibsen-Figur im Zwinger 1 des Heidelberger Theaters spielt. Foto: Sebastian Bühler

Von Volker Oesterreich

Heidelberg. Eigentlich verlangt Henryk Ibsens "Peer Gynt" mit seinen vielen Rollen, mit Hexen und Trollen, Verrückten und Ollen, Bösen und Tollen nach dem ganz großen Breitwandformat. Aber das Heidelberger Theater zeigt diesen gewaltigen Egotrip, der gern als nordischer "Faust" bezeichnet wird, auf der kleinen Studio-Bühne des Zwinger 1. Kann das klappen? Ja, es kann, wenn so wie hier mit einfachsten inszenatorischen Mitteln und darstellerischer Kraft gearbeitet wird.

Alexander Charim, der Regisseur des gut zwei pausenlosen Stunden langen Abends, und sein siebenköpfiges Ensemble laden ein zum Kopfkino, das beides zugleich ist: ein irres, wirres, erkenntnishungriges Stationendrama rund um die Welt und eine Reise ins innerste Ich voller Symbolismen.

Gespielt wird nicht das komplette dramatische Gedicht aus dem Jahr 1867, sondern nur die Episoden des alten Gynt aus dem vierten und fünften Akt, die aber Erinnerungsmomente aus den ersten drei Akten enthalten. Deshalb nennen Charim und seine Dramaturgin Maria Schneider ihre frei nach Ibsen gestaltete Produktion auch "Peer Gynt ist ein Anderer". Als Vorlage dient die salopp-heutige, aber dennoch poetische Übersetzung des Regie-Altmeisters Peter Stein und des Dramatikers Botho Strauß, die wiederum auf einer Übertragung von Christian Morgenstern und Georg Schute-Frohlinde basiert.

Peer Gynt ist ein Getriebener, der erkennen will, was die Welt im innersten Ich zusammenhält. Dabei schreckt er auch nicht vor Mord, Lug und Trug zurück, angetrieben dabei von Lebens-, Liebes- und Wissbegier. Seine Mutter Aase (Katharina Quast) und seine Geliebte Solveig (Sheila Eckardt) könnten seinen inneren Kompass justieren, aber der Protagonist hetzt immer nur weiter und weiter, bis er im Angesicht des Knopfgießers (Fabian Oehl) Rechenschaft ablegen muss vor sich selbst, denn der Knopfgießer ist kein anderer als der Tod. Marco Albrecht spielt seinen Peer Gynt voller innerer Anspannung, voller Konzentration. Und es ist sicher kein Zufall, dass er dabei an seine andere große faustische Rolle als Harry Haller in Hermann Hesses "Steppenwolf" in der vergangenen Saison erinnert. Zwiebelschicht für Zwiebelschicht pellt sich Peer bis zum letzten Nichts voran, um das Gyntsche in sich zu erkennen. Zugleich ist er eine multiple Persönlichkeit, was in der Heidelberger Inszenierung dadurch verdeutlicht wird, dass auch alle anderen im folkloristischen Norweger-Pullover immer wieder in die Rolle des Titelhelden schlüpfen, teilweise sogar als deklamierender Chor.

Der Ausstatter und Kostümbildner Ivan Bazak hat sich dieses so lustige wie entlarvende Outfit mit dem Elch-Muster ausgedacht. Außerdem hat er mit den großen, an der rechten Seite stehenden Podesten und den schmalen Latten, die auch mal als abstrakter Wald im Bühnenboden fixiert werden, eine Szenerie geschaffen, die alles zugleich sein kann: Afrika, Asien, der hohe Norden oder das Reich der Trolle, in dem Peer Gynt seine so bizarre wie geile Walpurgisnacht erlebt.

Als Schiffsbrüchiger kämpft er gegen den Bühnennebel und die stürmisch flatternden Plastikfolien ums nackte Überleben. Um in den Wogen nicht selbst zu ertrinken, ertränkt der Egomane einen anderen Passagier im Wassereimer. An dessen Körper geklammert, erreicht er doch noch das rettende Ufer. Wenn er aber am Ende seiner Lebensreise den Fängen des Knopfgießers entwischen möchte, wirkt Peer wie Hugo von Hofmannsthals Jedermann, der seinerseits sein bisheriges Leben bilanziert. Was bei Hofmannsthal holzschnittartig und moralinsauer wirkt, entwickelt sich hier zu einer analytischen Studie, die keine Scheu kennt vor Trash und Klamauk. Gut so, denn das lockert den schwergewichtigen Stoff auf. Kleiner Gag am Rande: Links steht eine alte Jukebox, aus ihr erklingt aber nicht Edvard Griegs atmosphärische Peer-Suite-Suite, sondern Country- und Tango-Schnulzen sorgen für den Sound.

Leicht und gefällig ist dieser "Peer Gynt" trotzdem nicht. Er erfordert die Mitarbeit der Zuschauer. Wer dazu bereit ist, erlebt einen intensiven Ibsen-Abend. Das Premierenpublikum lässt sich darauf ein, es klatscht kräftig.

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