Der Künstler Joseph Beuys. Foto: Dürrwald
Von Harald Berlinghof
Heidelberg. Vor einem halben Jahrhundert, im April 1970, installierte der berühmte deutsche Künstler Joseph Beuys (1921–1986) seinen "Block Beuys" im Hessischen Landesmuseum Darmstadt. Seit Freitag feiert das Museum das 50-Jahr-Jubiläum dieses weltweit größten, erhaltenen Werkkomplexes. Er besteht heute aus 290 Objekten aus den Jahren 1949 bis 1972. Zudem wird mit Filmen, Fotos und Partituren gezeigt, wie Beuys Objekte aus seinem "Block" in Aktionen einsetzte. Und vor gut 40 Jahren war der Künstler auch in Heidelberg präsent.
"Das ist doch aber überall im Programm angedeutet. Wir sind ja noch klein, ein Embryo. Wir müssen noch wachsen". Es war im Sommer des Jahres 1979, als der damals bereits weltbekannte Künstler Josef Beuys dem damaligen Heidelberger Alternativblatt "Heidelberger Rundschau" ein Interview gab und er auf fehlende Klarheit angesprochen wurde. Im Zieglerbräu in der Bergheimer Straße sprach er im Rahmen einer Wahlkampfveranstaltung der damaligen "Sonstigen politischen Bewegung Die Grünen", die ins Europaparlament einziehen wollte, zum Thema "Politik, Wirtschaft und Ökologie". Das war einige Monate, bevor die Grünen eine Partei wurden. Eine Partei waren sie noch nicht, aber die Zeit dafür war reif: "Nichts ist so mächtig, wie eine Idee, deren Zeit gekommen ist". Der Satz von Victor Hugo sollte sich als richtig erweisen.
In der rauchgeschwängerten Luft – das war damals noch ganz üblich und Beuys selbst qualmte munter mit – saß ein blutjunges Publikum: Studenten und Intellektuelle, die an seinen Lippen hingen. Und die nicht die Hälfte von dem verstanden, was er sagte, weil seine Sprache, seine Terminologie und seine Inhalte zu sprunghaft und zu unkonkret rüberkamen. "Beuys war kein Tagespolitiker. Seine Sprache klang abgehoben, fern jeder Alltagswirklichkeit", wird Grünen-Urgestein Lukas Beckmann von Beuys-Experte Heiner Stachelhaus zitiert.
So ganz grün waren die Ökos damals dem Künstler allerdings nicht. Er brachte zwar Prominenz in die Bewegung, überredete auch Rudi Dutschke zum Mitmachen. Und er soll dabei mit der Farbenlehre von Goethe argumentiert haben. Aber sein Europaplakat wollten sie 1979 bei den Grünen nicht. "Bei dieser Wahl: Die Grünen" stand darauf zu lesen. Seine Skulptur "Der Unbesiegbare", ein kleiner Plastikhase, der sich einem Spielzeugsoldaten mutig entgegenstellt, war den Grünen zu unpolitisch, zu abgehoben, zu sehr Kunst und eher wählerabschreckend.
Dabei waren die Gründungsmitglieder ein bunt gemischter Haufen "aus Pfarrern, Grafen, Bauern, mittelständischen Unternehmern, Feministinnen und Anti-Atom-Aktivisten", erinnert sich Pfarrerstochter Eva Quistorf. Spontis und K-Gruppen-Mitglieder waren noch Fehlanzeige. Leute wie Joschka Fischer, Jürgen Trittin und Thomas Ebermann stießen erst später dazu. Andere moserten später herum, es habe viele Egozentriker, Spinner und Blödmänner gegeben. Unter die Kategorie Spinner fiel bei so manchem Realo auch der Künstler Joseph Beuys.
Der tschechische Dissident und spätere Frankfurter Sponti Milan Horacek bezeichnete Petra Kelly und Joseph Beuys gar als "mentale Exhibitionisten". Für die Wahl zum Europaparlament stand Beuys auf Listenplatz 5 der Bewegung. Sieben Prozent hätte es gebraucht, damit er ins Parlament einziehen hätte können, 3,2 Prozent wurden erreicht. Weniger als ein Jahr später, also vor 40 Jahren, entstand schließlich aus jener grünen Alternativbewegung die heutige Partei der Grünen.
1967 hatte Beuys die Deutsche Studentenpartei gegründet, später die Organisation für direkte Demokratie durch Volksabstimmung. Die Politik ist zu jener Zeit aus seinem Werk und seinen Aktionen nicht wegzudenken. Mit seiner Organisation der "Freien Internationalen Universität" (FIU) gründet er die Partei mit. Petra Kelly ist dabei, Lukas Beckmann, auch Herbert Gruhl.
Als Beuys im Bundestagswahlkampf 1980 bei der entscheidenden Abstimmung seinen aussichtsreichen Listenplatz verliert, zieht er sich enttäuscht aus der Partei zurück. Wie sollte man dem Wähler vermitteln, dass einer die Partei, die Politik und die Gesellschaft als "Skulptur" versteht?, fragte man sich bei den Grünen. Wäre er damals mit einem vorderen Listenplatz 1980 in den Bundestag eingezogen, hätte die Chance bestanden, dass er als Alterspräsident die erste Sitzung des Parlaments hätte leiten und die Legislaturperiode mit einer Rede eröffnen dürfen. Welch eine Sternstunde des Parlamentsgeschehens hätte das werden können!