Das Festspielhaus auf dem derzeit verschneiten Grünen Hügel: Auch der Heidelberger Richard-Wagner-Verband schickt jedes Jahr junge Stipendiaten nach Bayreuth zu den sommerlichen Festspielen. Foto: dpa
Von Jesper Klein
Heidelberg. 1921 gründete sich der Richard-Wagner-Verband Heidelberg. Aus Anlass des Jubiläums sprachen wir mit der Vorsitzenden Gabriele Priester.
Frau Priester, der Richard-Wagner-Verband Heidelberg wurde vor 100 Jahren gegründet. Was ist seine Aufgabe?
Unsere Aufgabe ist es, junge Menschen mit den Werken Richard Wagners vertraut zu machen. Wagner hat das damals selbst initiiert, damit auch junge Leute in den Genuss seiner Kunst kommen. Es haben sich Strukturen gebildet, zunächst in Mannheim, aus denen später die Richard-Wagner-Verbände entstanden sind.
Unser Verband schaut, welche jungen Leute Interesse an Richard Wagner haben. Sie sollten nicht älter als 35 Jahre sein. Wir schicken sie zu den Festspielen nach Bayreuth, wo sie drei Aufführungen besuchen und Kontakt zu 250 Stipendiaten aus aller Welt erhalten. Sie haben Gelegenheit, mit Katharina Wagner, den Sängern und Dirigenten zu sprechen und dürfen auch einen Abend selbst gestalten.
Der ganze Kosmos Bayreuth ist ja sehr aufgeladen und ein Bereich des Musiktheaters, den man als junger Mensch womöglich nicht als Erstes erkundet ...
Das ist das Problem. Wir haben zwar auch junge Leute, aber die meisten Neumitglieder sind älter als 40 Jahre. Zur Musik Wagners kommt man eben erst in einem bestimmten Alter. Mit Wagner muss man sich beschäftigen. Nur Wagners Musik anhören, das geht nicht.
Wie beschäftigen Sie sich denn im Verband mit Wagner?
Wir organisieren Vorträge über verschiedenste Themen. Zudem gibt es jedes Jahr einen Richard-Wagner-Kongress; wir waren schon in Venedig, Kopenhagen, Paris, Tallinn. Und wir versuchen alle, einmal nach Bayreuth zu kommen. Es macht wirklich einen Unterschied, ob sie den "Lohengrin" in Mannheim sehen oder in Bayreuth. Es ist ein anderes Flair, ein anderes Gefühl.
Wie oft waren Sie schon in Bayreuth, und wie sind Sie überhaupt zu Wagner gekommen?
Mein Schwiegervater war Kammermusiker in Mannheim, und mein Mann ist Wagner-Fan. Seit 25 Jahren gehe ich jedes Jahr nach Bayreuth, im Vorstand bin ich seit 30 Jahren. Man macht’s halt mit Herz.
Was macht für Sie den Reiz von Wagners Musikdramen aus?
Bei Wagner ist die Sache: Entweder man mag ihn, oder man mag ihn nicht. Dazwischen gibt es nichts. Wagners Opern sind keine normalen Opern, sondern Musikdramen. Es geht nicht um Ohrwürmer, sondern um die Konzeption. Man taucht ein und lebt sie mit. Wagner muss man erleben! Viele können das. Aber man muss die Freude haben, sich auf den Stoff und die Musik einzulassen, die nicht einfach ist. Nach einer Wagner-Oper bin ich immer geschafft.
In den 1870er-Jahren war Wagner in Heidelberg. Was weiß man darüber?
Er hat damals im Schlosshotel gewohnt, mit Cosima, Fidi (Sohn Siegfried) und den anderen Kindern. Fast jeden Tag ist er zum Wolfsbrunnen gefahren. Auch im Stift Neuburg war die Familie oft.
In unterschiedlichen Ländern blickt man verschieden auf Wagner. Wagners Antisemitismus ist natürlich auch ein Thema. Wie verhalten Sie sich dazu?
Wagner war das, was der Zeitgeist hergab. Natürlich sind das unsägliche Dinge. Die meisten Sänger waren Juden, es gab ja auch jüdische Dirigenten. Ich zähle nicht zu den Menschen, die etwa die Figur des Mimen aus dem "Ring" als Verkörperung des Juden verstehen. Natürlich ist dieser Teil an Wagner nicht in Ordnung. Wobei mir der Mensch Wagner auch nicht besonders gelegen hätte. Trotzdem wurde und wird Wagner bewundert. Seine Musik ist unglaublich, sie gibt mir und allen Mitgliedern im Verein sehr viel.
Wie werden Sie das Jubiläum in Zeiten der Pandemie feiern?
Wir wollen im Herbst einen kleinen Festakt mit einem Vortrag organisieren, bei dem unsere Stipendiaten auftreten. Das muss dann auch nicht Wagner sein: Wir bekommen gerade ja auch kein großes Orchester zusammen. Und Wagner mit 20 Musikern, das kann man vergessen!