Zahltag: Eine Parade von Männchen aus Zigarettenkippen steht an, um als DDR-Bürger das sogenannte Begrüßungsgeld zu empfangen. Das Künstlergespann Kolzin (Wilhelm Klotzek, David Polzin) gab dieser Arbeit den Titel "Ablöse". Mit anderen Werken, die sich alle der Entwicklung seit der Wende 1989/90 widmen, ist es im Heidelberger Kunstverein zu sehen. Foto: Kolzin
Von Volker Oesterreich
Glück und Chaos, Aufbruch und eine Umwertung aller Werte, aber auch Hoffnung und Katzenjammer stürzten auf die Menschen vor, während und unmittelbar nach der Maueröffnung vom 9. November 1989 ein. Eine Zeitenwende. Die friedliche Revolution in der DDR führte nicht direkten Weges zu jenen "blühenden Landschaften", die einst Helmut Kohl versprach. Für viele war es ein langer, steiniger, entbehrungsreicher Weg, auf dem sie sich aufmachten in eine ungewisse Zukunft. Biografien wurden durcheinandergewirbelt, Versprechungen gebrochen, Hoffnungen zerstört.
Auf der anderen Seite gab es Glücksritter, die die Gunst der Stunde in Goldgräbermanier für sich zu nutzen wussten, aber das geschah nicht selten auf Kosten Dritter, die durch den Treuhand-Ausverkauf der maroden volkseigenen Betriebe von heute auf morgen arbeitslos wurden und sich eine neue Existenz erkämpfen mussten.
Auch die Kunstszene musste sich neu orientieren. Wer zu DDR-Zeiten das Fähnlein der Partei nicht hochhielt, auf der anderen Seite aber auch nicht zur Gruppe der in allen Medien präsenten Dissidenten oder der lautstarken "Wendehälse" gehörte, hatte es schwer, in der Kulturszene des wiedervereinigten Deutschland Fuß zu fassen. Genau von dieser schwierigen Umbruchsituation erzählt die Ausstellung "Transgender in Hoyerswerda. Wie es wirklich war" des Künstlergespanns Kolzin, hinter dem sich die Namen Peter Woelck und Wilhelm Klotzek verbergen.
Die Präsentation gehört zu einem Ausstellungs-Dreiklang unter dem Gesamttitel "Es war einmal ein Land", das sich bis zum 14. Februar auch mit Fragen der Migration oder mit dem Verfall verlassener Moscheen beschäftigt, und zwar nicht nur im Kunstverein selbst, sondern auch an "Satelliten-Stationen" in der Stadt, zu denen unter anderen die Edition Staeck, das Zentrum für Altertumswissenschaften oder die Stadtbücherei gehören.
Alle zusammen ergeben ein großes Kaleidoskop, das sich Themen der Identitätsfindung und des Identitätsverlusts widmet, das Fragen stellt, aber keine vorschnellen Antworten aufdrängt. Besonders eindrucksvoll wirken dabei die Szenen der Wende- und Nachwendezeit, die Wilhelm Klotzek aus Zigarettenkippen, Zigarettenschachteln und Drähten gestaltet hat.
Entdecken kann man da das Tohuwabohu im Schatten der geborstenen Mauer; eine Schlange von Kippen, die auf das Begrüßungsgeld warten; Zigarettenmännchen, die am "Runden Tisch" über die politische Zukunft diskutieren; oder den ehemaligen Treuhandchef Rohwedder mit einem übergroßen Telefonhörer. Gegenübergestellt sind Fotos von Wilhelm Klotzeks Vater Peter Woelk (1948-2010), der die Wendeereignisse durch eindrucksvolle Porträtstudien und Alltagsszenen dokumentiert hat.
Heute Abend gibt Wilhelm Klotzek im Kunstverein persönlich einen Einblick in das breite Spektrum seines Werks. Er führt durch die Ausstellung, stellt sich den Fragen der Besucher und liest eigene literarische Arbeiten. Beginn ist um 19 Uhr.
Bewährt hat sich im Heidelberger Kunstverein übrigens der "lange Donnerstag", an dem das Haus immer bis 22 Uhr geöffnet ist. Vom Publikum würden diese Termine "immer hervorragend angenommen", sagt die Direktorin Susanne Weiß.
Info: Hauptstraße 97, www.hdkv.de.