„My Mexican Bretzel“ gewinnt nicht nur den Hauptpreis des diesjährigen Filmfestival Mannheim-Heidelberg, sondern auch den Kritikerpreis. Der experimentelle Film arbeitet mit gefundenem Videomaterial und kommt ganz ohne Dialoge aus. Foto: Avalon Distribution Audovisual
Von Daniel Schottmüller
Es war eine Preisverleihung, die ohne den Applaus des Publikums auskommen musste. Nachdem das 69. Internationale Filmfestival Mannheim-Heidelberg komplett digital über die Bühne gegangen ist, fand auch die Abschlusszeremonie am Sonntag online statt. Eine trostlose Veranstaltung? Keineswegs. Markus Lautenschläger, Direktor der Manfred-Lautenschläger-Stiftung, brachte auf den Punkt, wie sich so mancher, der in den vergangenen zehn Tagen auf das Streaming-Angebot zugegriffen hat, nun fühlt: Dankbar. Dankbar dafür, dass das zweitälteste deutsche Filmfestival Abwechslung in diesen für Cineasten ziemlich trostlosen November gebracht hat.
"Wir haben zehn intensive, außergewöhnliche Tage zusammen verbracht", zeigte sich auch Programmdirektor Sascha Keilholz zufrieden mit seinem Premierenfestival. Hauptverantwortlich dafür, dass Organisatoren, Sponsoren, Filmschaffende und Kritiker am Sonntag vor ihren Bildschirmen lächeln konnten, waren die 53 qualitätsvollen Filme, die sich die Zuschauer in den eigenen vier Wänden betrachtet haben.
Nuria Giménez Lorang Foto: Franck Alix14 davon standen in der Kategorie "On the Rise" als Wettbewerbsfilme zur Auswahl. Und gleich zwei von sechs zu vergebenden Preisen räumte die Regisseurin Nuria Giménez Lorang ab. Die Spanierin gewann nicht nur den mit 25.000 Euro dotierten Hauptpreis für ihre Regieleistung, sondern auch den von Filmkritikern verliehenen Fipresci-Award. "Kein anderer Film schaffte es, uns so viel Freude zu bereiten, wie dieser ungemein exzentrische, unterhaltsame Debütfilm", hieß es in der schriftlichen Begründung der internationalen Jury. "Er täuscht uns, ohne uns zu betrügen, er beeindruckt uns, ohne zu prahlen, er lügt uns an und ist doch vollkommen ehrlich", schwärmte auch die in Berlin lebende Journalistin Jessica Kiang in ihrer Laudatio.
Im Langfilm-Debüt der studierten Dokumentarfilmerin wird die Geschichte eines Paares erzählt. Sie beginnt im Zweiten Weltkrieg in der Schweiz, führt in die boomende Pharmaindustrie der USA und verspricht Abstecher nach Mallorca und Malta. Dabei folgt der Film Aufnahmen, die nach und nach als Homevideo von Leon zu erkennen sind. Die Tagebuchzitate seiner Frau Vivian jedoch offenbaren eine gegensätzliche Perspektive. Dieses Spiel mit Interpretationsmöglichkeiten begeisterte auch die Fipresci-Jury. "My Mexican Bretzel" stelle in Frage, was es überhaupt bedeutet, eine Geschichte zu erzählen, so das Lob der Kritiker.
Nuria Giménez Lorang sind die beiden Preise Belohnung für sieben Jahren Arbeit, die sie in die Produktion ihres experimentellen, ganz ohne Dialoge auskommenden Spielfilms investiert hat. Nun hofft die Regisseurin, dass ihr Werk wie geplant im Januar in den spanischen Kinos anlaufen kann.
Sabrina Doyle Foto: Visit FilmsEine weitere Filmemacherin, die sich zum Abschluss des Festivals gleich doppelt freuen durfte: Sabrina Doyle. Die gebürtige Londonerin – auch sie debütierte ihren ersten Langfilm – erhielt den mit 5000 Euro dotierten Preis der Studentenjury und den Publikumspreis. In "Lorelei" verknüpft Doyle eine Handlung, die sich von einem Sozialdrama zu einer magischen Liebesgeschichte entwickelt. In ihrer Dankesrede zeigte sich die Regisseurin berührt davon, dass ihr Film gerade bei jungen Menschen auf Resonanz gestoßen ist: "Ihr seid die Zukunft – die Zukunft der Kultur, der Kritik und des Kinos", betonte sie.
Der Preis der ökumenischen Jury, die traditionell friedensstiftende, von einem Geist der Solidarität getragene Filme auszeichnet, ging in diesem Jahr an eine Co-Produktion aus Italien, Frankreich und Belgien. "Durch Szenen voller familiärer Wärme und Herzlichkeit zeigt uns ’Una Promessa’ die Bedeutung von Liebe in einer Welt voller Armut", erklärten die Juroren. Den mit 10.000 Euro dotierten Rainer-Werner-Fassbinder-Preis für das beste Drehbuch schließlich erhielt Zhang Qui für "Single Cycle".
Ob die 70. Auflage des Festivals statt im virtuellen Raum wieder in Kinosälen stattfinden wird? Sascha Keilholz wünscht sich das sehnlichst. Aber auch den Schöpfern des diesjährigen Angebots bleibt zu wünschen, dass ihre Filme bald die große Leinwand für sich entdecken dürfen. Fest steht schon jetzt, dass sie in Mannheim und Heidelberg Filmfestival-Geschichte geschrieben haben.