Von Peter Lahr
Mosbach/Berlin. Ein Patentrezept für Kreativität kennt die aus Sizilien stammende Sängerin, Musikerin und Komponistin zwar nicht. Doch im Interview betont Etta Scollo, nichts dagegen zu haben, in eine Schublade gesteckt zu werden. Besonders lustig werde es dann, wenn der Zufall für eine falsche Schublade sorge. Auch über ihre Kindheit im Süden und die Erfahrung eines körperlosen Herzens gibt sie so offen wie reflektiert Auskunft.
Ihre musikalischen Wurzeln reichen bis zurück in ihre Kindertage. Als Tochter eines Jazzmusikers singen Sie bereits im zarten Altern von sechs Jahren auf Konzerten.
Mein Vater war Rechtsanwalt und leidenschaftlicher Sänger und Gitarrist - jedoch nur als Hobby.
Welche weiteren Erinnerungen verknüpfen Sie mit Ihrer Kindheit auf Sizilien?
Die schönsten Erinnerungen sind Lagerfeuer am Strand mitten in der Nacht unter einem kitschig-schönen Sternenhimmel. Alle zusammen: Eltern wie Kinder blieben wach bis spät und sangen/tanzten zusammen.
Mit 20 haben Sie die Insel verlassen und wollten die Welt entdecken. Über den Umweg eines Architektur-Studiums in Turin kamen Sie nach Wien, wo Sie nicht nur Musik studierten, sondern auch noch 1988 mit dem Beatles-Song ‚Oh Darling’ einen österreichischen Nummer-Eins-Hit landeten. Dennoch wechselten Sie bald wieder das Genre. Weshalb?
Ich habe Sizilien im Alter von 18 Jahren verlassen. Ich hatte geheiratet und bin doch gleich wieder geschieden worden. Mein Leben hat immer andere Wege genommen. Ich glaube, ich bin ein neugieriger Mensch. Oft hatte ich - und habe es noch - das Bedürfnis, neue Erfahrungen zu machen, Neues zu lernen.
Bis heute ist Ihr musikalisches Schaffen geprägt von einer großen stilistischen Bandbreite. Sie pendeln zwischen Cantautore, Chanson, Blues, Jazz, Pop, Oper. Mal Solo oder in kammermusikalischer Besetzung, dann wieder mit großem Orchester.
Ich würde nicht sagen dass ich zwischen all diesen Stilrichtungen "pendle". Ich glaube, ich bin nur durch all diese musikalischen Erfahrungen gegangen. Wo ich mich jetzt befinde, wird die Kreativität sich auf eher kulturellere Projekte fokussieren: Zeitgenössische und traditionelle Musik.
Wie entscheiden Sie, welcher Sound zu welcher Botschaft passt?
Ich gebe gar keine Botschaft, aber ich nehme gerne eine Botschaft für mich an, wenn sie stimmt. Ich lasse mich dadurch inspirieren. Musik ist für mich etwas, das man gemeinsam teilen soll.
In Ihren Liedern erzählen Sie gerne Geschichten. Welche Geschichte ist Ihre liebste? Was vermag Musik jenseits des geschriebenen Wortes?
Ich mag gerne Geschichten singen. Es sind Geschichten der Menschen. Durch die Musik bleiben die Geschichten besser in der Erinnerung und in der intimen Emotionalität. Durch die Erfahrung, solche Gedichte gelesen, vertont und interpretiert zu haben, habe ich gelernt, dass die Kulturen sich immer gemischt und neu erfunden haben.
Sie beschäftigen sich intensiv mit traditioneller Musik, erforschen, verarbeiten und interpretieren das Gefundene neu. Auf "Il fiore splendende" sind es etwa die arabisch-sizilianischen Dichter des frühen Mittelalters. Was inspiriert Sie hierzu? Was finden Sie dabei über sich heraus?
Literatur und Musik sind die Brücke zwischen Gestern und Morgen. Was wichtig für mich ist: niemals voreingenommen zu sein und immer aus der Tiefe der Informationen zu lernen. Nie oberflächlich, ohne Vorurteil und ohne Ängste. Sich bewusst eine eigene Meinung zu machen und offen für einen Dialog zu bleiben. All diese Dinge sind möglich durch die Kultur bzw. die Kulturen! Und wenn die Kulturen sterben, sterben auch die Menschen.
Sie leben mittlerweile in Berlin, haben aber den Kontakt zu Ihrer Heimat nie verloren. Setzten sogar der sizilianischen Volkssängerin Rosa Balistreri ein musikalisches Denkmal. Sind solche Projekte von langer Hand geplant oder ergeben sie sich durch Kontakte, Begegnungen, Zufälle? Oder: Wie entwickelt sich bei Ihnen am besten Kreativität?
Kreativität entsteht bei mir sowohl durch lange Prozesse wie auch durch Zufälle und schnelle Entscheidungen. All diese Zutaten sind gleich wichtig. Die Balance ergibt sich von selbst. Wichtig für mich ist es, keine Eile zu haben.
Noch einmal die Frage nach der Heimat. In Rezensionen gelten Sie als "Die neue Stimme Siziliens". Eine Beschreibung, mit der Sie etwas anfangen können? Oder eher der Versuch, Sie in eine Schublade stecken zu können?
Ich habe nichts dagegen, als "Die neue Stimme Siziliens" bezeichnet zu werden oder in irgendwelche Schubladen gesteckt zu werden. Manchmal ist es sogar sehr interessant, wie eben Kritiker und Menschen allgemein mich sehen und empfinden. Es liegt immer ein bisschen Wahrheit in solchen Empfindungen. Denn aus der Sicht der anderen lernt man auch etwas mehr über sich selbst. Mal ergeben sich auch lustige Situationen: Ich wurde einmal in Berlin als "Die Stimme des Tango" bezeichnet, nur weil meine musikalische Begleitung ein Tango-Quartett war, das für mich als ihr Gast mein Repertoire gelernt und mich begleitet hatte. Ich hatte so gelacht und mir dabei gedacht, dass ich eigentlich sehr gerne Tango lernen würde.
In Mosbach präsentieren Sie das Programm "Cuoresenza". Darin reist ein Herz ohne Körper an die Stationen seines ruhelosen Lebens und weckt musikalische Erinnerungen. Wie kommt man auf solch eine Idee? Fiel Ihnen die Auswahl der einzelnen Lieder dabei schwer?
Bezüglich "Cuoresenza" hatte ich mal dieses Bild gehabt. Ich finde Bilder immer sehr hilfreich und schön, um sich von verwirrenden oder empfindlichen Erlebnissen zu distanzieren und eben durch die Fantasien und Kreativität zu verstehen und zu verarbeiten. Die Lieder zu finden, war sehr leicht. Denn sie hatten sich schon in all den Jahren in meinem persönlichen Repertoire gesammelt.
Info: Etta Scollo ist am Samstag, 3. September, ab 20 Uhr im Hospitalhof zu Gast. Karten gibt es am Ticketschalter der Rhein-Neckar-Zeitung und in der Tourist Information Mosbach.